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       # taz.de -- Katholische Kirche in Deutschland: Das Atmen im Dom
       
       > Der Kölner Kardinal Meisner hat seinen Rückzug angekündigt. Nun hoffen
       > viele, das größte deutsche Bistum könnte zu mehr Demokratie finden.
       
   IMG Bild: Der Vatikan drückte ihn damals als Kandidaten durch: Joachim Kardinal Meisner, der im Dezember seinen Rückzug ankündigte.
       
       KÖLN taz | Wie sonst wo auf der Welt, so schreitet auch der Kölner
       Erzbischof unter Orgelklang durchs Kirchenschiff zum Altar. Und wie überall
       predigt er, betet und segnet. Doch diese Messe am Morgen des
       Dreikönigstages ist etwas Besonderes.
       
       Joachim Kardinal Meisner schreitet durch den Dom, flankiert von Bischöfen
       aus mehreren Ländern. Die Orgel braust wie ein Orkan, und in den
       Stuhlreihen stehen Tausende Besucher. Der Kölner Erzbischof ist einer der
       mächtigsten Männer der katholischen Kirche.
       
       Am Altar angekommen, erzählt Meisner die Geschichte der Heiligen Drei
       Könige. Der Stern habe ihnen in finsterer Nacht den Weg zum Geburtsort Jesu
       gewiesen – die ewig gleiche Geschichte von der Reise vom Dunkel ins Licht.
       Dem Mann im beigen Bischofsgewand ist sie Anlass, sein Lieblingsthema
       anzusprechen. Durchs Kirchenschiff klingt seine Klage „über die ungeheure
       Verfinsterung Gottes in unserer Zeit“. Überall sieht Meisner Auflösung und
       Zerfall. Nun kommt er selbst an ein Ende.
       
       Der Erzbischof hat seinen Rückzug angekündigt, erwartet wird er für Anfang
       März. Das stürzt viele Beobachter in Sorge. Nicht, weil sie dem 80-Jährigen
       nachtrauern würden, im Gegenteil. Sie fürchten, der Nachfolger könne sein
       wie Meisner.
       
       Köln gilt als extrem tolerant, Meisner nicht. Ausgerechnet den damaligen
       Bischof von Berlin schickte Papst Johannes Paul II. 1989 an den Rhein. Das
       Erzbistum stand Kopf, musste sich aber beugen. Am Tag von Meisners
       Amtseinführung entrollten Demonstranten Spruchbänder: „Sehet, da kommt der
       Hirte, den kein Schaf hier wollte.“
       
       ## Ein Abtreibungsgegner
       
       Joachim Kardinal Meisner ist ein Mann der ostdeutschen Diaspora. In der
       DDR, erzählt er gern, habe die Kirche ihm und seiner Familie „den inneren
       Freiraum gegeben […], dass wir den Rücken gerade halten konnten, dass wir
       uns nicht ducken mussten“. Dafür müssen sich heute andere ducken.
       
       Der Abtreibungsgegner forcierte den Ausstieg aus dem System der
       Schwangerenkonfliktberatung. Der CDU riet Meisner, das C im Namen zu
       streichen, wenn sie kein eindeutiges Votum für das ungeborene Leben abgebe.
       Kunst in der Kirche ohne religiösen Bezug nannte er „entartet“. Dem
       Atheisten und Glaubenskritiker Richard Dawkins hielt er vor, sein
       Menschenbild ähnele dem der Nazis.
       
       Wird sein Nachfolger die harte Linie fortführen? Oder wird er die Kirche
       öffnen, sie frische Luft atmen lassen?
       
