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       # taz.de -- Grüne und Liberalismus: „Die Farbe der Freiheit ist Grün“
       
       > Bundestagsabgeordnete der Grünen äußern sich darüber, wie ein
       > Liberalismus jenseits der FDP aussehen könnte. Neue Ideen liefern sie
       > leider nicht.
       
   IMG Bild: Für die Grünen ganz wichtig: Immer auf Augenhöhe – Farbe egal
       
       BERLIN taz | Der Veggie-Day wird in die Geschichtsbücher als Synonym für
       einen missglückten Wahlkampf eingehen. Das harmlose Gedankenspiel, einen
       fleischfreien Tag in Kantinen einzuführen, produzierte ein Desaster für die
       Grünen. Union, FDP und interessierte Medien nutzten diese Vorlage vor der
       Bundestagswahl, um die Grünen böse zu etikettieren. Plötzlich war die
       Ökopartei, die sich immer schon cooler fand als andere, die
       „Verbotspartei“.
       
       Bis heute denkt der Bundesvorstand darüber nach, wie das passieren konnte.
       Alle sind sich einig: Die Partei soll wieder eine freiheitliche
       Ausstrahlung bekommen. Mehrere Bundestagsabgeordnete haben jetzt ein
       Strategiepapier verfasst, das sich der Frage nähern soll: Was ist das
       eigentlich, grüner Liberalismus?
       
       Das achtseitige Papier, das der taz vorliegt, trägt den optimistischen
       Titel „Die Farbe der Freiheit ist Grün“. Unterzeichnet haben Vertreter
       beider Parteiflügel: etwa die Abgeordneten Kai Gehring, Irene Mihalic,
       Özcan Mutlu, die allesamt aus dem Realo-Lager kommen, genauso wie der
       linksgrüne Basisstratege Robert Zion.
       
       Es ist der erste größere intellektuelle Aufschlag zu dem Thema. Bisher
       blieb die interne Debatte in den Anfängen stecken, etwa auf dem Parteitag
       im Oktober, bei dem die Delegierten vage beschlossen, „Selbstbestimmung und
       Liberalität sind bei uns Grünen zu Hause.“
       
       Die Autoren beginnen mit Selbstkritik. „Die Menschen fühlten sich von uns
       bevormundet“, schreiben sie. Die Grünen seien als Partei wahrgenommen
       worden, die „eine bestimmte Art zu leben von oben herab verordnen wollte“.
       Entsprechend müssten die Grünen ihre Freiheitserzählung wieder entfalten.
       Das ist Konsens in der Partei.
       
       Mehrere Absätze verwenden sie darauf, sich von der FDP abzugrenzen. Der
       Freiheitsbegriff der Grünen sei ein solidarischer, betonen sie. Jeder müsse
       leben können, wie er will – „nicht auf dem Rücken anderer, nicht auf Kosten
       noch ungeborener, künftiger Generationen und nicht als Adressat eines
       übertriebenen Etatismus“. Sie setzen dem FDP-Modell des schwachen, dem
       Markt größten Freiraum lassenden Staates ein anderes entgegen. Ein starker
       Staat stelle in Bildung, Kultur oder Gesundheit starke Institutionen bereit
       und befähige so alle Menschen, Starke wie Schwache, zur Selbstbestimmung.
       
       ## Ein starker Staat
       
       Ein freiheitlicher Staat, sind sich Gehring und Co. einig, begegne seinen
       Bürgern auf Augenhöhe, ob in der Arbeitsagentur oder gegenüber
       Bürgerinitiativen. Und er müsse stark sein, um Grund- und Bürgerrechte
       wirksam zu schützen. Ausführlich versuchen die Autoren darzulegen, wodurch
       sie Freiheit bedroht sehen. Hier suchen sie erkennbar Schnittmengen mit
       eigenen Positionen und deklinieren Liberalismus für grüne Programmatik
       durch.
       
       Wenn sie etwa fordern, jeder Mensch müsse mündige Entscheidungen treffen
       können, meinen sie besseren Verbraucherschutz, zum Beispiel die
       kundenfreundliche Kennzeichnung von Lebensmitteln. Wenn sie kritisieren,
       dass das Individuum von Unternehmen und Staat „immer öfter als Datensatz
       wahrgenommen“ werde, „der gerastert, gespeichert und einsortiert wird“,
       wollen sie dem einen besseren Datenschutz entgegensetzen. Ebenso heben sie
       eine konsequente Gleichstellungspolitik hervor, welche allen gleiche Rechte
       und Chancen erst ermögliche.
       
       Explizit definieren sie den Erhalt der Natur als Freiheitsthema. „Die
       Förderung und der konsequente Ausbau erneuerbarer Energien verringern die
       Einschränkungen für aktuelle und zukünftige Generationen massiv“, schreiben
       die Autoren. Die grüne Idee einer „Energiewende in BürgerInnenhand“ schaffe
       Unabhängigkeit. Ebenso erklären sie soziale Gerechtigkeit zum
       Freiheitsthema. Nur eine inklusive Gesellschaft, die allen Bürgern gleiche
       Startchancen und Zugang zu öffentlichen Gütern gewähre, sei wirklich frei.
       
       Das Papier hat die Schwäche, keine neue Idee zu liefern. Es enthält etwa
       keine Forderung, was sich ändern müsse im grünen Wahlprogramm. Dafür
       liefert es Ansätze, wo die Grünen ihre neue Erzählung im Bestehenden finden
       könnten. Entsprechend wollen die Autoren ihren Beitrag vor allem als Impuls
       für eine „lebendige, interdisziplinäre Debatte“ verstanden wissen.
       
       23 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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