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       # taz.de -- Frauen in Fernsehserien: Erfolgreich, aber einsam
       
       > Wie nie zuvor in der TV-Geschichte bieten Fernsehserien weiblichen
       > Hauptfiguren eine Plattform. Allerdings gibt es da einen großen Haken.
       
   IMG Bild: Emanzipierte Fernsehguckerin.
       
       Wir amüsieren uns mit ihr neuerdings auch auf Langstreckenflügen, meistens
       aber im Bett mit dem Laptop auf den Knien oder wir sehen sie uns klassisch
       vom Sofa aus im Fernseher an. Und immer bestimmen wir, die ZuschauerInnen,
       Zeitpunkt und Länge der Begegnung. Denn wir laden unsere Lieblinge unter
       den Bandwurmgeschichten im Netz herunter oder legen eine DVD ein.
       
       Die Serie gehört jetzt zu uns, den Individualisten, Cineasten und
       Fernsehfeindinnen. Der digitalen Revolution sei dank. Wegen ihr konnte sich
       das Episodenformat aus den Fängen der Fernsehsender, der Programmmacher und
       Werbekunden befreien. Also ein kleiner Teil hat sich befreit. Emanzipation
       geht ja immer von einer Minderheit aus.
       
       Die Freiheit, ein, zwei oder drei Episoden hintereinander anzusehen, und
       zwar ohne von Werbepausen gestört zu werden (im Postfernsehen ist Product
       Placement angesagt), hat gravierende Folgen für die Art, wie einem
       Massenpublikum Geschichten erzählt werden. Das ist eine gute Nachricht.
       Denn sie widerlegt die Idee der Fernseh-Entscheider, dass „der Zuschauer“
       nur da abgeholt werden sollte, wo mit seiner Dummheit zu rechnen ist. Und
       niemals dort, wo seine Intelligenz auf Unterhaltung wartet.
       
       Die alten Serien, „Dallas“, „Das Traumschiff“ etc., haben die Wiederholung
       als narratives Grundprinzip: Die Figuren lernen nichts dazu, denn sie haben
       kein Gedächtnis. Bei den emanzipierten Serien läuft das völlig anders. Sie
       orientieren sich am Zeitgeist, und der feiert ein lebenslanges Lernen.
       
       ## Die Figuren entwickeln sich
       
       Entsprechend treten die Figuren nicht auf der Stelle, sondern verarbeiten
       gemachte Erfahrungen und entwickeln sich. Ob zum Guten oder Schlechten,
       bleibt meist bis zum Schluss offen. Sie repräsentieren auch nicht mehr
       jeweils eine Sicht auf die Welt. Sondern sie verkörpern den Leitspruch des
       modernen und postmodernen Subjekts: Ich sind viele. Die neuen HeldInnen
       werden also unberechenbar. Nie kann man sich sicher sein, ob der gewählte
       Sympathieträger sympathisch bleibt. Also gilt es, dabei zu bleiben, Stunde
       um Stunde.
       
       Bei den emanzipierten Serien spielt Zeit, ja Dauer ein große Rolle. Wir,
       die Ewiggehetzten und Eventgesättigten verbringen Tage und Nächte mit
       diesen Figuren und ihren mal mehr, mal weniger aufregenden Geschichten,
       über Wochen hinweg. Der Serienkonsum bietet die Möglichkeit, Zeithaben als
       ästhetische Erfahrung zu konsumieren. Zeit zu stehlen, macht einen Teil des
       Vergnügens aus. Für einen Moment emanzipieren wir uns vom Dauerstress.
       
       Vor allem aber verlangt das auf Dauer angelegte Serienformat neue Inhalte
       und mehr noch Komplexität. Die AutorInnen tun gut daran, ihre Geschichten
       von Anfang an breit anzulegen. Wie sonst ließen sich drei, fünf oder mehr
       Staffeln mit mindestens zehn Episoden à 50 Minuten füllen?
       
       Die neue Form ruft danach, filigrane und verschlungene
       Gesellschaftspanoramen zu zeichnen. Aktuell erfolgreiche Serien aus
       Dänemark, „Borgen“ oder „Kommissarin Lund“, sind in dieser Hinsicht
       besonders ambitioniert. Episode um Episode leuchten sie zentrale
       Institutionen der Mediendemokratie aus: das Parlament, das Fernsehen, die
       Polizei, die Familie. Wie wird dort gearbeitet und gelebt, wie bleibt man
       ein guter Mensch? Geduldig fräsen sie sich durch die Hirnwendungen ihrer
       HeldInnen und AntiheldInnen.
       
       ## Und überall die Chefin
       
       Wer diese Serien ansieht, nimmt an dem Versuch teil, detailversessene
       Gesellschaftsanalyse mit psychologisch anspruchsvoll gebauten
       EinzelkämpferInnen zu verbinden, Sprachwitz und aufwändige Kameraführung
       inklusive.
       
