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       # taz.de -- Scheidende Flüchtlingsbeauftragte Fanny Dethloff: „Willkommenskultur fehlt“
       
       > Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche gibt ihr Amt auf. Ein Gespräch
       > über eine Arbeit zwischen allen Stühlen.
       
   IMG Bild: Sagt, sie sei nicht frustriert: Fanny Dethloff.
       
       taz: Mit welchen Gefühlen beenden Sie Ihre Arbeit als
       Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Frau Dethloff? 
       
       Fanny Dethloff: Ich bin sehr froh, dass dieses Thema, das doch ein sehr
       schwieriges war, tagesaktuell, aber auch in allen Neujahrsansprachen von
       Bischöfinnen und Bischöfen vorkommt. Außerdem gibt es viele Anfragen von
       Gemeinden.
       
       In der Pressestelle der evangelische Nordkirche hat man mir versichert,
       dass Ihre Amtsaufgabe nichts mit aktuellen Entwicklungen zu tun habe –
       dabei hatte ich gar nicht danach gefragt. 
       
       Ich bin sehr froh, dass es so viel Unterstützung für die
       Lampedusa-Flüchtlinge gibt und wie sehr Kirche da in vielen Gemeinden
       engagiert ist. Natürlich ist es ein Wahnsinnsjob gewesen, weil es nicht nur
       Hamburg zu bedienen gibt, sondern auch Mecklenburg-Vorpommern und
       Schleswig-Holstein. Da merkt man auch, dass zwölf Jahre genug sind. Auch
       wenn ich weder ausgebrannt noch frustriert bin.
       
       Wie groß war Ihr Spielraum bei der Arbeit? 
       
       Das Gute ist, dass es viele Akteure im kirchlichen Bereich gibt, die sehr
       gut eingearbeitet sind. Wir sind trotzdem noch zu wenige. Es ist gut, dass
       wir sagen können, was wir denken – das ist eine große Freiheit, die im
       staatlichen Bereich nicht immer gegeben ist.
       
       Es gab Spekulationen, dass die St.-Pauli-Gemeinde, die viele
       Lampedusa-Flüchtlinge aufnahm, von der Kirchenleitung gedrängt wurde, die
       Flüchtlinge zur Zusammenarbeit mit der Ausländerbehörde zu bewegen. 
       
       Da fragen Sie mit mir die Falsche, da ich das ein ernsthaftes Angebot
       finde. Ich glaube, dass die, die sich in die Verfahren begeben, hier
       bleiben werden, während diejenigen im irregulären Aufenthalt nach Italien
       zurückgehen werden müssen, wenn die Bewegung abbröckelt. Da bin ich eher
       realpolitisch eingestellt.
       
       Haben sich Ihre Arbeitsbedingungen über die Jahre geändert? 
       
       Ich habe in der Schill-Ära angefangen, als ganz viele
       Selbsthilfeorganisationen und Institutionen wegbrachen. Ich erinnere an den
       Hamburger Einspruch – diese Stadt ist schon mehrmals aufgestanden und hat
       gesagt: „Diese Art der Flüchtlingspolitik wollen wir nicht.“ Wir wollen,
       dass etwas geregelt wird, aber nicht diese Härte und Margen der Art, dass
       2.500 Menschen pro Jahr abgeschoben werden müssen. Das ist zum Glück
       vorbei.
       
       Trotzdem klingt es so, als würden Sie immer wieder bei null anfangen: darf
       diese Familie, dieses Paar bleiben ... 
       
       Das ist etwas, was Sie in der Flüchtlingsarbeit von vorne herein sehen
       müssen. Ich weiß nicht, wie viele Bleiberechtsforderungen wir schon
       gestellt haben. In den Gemeinden, in denen die Flüchtlinge unterkommen, ist
       immer wieder die gleiche Alphabetisierung nötig: „Warum sind die Menschen
       da?“, wird gefragt – „Ihr seht doch Fernsehen, ihr wisst es, jetzt macht
       mal die Türen auf“, sagen wir. Da ist immer wieder Willkommenskultur
       anzuregen.
       
       Macht das nicht müde? 
       
       Nein. Spiritualität und Humor sind in dieser Arbeit unabdingbar, damit man
       nicht verbiestert, sich radikalisiert oder es deprimiert stecken lässt. Es
       geht darum, eine Haltung zu bewahren und immer wieder Ohnmachten
       auszuhalten. Ich habe in der Abschiebehaft angefangen, ich gehe dort immer
       wieder hin. Es gibt nicht immer nur Happy Ends.
       
       Sie haben einmal gesagt, dass Sie immer wieder solche Orte der Ohnmacht
       aufgesucht haben. 
       
       Ich war in Malta in Flüchtlingslagern, wo frisch Angekommene aus dem Boot
       stiegen, die Tote über Bord haben geben müssen. Da verbietet es sich,
       irgendetwas dazu zu sagen. Da muss ich nur zuhören und danach Zeuge sein:
       menschenrechtlich und biblisch. Inzwischen gibt es Liturgien für die Toten
       an den EU-Außengrenzen, die ich angeregt habe.
       
       Sitzen Sie nicht oft zwischen den Stühlen: den politischen Aktivisten zu
       lau, den Gemeinden zu sehr politisch engagiert? 
       
       Da zwischen den Stühlen zu sitzen, ist der richtige Ort. Und wenn ich den
       Respekt von beiden Seiten habe – bei den Konservatien dafür, dass ich eine
       klare Frömmigkeit vertrete, und bei den politischen Kräften dafür, dass ich
       eine Menschenrechtsverfolgerin bin –, dann sitze ich richtig.
       
       10 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Gräff
       
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