       ## Domglocken im Handy
       
       Ein Mann, der sich nicht länger ducken will, lebt nur vier Kilometer
       Luftlinie vom Dom entfernt. Die in Ritualen erstarrte katholische Kirche
       ist weit weg. Hanno Weinert-Sprissler, 46 Jahre, Dreitagebart, Polohemd,
       öffnet die Wohnungstür. Im ersten Stock spielen seine zwei kleinen Kinder.
       Im Erdgeschoss serviert der Gastgeber am großen Esstisch Cappuccino. Als
       Miteigentümer einer Medienagentur konnte Weinert-Sprissler es sich leisten,
       die geräumige Wohnung zu kaufen. Als er einen Anruf bekommt, dringt aus
       seinem Handy lautes Glockengeläut. „Das ist der Dom“, sagt
       Weinert-Sprissler lächelnd, „das kleine Chorgestühl.“ Die katholische
       Kirche ist ganz nah. Weinert-Sprissler ist Diakon – und Mitinitiator der
       „Kölner Kircheninitiative“.
       
       Unter diesem Namen veröffentlichten 19 Frauen und Männer, darunter zwölf
       Pfarrer und vier Diakone, Anfang Dezember im Internet einen offenen Brief.
       Darin bitten sie den „verehrten Heiligen Vater Franziskus“ und die
       Mitglieder des Kölner Domkapitels um ein Mitspracherecht bei der
       Neubesetzung des Bischofssitzes. „Für eine von Anfang an gute Beziehung der
       Gläubigen zu ihrem zukünftigen Erzbischof“, schreiben sie, „wäre deren
       Einbeziehung wünschenswert.“ Deshalb bitten sie den Papst: „Bestimmen Sie
       gemeinsam mit den Katholiken des Erzbistums einen neuen Erzbischof, eine
       gemeindenahe Person.“
       
       Meisners Name taucht in dem Brief nicht auf. Überhaupt ist das Schreiben
       betont verbindlich gehalten. Papst Franziskus umwerben sie als Mann, der in
       kurzer Zeit bereits „vieles in Bewegung gebracht“ und „Hoffnung“ gesät
       habe. Franziskus hat im November eine „heilsame Dezentralisierung“ der
       Kirche gefordert. Um sich kirchenrechtlich abzusichern, beruft sich die
       Initiative gar auf zwei Päpste, die ebenfalls für eine Wahl der Bischöfe
       durch ihre Gemeinde plädierten – im 5. Jahrhundert.
       
       ## „Hanno, lass das“
       
       Mittlerweile haben fast 1.100 Menschen, viele davon Priester und
       Gemeindemitarbeiter, den Brief unterzeichnet. Das kirchliche Bodenpersonal
       will Deutschlands größtes Bistum demokratischer machen.
       
       „Wirklich etwas in der Kirche bewegen können die“, sagt Weinert-Sprissler,
       „die in der Kirche ein Amt haben.“ Er selbst entschied sich erst mit Mitte
       30 für eine Laufbahn in der Kirche. Diakone sind Geistliche, aber ohne die
       Weihe zum Priester. Die Erinnerung daran, wie sein Vater 1989 an Krebs
       starb, hatte Weinert-Sprisser nie losgelassen. Er wollte helfen.
       Schließlich begann er 2005 mit der Ausbildung zum Diakon. Heute macht er in
       einer Gemeinde in Köln „ganz normale Diakonentätigkeit: taufen, trauen,
       beerdigen“.
       
       Seit Veröffentlichung des Briefes weht ihm ein schneidender Wind ins
       Gesicht. „Die ersten Tage über wurden wir von den Ultrakonservativen scharf
       angegangen“, sagt Weinert-Sprissler am Esstisch. Sein achtjähriger Sohn
       schleicht in die Wohnküche. Weinert wartet, bis er wieder gegangen ist,
       dann sagt er: „Auf Facebook wünschten uns Leute auf den Scheiterhaufen. Und
       meine Seelsorger-Kollegen schwiegen auffällig.“ Ein Bekannter habe ihm
       geraten: „Hanno, lass das, du hast Familie.“
       
       ## Keine Revoluzzer
       
       Der Widerstand gegen jede Veränderung ist massiv. Das Forum Deutscher
       Katholiken, ein Meisner nahestehender Zusammenschluss „papst- und
       kirchentreuer Katholiken“, deutet den offenen Brief als „Kampagne um eine
       ’andere Kirche‘“.
       