       Just dieses neue Erzählverfahren betreibt Emanzipation nun auch im
       herkömmlichen Sinn: Wie nie zuvor in der Fernsehgeschichte bietet sie
       weiblichen Hauptfiguren eine Plattform. Besonders ein Typus macht hier in
       den letzten Jahren Karriere: die Chefin. Die hat sich aus eigener Kraft
       nach oben gearbeitet, ist leistungsfähig, selbstbestimmt, attraktiv und
       charmant. Ansonsten sind die Frauen mit Gestaltungswillen mal jünger, mal
       älter, mal sanft, mal burschikos – der Reigen von Frauenfiguren im
       Fernsehen hat sich geweitet. Das ist ein großer Schritt in Richtung
       Freiheit und gar nicht zu überschätzen.
       
       Allerdings fällt eine Sache bei den charismatischen Macherinnen auf: So gut
       wie keine genießt ihr Leben, ihren Erfolg, genießt ihre Macht, das
       verdiente Geld, nicht einmal vorübergehend. Tut sie es doch, entpuppt sie
       sich als böser, sehr böser Charakter, wie etwa Glenn Close als Patty Hewes
       in „Damages“. Doch egal ob gut oder böse, alle arbeiten und arbeiten und
       arbeiten.
       
       Max Weber beschrieb diesen aktuell mit dem Glamour der Emanzipation
       versehenen und von der sportlichen, unerschrockenen Frau verkörperten
       „Geist des Kapitalismus“ vor rund hundert Jahren so: „Nicht Muße und
       Genuss, sondern nur Handeln dient nach dem unzweideutig geoffenbarten
       Willen Gottes zur Mehrung seines Ruhms. Zeitvergeudung ist also die erste
       und prinzipiell schwerste aller Sünden.“
       
       ## Unterwerfung nur der Leistung
       
       Besser lässt sich die Ethik der gegenwärtig medial vermittelbaren
       ambitionierten, berufstätigen Frau kaum beschreiben. Diese eigenwilligen,
       hochindividualisierten Leistungsträgerinnen zwischen 30 und 60 Jahren
       unterwerfen sich keinem Vater, keiner Mutter, keinem Chef und keinem
       Geliebten. Aber dem Leistungsfetischismus. Und der verbietet
       Zeitverschwendung und zweckfreien Genuss. Sein Disziplinierungsverfahren
       ist Stress, permanenter Stress. Trotzdem gibt es einen Unterschied: Alle
       Heldinnen haben Sex, der sich weder notwendig an einen Kinderwunsch knüpft
       noch an ein Treueversprechen. Das gehört heutzutage zu einer als gelungen
       erachteten Performanz der Chefin dazu. Die ihr zugeordnete Askese bezieht
       sich damit „nur“ auf das Genießen und auf tiefergehende Gefühle, auf
       Bindungen.
       
       Dass das weibliche Genießen selbst in den emanzipierten Serien zumeist mit
       einem Tabu belegt wird, verweist auf ein kollektives Unbehagen. Es verweist
       auf eine Schuld, die ihnen schweigend angelastet wird.
       
       Die Chefinnen erfüllen die ihrem Geschlecht bis heute anheimgestellten
       Auftrag nicht. Denn sie lehnen es ab, das wenigstens sie das Privatleben
       als Gegenwelt zur Arbeitswelt verteidigen. Stattdessen fließen Arbeit und
       Privatleben ineinander. Wie bei den Männern auch.
       
       ## Kompensation durch Liebesentzug
       
       Die Trennung zwischen bezahlter Arbeit und Familie ist aber für die
       bürgerliche Ordnung seit 200 Jahren grundlegend. Die neuen, fast immer der
       Mittelschicht angehörenden Heldinnen der Arbeit erschüttern just dieses
       Fundament der Zweiteilung. Das verlangt Kompensation, und sie besteht im
       Liebesentzug. Nach dem Motto: Wir beobachten dich fasziniert, aber wir
       lieben dich nicht. Auch deine Liebsten werden dich verlassen. Du stirbst
       allein.
       
       Diese Ambivalenz ist typisch für Gesellschaften, die sich nach Emanzipation
       sehnen, aber an der tradierten Ordnung festhalten möchten, die ernsthafte
       Veränderungen scheuen. Sie können nur die konservative Emanzipation
       goutieren. Die attraktive, erfolgreiche, aber stets einsame Frau ist das
       Produkt dieser konservativen Emanzipation.
       
       Die große Ausnahme bildet die Serie „Borgen“. Am Ende wird die Heldin nicht
       für ihren Erfolg abgestraft, sie bleibt nicht allein, sondern steht mit
       Mitte Vierzig am Anfang eines neuen Lebens. Und auch das verspricht
       spannend zu werden.
       
       31 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ines Kappert
       
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