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       # taz.de -- Die Wahrheit: Ein Fest für Masochisten
       
       > In der Weihnachtszeit kommt die bucklige Verwandtschaft zusammen – und
       > streitet. Bei Familienkrisen kann ein versierter Mediator helfen.
       
   IMG Bild: Viele können den Familienwahn nur mit einem Joint überstehen
       
       Weihnachten – das Fest der Liebe. So heißt es, doch dieses Bonmot ist nur
       eine Erfindung der Konsumgüterindustrie. Die knallharte Realität sieht
       anders aus: An den Feiertagen zerbricht erst das Geschirr und dann die
       Beziehung, werden Kinder enterbt, Omas an Tankstellen ausgesetzt, Haustiere
       ins Heim abgeschoben und Weihnachtsmänner mit minderwertigem
       Selbstgebranntem abgefüllt.
       
       Doch zum Glück gibt es noch Idealisten wie Oliver Klein. Klein hätte
       beinahe an der Uni Duisburg Sozialarbeit studiert, musste dann aber wegen
       einer verschleppten Bänderdehnung auf die Immatrikulation verzichten.
       Seitdem fährt er an den Feiertagen zu Problemfamilien und setzt sich vor
       Ort unermüdlich für mehr Harmonie ein. Dabei schont er weder sich noch
       seine Gastgeber. „Mediation ist Masochismus“, sagt Klein.
       
       Dieses Jahr kümmert sich der dynamische Dreißigjährige liebevoll um Familie
       Rotkamp, die in einem soliden Wohngebiet nahe Köln wohnt. Oft wissen Kleins
       Kunden im Vorfeld nichts von seinem Besuch. „Die kucken immer, wenn ich mit
       Sack und Pack vor der Tür stehe! Aber das muss unangekündigt sein, sonst
       haben die sich mental vorbereitet und handeln nicht authentisch!“
       
       Klein zieht bei seinen Klienten für „ein paar Tage oder so“ ein, um ganz
       nah den Alltag mitzuerleben und bei Bedarf als Mediator aktiv zu werden.
       Bei den Rotkamps hat er kurzerhand das Zimmer des neunjährigen Jonas in
       Beschlag genommen. „Bis zum 18. Lebensjahr sollten Kinder sowieso noch bei
       ihren Eltern im Bett schlafen!“, hält er Jonas entgegen, der wissen will,
       was der „komische Mann“ in seinem Zimmer zu suchen habe.
       
       ## Typische Paarsituationen
       
       Die Rotkamps seien ein schwieriger Fall. Die Eltern verstünden sich mit
       ihren Kindern, der Mann habe einen guten Job, die Mutter engagiere sich
       sozial, die Kinder besuchten weiterführende Schulen: „Das klingt ein
       bisschen zu perfekt, oder?!“ Klein hat schon zu viel erlebt, als dass er
       sich von gespielter Harmonie täuschen ließe. Er weiß genau, dass das Unheil
       unter der perfekten Oberfläche brodelt.
       
       Claudia Rotkamp bereitet mit Tränen in den Augen das Abendessen zu, weil
       Klein ihr gerade eröffnet hat, dass ihr Mann eine Affäre habe, wenn er so
       spät nach Hause komme. „Emotionen zulassen!“, empfiehlt der Mediator,
       während er gemütlich in der Küche sitzt und sich ein Glas Rotwein
       einschüttet. „Und nicht an der Soße sparen, Claudia!“ In solch typischen
       Paarsituationen spiegele er bewusst den Ehepartner, um unterschwellige
       Spannungen deutlich zu machen, erklärt der Sozialhandwerker.
       
       Oliver Klein bleibt immer die Ruhe in Person. Auch als Herr Rotkamp beim
       Aufräumen Marihuana im Zimmer seines Sohnes findet und vor versammelter
       Familie das Tütchen anklagend in die Höhe hält. Klein reagiert behände.
       Sofortiger Entzug sei unerlässlich, erklärt der Teilzeitpädagoge und stellt
       das Grastütchen sicher. „War schließlich nicht billig, das Zeug“, murmelt
       Klein, als er sich entschuldigt, um in Jonas’ Zimmer „gründlich über
       weitere Therapiemöglichkeiten“ nachzudenken.
       
       20 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nico Rau
       
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