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       # taz.de -- Debatte UN im Südsudan: Schutz und Vernichtung
       
       > Der neue Bürgerkrieg mit seinen Massenfluchtbewegungen und Massakern
       > markiert ein eklatantes Versagen der Vereinten Nationen
       
   IMG Bild: Ende Dezember suchen Vertriebene Schutz auf dem UN-Gelände in Malakal, Südsudan.
       
       Studierende in Wau, ursprünglich aus dem Osten des Südsudan, berichten von
       Aggressionen anderer Studenten gegen sie aufgrund ihrer ethnischen
       Zugehörigkeit. Wie ihnen geht es heute vielen, die wegen Arbeit, Studium
       oder anderen Gründen nach der Unabhängigkeit des Südsudan in andere
       Landesteile gezogen waren.
       
       Seit Mitte Dezember herrscht Krieg im Südsudan, und mit Gewalt werden vor
       allem Angehörige der beiden großen Volksgruppen Dinka und Nuer daran
       erinnert, wie leicht ethnische Zugehörigkeit instrumentalisiert werden kann
       und wird. Bewusst schürt die regierende ehemalige Befreiungsbewegung SPLM
       Erinnerungen an frühere Massaker und die Angst vorm Nachbarn.
       
       Ein prominentes Beispiel für die dramatische Situation ist Peter Adwok
       Nyaba, der im Juli 2013 von Präsident Salva Kiir entlassene
       Bildungsminister. Der besonnene Politiker, der sein Leben der SPLM gewidmet
       hat und im Befreiungskrieg schwer verwundet wurde, wurde am 15. Dezember
       verhaftet.
       
       Sein Verbrechen? Es gibt keine Anklage. Doch er hat überzeugend die gängige
       These vom ethnischen Konflikt zwischen Dinka und Nuer als Erklärung für die
       gegenwärtigen Auseinandersetzungen widerlegt, stattdessen auf Machtkämpfe
       innerhalb der SPLM verwiesen und erklärt, es handele sich primär nicht um
       einen ethnischen, sondern politischen Konflikt. Vor einigen Tagen kam er
       frei. Aber es wurden Polizisten vor seiner Tür postiert, offiziell zu
       seinem Schutz. De facto steht er unter Hausarrest.
       
       Da Nyaba um sein Leben und das seiner Familie fürchtet, hat er die
       UN-Friedensmission um Schutz gebeten. Vergeblich. Die UN-Mission im
       Südsudan (Unmiss) hat keine Genehmigung, ihm Schutz zu gewähren. Dabei ist
       er im Westen als wichtiger Gesprächspartner bekannt. Tausende andere, die
       ebenfalls bedroht werden, sind es nicht.
       
       ## Wenigstens die Nacht überleben
       
       Augenzeugen im Südsudan berichten von außergerichtlichen Hinrichtungen.
       Hilferufe über E-Mail oder Telefon enden häufig mit der Hoffnung, die Nacht
       zu überleben, und mit dem Versprechen, sich wieder zu melden. Es ist
       vollkommen unverständlich, warum Unmiss die unmittelbare Bedrohung nicht zu
       erkennen vorgibt. Und Wut kommt auf, wenn die Bedrohten sich nicht mehr
       melden, also alles dafür spricht, dass sie getötet wurden. Dabei hat der
       UN-Sicherheitsrat ihre Hoffnung auf Hilfe selbst geschürt, als er erklärte,
       der Schutz von Zivilisten sei die vorrangige Aufgabe der Friedensoperation
       im Südsudan.
       
       Der fatale Fehler: Man hat festgelegt, dass die Unmiss im Südsudan vor
       allem die staatlichen Sicherheitsorgane unterstützen solle. Das bedeutet,
       dass UN-Blauhelme und UN-Polizei ihre Aktivitäten mit lokalen
       Sicherheitsorganen koordinieren müssen. Eine unabhängige Beobachtung findet
       daher nicht statt. Um bedrohte Zivilisten zu gesicherten UN-Einrichtungen
       eskortieren zu können, wären Genehmigungen die Voraussetzung. Die aber
       werden nicht erteilt.
       
