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       # taz.de -- Konzert der Goldenen Zitronen in Berlin: Simulation des Gefahrengebiets
       
       > Seltsam entrückt und doch am Puls der Zeit: Die Goldenen Zitronen im
       > vollen Berliner Lido. Die „Goldies“ begeistern alte und neue Fans mit
       > engagierten Texten.
       
   IMG Bild: „Sind wir euch zu aggressiv?“ fragt Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen in Berlin. Hier: vor dem Golden Pudel Club 2010 in Hamburg.
       
       Ein Regisseur hetzt die Schlesische Straße runter. Eben hat er einem
       syrischen Freund seine Kreuzberger Wohnung untervermietet, teurer als
       ausgemacht. Die Lage ist schließlich top. Er sagt, er habe keine Karte,
       wolle aber auf das Zitronen-Konzert. Keine Chance, längst ausverkauft. Er
       wundert sich. „Hm, ich dachte, die Zitronen seien längst so was von durch.“
       
       Wenig später füllt sich der Berliner Club Lido mit gut gelaunten Gästen:
       herausgeputzte Theatermenschen, Werber, kiffende Langzeitstudenten und
       exzentrische Künstlerinnen mit viel Schmuck. Es ist brechend voll und ganz
       selbstverständlich, dass man einander auf die Füße tritt. Trotzdem gibt es
       jedes Mal eine überhöfliche Entschuldigung und beschämtes Lächeln.
       
       Die Singer-Songwriterin Mary Ocher betritt die Bühne, allein mit ihrer
       E-Gitarre. Sie trägt einen Glitzer-BH und Hornbrille. Mit Songs, die
       jeweils kaum länger als eine Minute dauern, wechselt sie gesanglich ständig
       zwischen schriller Piepstimme und tiefer Inbrunst. Ocher, die 1986 in
       Moskau geboren und später in Tel Aviv aufgewachsen ist, erzählt, dass sie
       mit 21 Jahren in ein Berliner Wohnprojekt gezogen sei. Dort hätten all ihre
       Mitbewohner Die Goldenen Zitronen gehört.
       
       Merkwürdig, aber tatsächlich schaffen es die Zitronen auch nach 30-jährigem
       Bestehen noch, Twentysomethings für ihre Liveshows zu rekrutieren. Wie geht
       das? Die Antwort pumpt in Gestalt einer bösartigen Synthie-Bassline durch
       den Saal. „Der Investor“ vom [1][neuen Album] „Who’s bad?“ eröffnet die
       Show und schießt direkt ins Genick. „Wir haben auch so unsere Visionen / In
       denen könnt ihr arbeiten und wohnen“, schlägt Sänger Schorsch Kamerun in
       der Rolle des Investors seinen verwertungswürdigen „kreativen Diven“ vor.
       
       ## Auch alte Songs klingen aktuell
       
       Nicht nur stilistisch sind die Goldies am Puls der Zeit. Die
       Privatisierungsvorhaben von ebensolchen Investoren haben ihre Heimatstadt
       in den vergangenen Wochen in einen Ausnahmezustand versetzt. Zum direkten
       Kommentar versucht nur Zitronen-Mitglied Ted Gaier anzusetzen, wird von
       Bandkollegen aber schnell unterbrochen.
       
       Schließlich können die Songs durchaus für sich sprechen. So auch „Kaufleute
       2.0.1.“, ein schön groovendes Stück, das fordert und fragt: „Gebt den
       Menschen mehr Zeit / und schenkt ihnen viel mehr Raum! / Ist das schon Rom
       oder / ist das noch Sankt Pauli?“ Zugleich wirkt die Band mit ihren
       abgespaceten Hippie-Outfits seltsam entrückt.
       
       Auf einer Leinwandprojektion sieht man Scheichs in der Wüste herumstehen
       und Ted Gaier zupft hübsche Melodien auf einer türkischen Baglama. Dann
       gibt es wieder Halftime-Techno für die tanzende Menge, und Kamerun kann
       sich einen Seitenhieb auf die Hamburger Krawallmacher nicht verkneifen:
       „Sind wir euch zu aggressiv?“ Zwischendurch wird das Saallicht vollständig
       gelöscht, der Sänger verlangt im Befehlston die Ausweispapiere: eine
       Simulation des Hamburger Gefahrengebiets.
       
       „Das bisschen Totschlag“ von 1994 beendet das Konzert zunächst. Das Lied
       dreht sich um den Angriff auf das Asylbewerberheim in Hoyerswerda. Dass
       letzte Woche wieder ein Heim bei München in Brand gesteckt wurde, macht den
       Song aktuell. Leider. Zu Recht folgen noch drei Zugaberunden.
       
       12 Jan 2014
       
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   DIR Fatma Aydemir
       
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