URI: 
       # taz.de -- Die Wahrheit: Nussige Kopfnüsse
       
       > Auf einer Tagung der Tier-Gourmets kritisieren die Kenner der gemeinen
       > Nuss die menschlichen Feinschmecker.
       
   IMG Bild: Die erfahrenen Nussexperten unter den Eichhörnchen schütteln nur den Kopf über menschliche Gourmets.
       
       Willbert von Bullschwitz, das rotbraun schimmernde Eichhörnchen mit dem
       besonders mächtigen Schwanz, hatte seinen Auftritt geschickt inszeniert.
       Als Letztes kam es durch die große Tür gehüpft und wurde sofort mit Applaus
       überschüttet, kaum dass es ein paar Haselnüsse voller Appetit wegzuknabbern
       begann. „Nur Nüsse sind richtig nussig“, sagte Willbert und hatte die
       Lacher auf seiner Seite.
       
       Die Wintertagung der Tier-Gourmets 2013 im Bonner „Haus der angewandten
       Gaumenkultur“ war eine jener Veranstaltungen, die in unserer medialen
       Massenhysterie so fahrlässig unbeachtet bleiben. Dabei war das Thema gerade
       für Menschen elementar interessant. Und entlarvend für jene Homo
       sapiensiker, die uns feinschmeckend die hohe Kunst des Genusses erklären
       wollen.
       
       Passionierte Nuss-Liebhaber waren die Stars des Konvents. Sie wussten aus
       lebenslangem Erleben, wovon menschliche Gastronomiekritiker seit einigen
       Jahren immer häufiger faseln. „Nussig, alles schmeckt bei denen immer
       nussig“, hatte im Eingangsreferat Willberts Onkel Professor Wotan von
       Bullschwitz berichtet: „Lesen Sie einen beliebigen Restaurantbericht. Ob
       Wein, ob Salat, ob Bier oder Öle: Alles adeln diese Essenstexter als
       nussig. Nur wenn etwas irgendwie nussig-nussig-nussig schmeckt, ist es
       gut.“ Stimmt ja auch, johlte die Abordnung der Feldhamster. „Wir sind die
       wahren Gourmets.“
       
       Hunderte Fälle hatte man gesammelt. Ein wichtigtuerischer Vorkoster-Bericht
       nach dem anderen wurde zitiert – von „süßlich-nussig“ über „richtig nussig“
       und „nussig-mehlig“ bis zum mäßig differenzierten „irgendwie nussig“. Der
       Fernsehkoch Johann Lafer preist „nussige Wild-Schnitzel“ an. Das
       Vegan-Blatt lobpreist „nussig-zimtige Tofu-Knödel auf Sauerrahm-Spiegel“.
       Man lachte sehr.
       
       Kekse kommen am besten als „nussig-fruchtige Rauten vom Blech“, habe einer
       gedichtet, rief ein Ahörnchen kichernd. „Und zart-nussig hab ich auch schon
       gelesen genauso wie nussig-pfeffrig, nussig-brotig und nussig-pfiffig“. In
       der Genießergazette FAZ waren in diesem Sommer auch schon getrocknete
       Mehlwürmer nussig, berichtete angeekelt ein Schimpanse. Als das Behörnchen
       „nussig geröstete Blüten“ aus einem Testbericht zitierte, buhte die
       Abordnung der Bienen. „Frechheit! Nussiger Nektar ist Frevel. Da sind wir
       sehr für naturbelassene Kost.“
       
       „Schmeckt den Menschen denn alles nussig, auch Nüsse?“, wollte ein junger
       Igel spitzfindig wissen. „Wir haben einen Verdacht“, sagte Prof. von
       Bullschwitz. „Früher schüttete die humanoide Hausfrau auf alles ihr Maggi.
       Heute ist nussig das moderne Maggi der Gourmets.“ Was dann mit
       Nuss-Allergikern sei, wollte ein Steinmarder wissen. „Gute Frage“, meinte
       von Bullschwitz, nur sei die psychogene Wirkung alles Nussigen auf solche
       Allergiker noch nicht erforscht: „Wer schon auf den angedichteten Verdacht
       von Nuss allergisch reagiert, dürfte konsequenterweise gar nichts mehr
       essen und würde verhungern.“
       
       Murmeltier Sven, das extra seinen Winterschlaf unterbrochen hatte,
       referierte über „fortgeschrittene Nuss-Differenzierungen“: Steirischer
       Lachs werde in einem Gourmetbericht als „walnussig“ beschrieben. Ein Kaffee
       präsentiere sich „mit haselnussbraunen Reflexen“. Über einen anderen steht
       gedichtet: „Der dickflüssig schmelzende Körper verleiht dem Kaffee ein
       paranussiges Lakritzaroma.“ Dem Texter der Lebensmittel Zeitung schmeckte
       ein Öl „fein nussig nach Kokos“. In einem Kinderlied sei ein gebratenes
       Hühnchen „so erdnussig“ geraten, dass man das Fleisch gar nicht mehr
       schmecke. „Erdnüsse, juchhu“, tirilierten die Meisen, „mit solch
       erdnussigen Hühnchen könnte man Vegetarier austricksen.“
       
       „Nur kopfnussig fehlt“, grunzte das dickschädelige Hängebauchschwein Dr.
       Wutzke. Es berichtete vom Versuch mit einem gefundenen Rezept: „4 EL Butter
       in einem kleinen Topf so lange erhitzen, bis sie nussig duftet“, habe da
       gestanden. Es habe gewartet und gewartet, nichts passierte. Plötzlich roch
       es völlig verbrannt. „Von wegen nussig. Den schwarz-braun angekohlten Topf
       habe ich wegwerfen müssen.“
       
       „Nüsse“, hieß es im Abschluss-Kommuniqué der Tier-Gourmet-Tagung, „sind
       allein unser natürliches Terrain. Nur eine Nuss schmeckt wahrhaft nussig.“
       Als Kampfparole wurde schließlich verabschiedet: „Wider die artifizielle
       Vernussung des Daseins. Dem anbiedernden Nussterror der Menschen müssen wir
       die Stirn bieten.“ – „Und den Hintern“, rief eine der Bienen und ließ ihren
       Stachel aufblitzen. „Sonst gibt’s was auf die Nuss – und zwar ganz
       genüsslich.“
       
       26 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Müllender
       
       ## TAGS
       
   DIR Flüchtlinge
   DIR Kuchen
   DIR Brasilien
   DIR Duden
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Wahrheit: Gorleben für alle
       
       Die Zukunft strahlt jetzt schon: Endlich wird der weltweite Atomabfall
       gerecht aufgeteilt: 50 Gramm Atommüll pro Kopf, ab sofort.
       
   DIR Die Wahrheit: Kopulierende Kühlschränke
       
       Professor Dr. Hermann Koock sei Dank: Küchensex – endlich ist auch dieses
       Liebesspiel gründlich erforscht.
       
   DIR Die Wahrheit: Der Löw im Wolfspelz
       
       Das aktuelle Wahrheit-Interview: Der Göttinger Humanzoologe Holger
       Hirsch-Wurz über tierische Tyrannen im menschlichen Dasein.
       
   DIR Die Wahrheit: Musenkuss am Jännerfluss
       
       Brasilienwoche der Wahrheit: Über Fußball und andere lebensbeherrschende
       Nebensachen.
       
   DIR Die Wahrheit: Shitstorm statt Stickhusten
       
       Der Duden hat in seiner 26. Auflage altbewährte Wörter aus dem allgemeinen
       Wortschatz einfach ausgemustert. Die Opfer wollen jetzt klagen.