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       # taz.de -- TV-Doku über Abie Nathan: Frieden, der heiße Scheiß
       
       > Abie Nathan wartete auf niemanden, wenn es darum ging, Menschen zu
       > retten. Eine Dokumentation erinnert an das Leben des israelischen
       > Friedensaktivisten.
       
   IMG Bild: Abie Nathan (1927-2008): jung, fröhlich und engagiert.
       
       Er war Friedensaktivist und Frauenheld, Restaurantbesitzer und
       Hungerstreikender, Gemäldesammler und Gründer eines Piratenradiosenders –
       und Michael Douglas war interessiert daran, sein Leben zu verfilmen. Die
       Charakterisierung „vielschichtig“ scheint noch untertrieben zu sein für den
       israelischen Kosmopoliten Abie Nathan, der in einer jüdischen Familie mit
       iranischen Wurzeln in Bombay aufwuchs und 2008 verarmt im Alter von 81
       Jahren starb.
       
       Nathan war ohnehin jemand, für den sich Superlative aufdrängen. Der Begriff
       dickköpfig etwa reiche nicht aus, „für ihn braucht man ein viel stärkeres
       Wort“, sagt Schimon Peres in Eric Friedlers Dokumentation „The Voice of
       Peace. Der Traum des Abie Nathan“, die die ARD am Dienstag zeigt. Der
       israelische Staatspräsident war mit Nathan befreundet.
       
       Die Mehr-als-Dickköpfigkeit bringt Nathan mehrmals in Gefängnis. 1991 etwa,
       weil er sich verbotenerweise mit PLO-Chef Jassir Arafat getroffen hat. Drei
       Jahre macht sein Freund Peres, der ihn 1991 noch hinter Gitter gebracht
       hat, nichts anderes – und bekommt den Friedensnobelpreis. Will man wirklich
       etwas verändern, ist es halt nicht immer hilfreich, sich an Gesetze zu
       halten.
       
       Peres sagt heute über Nathan: „Nicht er war seiner Zeit voraus, wir waren
       unserer Zeit hinterher.“ Die Selbstkritik des Elder Statesman ist
       bemerkenswert, denn allenfalls Expolitiker hinterfragen mal öffentlich ihr
       Tun, aktive Staatsoberhäupter eher nicht.
       
       ## Legendärer Radiosender
       
       Der Filmtitel „The Voice of Peace“ bezieht sich auf den gleichnamigen
       Radiosender, den Nathan 1973 bis 1993 auf einem Schiff betrieb, das ihm
       John Lennon finanziert hatte. Es lag nahe der israelischen Küste, sendete
       laut offizieller Selbstdarstellung aber „von irgendwo im Mittelmeer“. Der
       Sender spielte Popmusik, die man im Nahen Osten sonst nirgendwo zu hören
       bekam, „und damit vereinnahmte Abie Nathan erst einmal die Jugend“, sagt
       Friedler. „Gleichzeitig pflanzte er die Botschaft des Friedens mit der
       Musik.“
       
       Politisch war der Sender vor allem insofern, als die Überschüsse aus
       Werbeeinnahmen humanitären Zwecken zugute kamen – sowohl Institutionen wie
       Kinderkrankenhäusern als auch kurzfristigen Aktionen gegen Hunger und
       Krankheiten in aller Welt. „Einige Werbekunden wussten das, ob es alle
       wussten, weiß ich nicht“, sagt Friedler.
       
       Nathan, ergänzt er, habe immer gesagt: „Ich warte nicht auf Staaten, ich
       warte nicht auf die UNO.“ Während der Hungersnot in Äthiopien Mitte der
       1980er Jahre habe der Aktivist „Tausenden Menschen“ das Leben gerettet.
       „Sieht man heute Leute wie Abie Nathan in Lampedusa, Syrien oder auf den
       Philippinen?“ fragt Friedler. „Ich nicht.“
       
       ## Zentrale Rolle der Musik
       
       Der Großteil der 17 Zeitzeugen, die der Regisseur ausgewählt hat, um Nathan
       zu neuem Leben zu erwecken, ist in Deutschland unbekannt, etwa Ex-DJs von
       „The Voice of Peace“. Im Film kommen aber auch Menschen vor, „von denen man
       heute sagen würde, sie seien Celebrities“ (Friedler). Darunter Michael
       Caine, der eine Hilfsaktion Nathans gegen die Hungersnot im nigerianischen
       Biafra finanzierte. Solche Unterstützung würde man heute – auch – als PR in
       eigener Sache werten, aber damals hätten Caine und Co. „das gar nicht
       publik gemacht“, meint Friedler.
       
       Friedler, der schon diverse Fernsehpreise im Regal stehen hat („Das
       Schweigen der Quandts“, „Aghet – ein Völkermord“, „Ein deutscher Boxer“),
       erzählt Nathans Geschichte „nicht chronologisch, sondern in der
       Wellenbewegung eines Lebens“. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Musik.
       Songs werden angespielt, die während einer Interviewpassage leise in den
       Hintergrund gemischt werden und dann wieder in den Vordergrund treten.
       
       „Wir haben genau die Songs benutzt, die The Voice of Peace gespielt hat“,
       sagt Friedler. Darunter sind Stücke, deren Magie erhalten geblieben ist
       („Move on up“ von Curtis Mayfield, „Mercy, Mercy Me“ von Marvin Gaye), aber
       auch Songs, die aufgrund ihrer Verwendung in allerlei Kontexten nicht frei
       von Abnutzung sind („Here comes the sun“ von den Beatles, John Lennons
       „Imagine“).
       
       ## Michael Douglas erinnern
       
       Während sehr viele Filmemacher diese Lieder lediglich als
       assoziationsreiche Geschmacksverstärker nutzen, um damit filmische
       Schwächen zu kompensieren, sind sie in „The Voice of Peace“ kongenial
       eingesetzt.
       
       In der mehrere Wochen langen Schnittphase habe er mit Cutterin Andrea
       Schröder-Jahn immer wieder ausprobiert, „welches Stück welches Gefühl am
       besten transportiert“. Eine ähnliche Sorgfalt ließ Friedler bei der
       Synchronisation walten. Jeder Protagonist habe „doch seinen eigenen
       Charakter“, insofern ist es für ihn, anders als für einen Großteil hiesiger
       Dokumentarfilmregisseure, abwegig, „einfach mal zwei Sprecher zu nehmen“,
       die dann das komplette nicht deutschsprachige Personal synchronisieren.
       
       Michael Douglas’ Angebot hat Abie Nathan damals übrigens abgelehnt.
       „Vielleicht“, sagt Friedler, „sollte man Douglas noch einmal an das Thema
       erinnern.“
       
       7 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR René Martens
       
       ## TAGS
       
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       sein Friedensflug nach Kairo 1965 und sein Piratensender Voice of Peace vor
       der Küste Tel Avivs.