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       # taz.de -- Tod nach Brechmittel-Einsatz: Polizei zeigt Reue
       
       > Mit einer neuen Broschüre will die Polizei Bremen intern den Tod Laye
       > Condés aufarbeiten – nach neun Jahren das erste offizielle Bekenntnis zur
       > Reue.
       
   IMG Bild: Hat sich für Laye Condés Tod entschuldigt: Polizeipräsident Lutz Müller.
       
       BREMEN taz | Mit einer neuen Broschüre will die Polizei den Tod von Laye
       Condé aufarbeiten. Der Sierra Leoner starb am 7. Januar 2005 an den Folgen
       der Zwangsvergabe von Brechmitteln. Im November wurde das bereits dritte
       Verfahren gegen den Polizeiarzt eingestellt. Die Broschüre soll für
       Fortbildungen eingesetzt werden und wird vor allem digital verteilt.
       
       Nach neun Jahren ist es die erste schriftliche Stellungnahme der Polizei zu
       Condés Tod. In einem Brief an dessen Mutter hatte Polizeipräsident Lutz
       Müller im Juni 2013 bereits sein Bedauern ausgedrückt. Bei der Vorstellung
       der Broschüre sagte er: „Heute würde ich mich dafür entschuldigen.“ Er ist
       damit weiter als der ehemalige Justizsenator Henning Scherf (SPD), der bei
       seinem Auftritt als Zeuge vor Gericht die Chance auf eine Entschuldigung
       verpasste.
       
       Unabhängig von der Verantwortung der Politik sei die Brechmittel-Vergabe
       „eine Sache, die unter der Verantwortung der Polizi gelaufen ist“, sagte
       Müller. Der Großteil der 40-seitigen Broschüre dokumentiert die
       Geschehnisse der letzten neun Jahre, begleitet von Stellungnahmen Müllers
       und Innensenator Ulrich Mäurers (SPD).
       
       Mäurer schreibt: „Den Tod Laye-Alama Condés bedauere ich zutiefst.“ Er war
       damals Staatsrat im Justizressort und frage sich seitdem wie andere
       politisch Verantwortliche, was sie über die Risiken hätten wissen müssen.
       Für die Drogenproblematik hätten die Bürger Lösungen gefordert. Seit 2001
       aber habe es eine Dienstanweisung gegeben, die verbot, den
       Brechmitteleinsatz mit körperlicher Gewalt durchzusetzen. „Darauf haben wir
       uns verlassen“, schreibt Mäurer. „Dies war aus heutiger Sicht falsch.“
       
       Sowohl die Stellungnahme Mäurers als auch die Lutz Müllers sind stark
       persönlich gehalten und heben auf die individuellen moralische
       Entscheidungen der Polizisten ab: „Warum hat keiner der Beteiligten
       rechtzeitig interveniert?“, fragt Mäurer und auch Müller sieht vor allem
       „berufsethische“ Fragen. „Am Ende trifft ein Beamter eine
       Einzelfall-Entscheidung“, sagte er bei der Vorstellung der Broschüre. Es
       gehe um eine „Abwägung der Verhältnismäßigkeit der Mittel“. Das richtige
       Maß an Gewaltanwendung sei „immer ein Kompromiss“, so Müller.
       
       Bei aller Berechtigung für jenen Appell an das individuelle Gewissen fehlt
       in der Broschüre der Hinweis auf die systematische Dimension der
       Brechmittelvergabe in Bremen – immerhin eine Praxis, die 2006 durch den
       Europäischen Gerichthof als Folter eingestuft wurde und seit 1992
       juristisch abgesichert mehrere Hundert Mal durch Polizisten in Bremen
       eingesetzt wurde. Folter, die von der Staatsanwaltschaft für
       Ermittlungsergebnisse gefordert und auf deren Basis Gerichte in zig
       Verfahren Urteile fällten.
       
       Für Gundula Oerter von der Initiative in Gedenken an Laye Condé fehlt in
       der Broschüre diese kritische Reflexion. Zwischen der Initiative und der
       Polizei hatte es im Vorfeld Gespräche gegeben, jedoch ohne ein gemeinsames
       Ergebniss. „Ich vermisse den Begriff der Folter und des
       Organisationsversagens, wie ihn der Bundesgerichtshof 2010 angeführt hat“,
       so Oerter. Auch kritisiert sie, was Ulrich Mäurer zur damaligen Situation
       der Drogenszene ausführt: „Man sagt im Grunde, in diesem Notstand war jedes
       Mittel recht.“
       
       Zu einer Aufarbeitung gehört für Oerter auch, dass die Polizei zugestehe,
       ein manifestes Problem mit Rassismus zu haben: „Racial profiling verstößt
       gegen das Grundgesetz, immer wieder werden Fälle davon öffentlich.“ Auch
       Condé sei wegen seiner Hautfarbe kontrolliert worden.
       
       Allerdings begrüßt Oerter die Broschüre als „den einzigen Schritt, der
       jemals an die Öffentlichkeit getan wurde“. Nun seien auch andere
       Verantwortliche gefordert, sich zu äußern.
       
       In Erinnerung daran, dass Condé durch staatliches Handeln umgebracht wurde,
       fordert die Initiative ein Denkmal, als ein öffentliches, dauerhaft
       sichtbares Zeichen.
       
       Polizeipräsident Müller, der im Sommer noch über eine Gedenktafel am
       Präsidium nachdachte, sieht die Polizei dabei „nicht in der ersten Reihe“:
       Über ein Denkmal müssten in der Stadt nun eher andere entscheiden, so
       Müller.
       
       ## Gedenkkundgebung: 7. Januar, 17.30 Uhr, Landgericht Bremen
       
       Hinweis: In einer früheren Version des Textes war das Jahr des
       Brechmittel-Entscheids des Europäischen Gerichtshofs falsch angegeben.
       
       5 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
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