       Weinert-Sprissler sieht das anders: „Wir sind keine Revoluzzer“, sagt er
       mit ruhiger Stimme. „Wir fordern nichts Radikales. Der Brief ist eine
       freundlich geäußerte Bitte.“ Tatsächlich gibt es weit lautere Rufer nach
       Veränderung. Bereits Ende November urteilten sechs prominente Katholiken in
       einer „Denkschrift“: „Kardinal Meisner neigte […] dazu, die Moderne
       insgesamt zu negieren.“ Folge sei „der Rückzug in ein Ghetto demonstrativer
       Orthodoxie“.
       
       ## Die Bibel ist Leitlinie
       
       Warum sollte da ausgerechnet eine „freundlich geäußerte Bitte“ zum Problem
       für die Kirchenoberen werden? Das wird klar, als es an der Tür klingelt. An
       den Esstisch treten die beiden Mitinitiatoren der Initiative: Georg
       Mollberg, 66 Jahre, weißes Haar. Mollberg hat drei erwachsene Söhne und ist
       Diakon im rheinland-pfälzischen Unkel. Und Michael Werner, 47, rheinischer
       Akzent. Werner ist Vater zweier Töchter und Diakon im nahen Rösrath. Auch
       sie zählen zum mittleren Management der Kirche: Männer, die ihre Gemeinden
       gut kennen, aber anders als Priester ebenso das Familienleben.
       
       Gerade weil sie keine „Revoluzzer“ sind, können Traditionalisten sie nicht
       so leicht als Feinde des Glaubens abtun. Früher oder später, so die
       Hoffnung der drei, müsse das Domkapitel mit ihnen reden. Einen Vertreter
       haben sie gar zu einer Diskussion am 23. Januar eingeladen. Titel der
       Veranstaltung: „Lasst uns den Bischof wählen!“ Bislang schweigt die
       Bistumsleitung.
       
       Denn jedes Wort, das in Köln in Sachen Bischofswahl fällt, wird bundesweit
       gehört. In diesem Jahr werden auch die Posten in Freiburg und Hamburg neu
       besetzt. Die Bischofssitze in Erfurt und Passau sind schon länger vakant.
       In Limburg wackelt der Stuhl von Franz-Peter Tebartz-van Eltz. Köln ist
       überall.
       
       ## Mehr Zugewandtheit
       
       Haben die Initiativler konkrete inhaltliche Forderungen, einen Favoriten
       fürs Bischofsamt? Die drei Männer schauen einander an. Heikle Frage. Dann
       sagt Werner: „Viele wollen einfach einen Bischof, der den Menschen
       zugewandt ist, der offen ist.“ Mollberg ergänzt: „Die Gemeindemitglieder
       wollen vor allem fühlen, dass sie mit ihren Fähigkeiten angenommen werden.“
       
       Wie soll die Gemeinde den Bischof bestimmen? Durch Repräsentanten? Oder
       soll jeder Gläubige eine Stimme in geheimer Wahl erhalten? Die Vorstellung
       findet Werner zu radikal: „Demokratie und Kirche schließen einander in
       gewisser Weise aus. Unser Grundgesetz ist die Bibel – und die Tradition.“
       
       Noch ist nicht klar, ob sich die Verbindlichkeit der drei, ihr „Wir wollen
       doch nur reden“, als ihre größte Stärke erweisen wird. Oder als ihre fatale
       Schwäche.
       
       Was auch immer die nächste Zeit bringen wird: Die drei von der
       Kircheninitiative werden keine Revoluzzer werden, sondern treue Katholiken
       bleiben. Jeden Bischof, der auf Joachim Meisner folgt, werden sie
       hinnehmen. Sie werden nicht laut protestieren.
       
       Am Morgen im Dom hat Meisner lange über die Bedeutung der Heiligen Drei
       Könige gesprochen. Über den allerorten verschütteten Glauben, über Krisen
       und Bewährungen. Die Worte hallten durchs Kirchenschiff, es war einer
       seiner letzten großen Auftritte im Amt. Die Predigt schloss er mit den
       Worten: „Ich wünsche mir und euch allen, dass wir ein wenig friedlicher aus
       dem Umbruch herausgehen, als wir hereingekommen sind.“
       
       17 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Lohre
       
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