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       # taz.de -- Eurokolumne: Einrichten in der Postdemokratie
       
       > Die Augen-zu-Strategie funktioniert nicht: Die EU-Politiker sollten
       > endlich offen über Griechenlands Krise sprechen und dem Land mehr Hilfe
       > zusagen.
       
   IMG Bild: Das Krisenland hat seit Jahresbeginn den EU-Vorsitz inne.
       
       Europa richtet sich immer mehr in der Postdemokratie ein. Schon bei der
       Bundestagswahl gab es keine wirkliche Debatte über die EU und die
       fehlgeleitete Eurorettung. Versuche, die kritische Lage in Griechenland zu
       diskutieren, wurden einfach abgewürgt. Es gebe keine Alternative zum
       aktuellen Kurs, beschied Schwarz-Gelb dem Wähler – basta.
       
       Ähnlich läuft es vor der Europawahl im Mai. Griechenland steht zwar mehr
       denn je im Fokus – das Krisenland hat seit Jahresbeginn den EU-Vorsitz
       inne. Die schwache Regierung Samaras führt nun nicht mehr nur die Geschäfte
       in Athen, sondern auch noch Regie in Brüssel. Am Ende der sechsmonatigen
       Präsidentschaft steht die EU-Wahl.
       
       Wer hoffte, es werde jetzt endlich eine offene Aussprache über die
       griechische Tragödie geben, wird enttäuscht. Antonis Samaras erklärte die
       Krise, die Griechenland auf den Status eines Entwicklungslandes
       zurückgeworfen hat, kurzerhand für beendet.
       
       Aus Brüssel kommt das übliche „Weiter so“. Und aus Berlin hört man – trotz
       Regierungswechsels – auch keine neuen Töne. Macht nichts, schließlich
       stehen Entscheidungen erst im Sommer an, heißt es in Brüssel. Erst dann
       will sich die EU mit der Frage beschäftigen, wie es in Athen weitergehen
       soll. Erst dann wird sich zeigen, ob es bei der Deckungslücke von 11
       Milliarden Euro im Etat bleibt – und wie sie geschlossen werden soll. Doch
       wer so spricht, und der neue alte Außenminister Frank-Walter Steinmeier
       gehört offenbar dazu, entlarvt sich als Anhänger der Postdemokratie à la
       Colin Crouch.
       
       ## Ohne den Schuldenerlass geht es nicht
       
       Wer so spricht, will sich nämlich die öffentliche Debatte über die
       vergurkte Griechenland-„Rettung“ ersparen. Wer so spricht, will auch
       Alternativen verdrängen, den Europäern keine Wahl lassen. Ein Marshallplan
       für Südeuropa? Ein gemeinsamer europäischer Schuldentilgungsfonds? Ein Ende
       der tödlichen Austeritätspolitik?
       
       Das soll alles kein Thema mehr sein, auch wenn es die SPD im
       Bundestagswahlkampf gefordert hat – und in ihrem Europawahlprogramm weiter
       fordert. Dabei ist die Debatte nötiger denn je. Denn ohne Wachstumsprogramm
       und Schuldenerlass – da sind sich fast alle Experten einig – wird
       Griechenland nie wieder auf eigene Beine kommen. Und ohne eine klare
       Perspektive – das betont sogar Athen – droht bei der Wahl ein Debakel.
       
       Samaras verfügt nur noch über eine hauchdünne Mehrheit im Parlament, seine
       Zweiparteienkoalition dürfte einen brutalen Dämpfer erhalten. Die
       Spardiktate der Euroretter haben das linke und rechte Lager gestärkt, die
       Mitte geschwächt. Wenn es schlecht läuft, werde es die EU „mit einer
       breiten Front antieuropäischer Kräfte“ zu tun bekommen, warnt Außenminister
       Evangelos Venizelos. Was passiert, wenn Brüssel auf die politische Krise
       „bürokratisch und obsessiv“ reagiert, sei nicht absehbar.
       
       Allerdings: Ein Wahlsieg der linken Syriza könnte sogar befreiend wirken,
       wenn er ein Umdenken bei den Eurorettern bewirkt. Wahrscheinlicher ist
       jedoch, dass rechte Nationalisten und Faschisten zulegen – und Griechenland
       unregierbar machen. Davor hat sogar die Notenbank in Athen gewarnt. Doch in
       Brüssel und Berlin stellt man sich taub. Dabei ist klar, was zu tun wäre.
       
       ## Unabsehbare Folgen
       
       Statt achselzuckend zuzusehen, wie sich die Wiege der Demokratie in ein
       Armenhaus verwandelt, sollten die EU-Politiker Griechenland eine Lockerung
       des Sparkurses und weitere Hilfen zusagen. Die Griechen müssen endlich
       Licht am Ende des Tunnels sehen – sonst werden sie sich von der EU komplett
       abwenden. Das hätte wirklich unabsehbare Folgen.
       
       Außerdem muss endlich hier die Debatte über Ursachen und Folgen der Krise
       beginnen. Die Europawahl bietet dazu eine einmalige Chance. Wird sie
       verpasst, so brauchen wir uns über Demokratie in Europa wohl nicht mehr zu
       unterhalten.
       
       10 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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