       ## Was Schutzverantwortung heißt
       
       In UN-Missionen ist viel von „Schutzverantwortung“ die Rede: der Schutz der
       Zivilbevölkerung als oberstes Gebot. Schutzverantwortung effektiv
       wahrzunehmen verlangt aber genaue Kenntnis der politischen Konstellation
       und Einschätzung der sicherheitspolitischen Risiken. Wie sieht es damit im
       Südsudan aus?
       
       Die Repräsentantin des UN-Generalsekretärs im Südsudan, Hilde Johnson,
       erklärte am 26. Dezember, nach zehn Tagen Kämpfen, sie sei von den
       Ereignissen total überrascht worden und Unmiss sei weder vorbereitet noch
       in der Lage, Zivilisten Schutz zu gewährleisten. Unmiss zählt immerhin
       7.000 Soldaten, 900 Polizisten und etwa 1.000 Zivilisten, Analysten und
       Menschenrechtsbeobachter im gesamten Land, dazu kommt ein Netzwerk weiterer
       UN-Organisationen.
       
       Auch die Zehntausenden Vertriebenen, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits
       auf UN-Gelände befanden, könnten nur sehr begrenzt geschützt werden, so
       Johnson weiter. Das war unter den gegebenen Umständen wahrscheinlich eine
       korrekte Feststellung, aber auch das öffentliche Bekenntnis von massivem
       „funktionalem Scheitern“.
       
       Bislang hat der Sicherheitsrat die Ereignisse im Südsudan seit dem 15.
       Dezember nicht gewürdigt. Stattdessen beschloss er am 30. Dezember,
       Soldaten und Polizisten anderer Missionen nach Südsudan zu verlegen. Der
       aktuellen Politik der Vernichtung setzt er damit nichts entgegen. Weiterhin
       gilt: Nur wer es durch die gesicherten Tore der UN-Blauhelmbasen schafft,
       kann auf Schutz hoffen, wenn auch nur vorübergehend.
       
       ## Friedensprozess neu denken
       
       In Addis Abeba laufen nun Friedensgespräche für Südsudan. Aber die
       Nachbarstaaten stützen Präsident Salva Kiir – aus eigenem Interesse. Dies
       wird den politischen Konflikt nicht lösen, sondern in kürzester Zeit zu
       neuer Gewalt führen. Der Ausschluss von Zivilgesellschaft und Vertretern
       anderer bewaffneter Gruppen aus den staatlichen Strukturen des unabhängigen
       Südsudan war die Schwäche des Friedensprozesses, der zur Unabhängigkeit
       2011 führte, und ist Bestandteil des neuen Konflikts.
       
       Strukturelle Gewalt und die Verweigerung von Schutz durch staatliche
       Institutionen zeigen, wie Macht in der neuen Republik Südsudan ausgeübt
       wird. Die Zivilgesellschaft müsste als dritte Kraft Teil der laufenden
       Friedensgespräche in Addis Abeba sein, es muss ein neuer
       Gesellschaftsvertrag zwischen allen Gruppen verhandelt werden.
       
       Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sollte im Sinne einer
       werteorientierten Außenpolitik die deutschen Interessen am weiteren Erfolg
       und Bestand des Internationalen Strafgerichtshofes sichern. Er sollte
       sicherstellen, dass die notwendige politische und materielle Unterstützung
       garantiert ist, um Beweismaterialien von Gewalt und Vernichtung zu sichern
       und die Folgen von Unterlassung von Schutz zu untersuchen.
       
       Dies könnte die Richtung für weitere Überlegungen zum verbindlicheren
       Schutz von Zivilisten unter Bürgerkriegsbedingungen vorgeben. Nur dann wäre
       „Schutzverantwortung“ mehr als Rhetorik auf dem internationalen Parkett.
       Auch für Peter Adwok und andere, die derzeit im Südsudan Schutz suchen.
       
       13 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Schumann
       
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