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       # taz.de -- Debatte Ukraine: Oligarchen und Demokratie 
       
       > Die Proteste gegen die Eliten verdienen jede Unterstützung. Politikern
       > aus dem Westen, die nun „Werte“ betonen, geht es allein ums Gas.
       
   IMG Bild: Das Gas und die Oligarchen entscheiden immer noch über alles, was in der Ukraine geschieht.
       
       Es ist pure Berechnung, wenn europäische PolitikerInnen die Demonstrationen
       gegen den ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und seine Regierung
       wortgewaltig unterstützen und dabei wohlgefällig von den „europäischen
       Werten“ reden, die bei einer Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen mit
       der EU erfüllt werden können.
       
       Ein Blick nach Sofia reicht aus, um die Realität zu zeigen. Dort
       demonstrieren seit Monaten Bürger gegen das mafiöse politische System und
       die herrschenden Oligarchen. Kein einziger europäischer Politiker hat sich
       bisher dort blicken lassen. Im Zweifel interessiert sich die EU nicht für
       ihre Werte. Und im Fall von der Ukraine geht es ihr ums Erdgas.
       
       Dabei hätte es die Zivilgesellschaft in der Ukraine verdient, dass sie
       nicht wieder von unterschiedlichen Wirtschaftsinteressen instrumentalisiert
       wird, wie einst nach der orangenen Revolution im Jahr 2004.
       
       Konnte die damals vom Westen bis heute gehuldigte Julia Timoschenko die
       Hoffnungen auf demokratische Erneuerung erfüllen? Nein. Nur wenige Wochen
       nach der orangenen Revolution 2005, wurde Viktor Juschtschenko zum
       Präsidenten gewählt und Julia Timoschenko als Premierministerin vereidigt.
       
       ## Auch Timoschenko ist korrupt
       
       Bereits drei Monate darauf, warf er der einst von ihm so gelobten Kollegin
       vor, sie habe ihre Amtszeit missbraucht, um sich der Schulden aus ihrer
       Zeit als Gas-Unternehmerin in den neunziger Jahren zu entledigen. Es
       handele sich um insgesamt 1,3 Milliarden Euro. Sie zu entlassen, sei eine
       Frage der Ehre für ihn gewesen.
       
       Kurz danach, am 8. September 2005, schickte Wiktor Juschtschenko die
       gesamte Regierung in die Wüste. Das war das Ende des Traums einer
       demokratischen Erneuerung. Profiteur war Wiktor Janukowitsch und seine
       Partei der Regionen.
       
       „Die sind alle vernetzt. Sie sind wie Schlangen.“ So umschreibt Grigori
       Omeltschenko, seit Anfang der neunziger Jahre einer der umtriebigsten
       Antikorruptionsexperten und ehemaliges Mitglied des ukrainischen
       Parlaments, die Situation in der Ukraine und trifft den Nagel auf den Kopf.
       „Sie waren alle beteiligt, haben Geld gewaschen. Das ist ein Teil unserer
       Geschichte.“
       
       Eine zentrale Rolle spielt dabei das lukrative Geschäft mit Gas, in das so
       viele Oligarchen und die von ihren profitierenden Politiker eingebunden
       waren und sind. Das Geschäft mit Gas (und das heißt Gazprom) ist
       gleichzeitig die zentrale politische Waffe des Kremls. In einem
       vertraulichen Bericht des BND vom Dezember 2011 wird das Folgende
       behauptet: „Schätzungsweise siebzig Prozent der Gasversorger werden – unter
       anderem durch Korruption – von Firtasch-Strukturen kontrolliert.“
       
       ## Die Oligarchen entscheiden
       
       Dimitry Firtasch ist einer der wichtigsten Oligarchen und eng an Wiktor
       Janukowitsch gebunden. Weiter steht in dem BND-Bericht: „Mangelnde
       Bilanzkontrolle ermöglicht es auf allen Stufen des Gaszwischenhandels
       Gelder abzuzweigen, die später für Investitionen in die Infrastruktur
       fehlen.“
       
       Gleichzeitig sind die Gaspreise das erfolgreiche Erpressungsinstrument von
       Wladimir Putin und Gazprom: Gaspreise hoch, um politisch Einfluss zu
       nehmen, Gaspreise runter als Belohnung. Wobei nicht vergessen werden darf,
       dass die Ukraine durch den Bau der North-Stream-Pipeline von Gazprom
       erheblichen wirtschaftlichen Schaden erlitt. Vorsitzender des
       Aktionärsausschusses von North-Stream ist bekanntlich ein ehemaliger
       SPD-Bundeskanzler.
       
       Am 17. Dezember 2013 meldeten die Medien, dass sich der ukrainische
       Präsident Janukowitsch mit Wladimir Putin in Moskau getroffen habe. Der
       Despot im Kreml gewährt nicht nur Finanzhilfen in Höhe von 10,9 Milliarden
       Euro, sondern versprach den extrem hohen Gaspreis kräftig zu reduzieren. Es
       war auch Putin, der am 19. Januar 2009 in Moskau mit Julia Timotschenko den
       bislang hohen Gaspreis ausgehandelt hatte. Dieser Vertrag wiederum führte
       dazu, dass Timotschenko am 11. Oktober 2011 zu sieben Jahren Haft wegen
       Amtsmissbrauch verurteilt wurde.
       
       Inzwischen unterstützen die wichtigsten Oligarchen und auch der
       Firtasch-Klan die Maidan-Bewegung und sprechen davon, dass die Ukraine das
       Assoziierungsabkommen mit der EU unEU-Schwenk nützt dem Geschäftterzeichnen
       soll. In der Ukraine sagt man, die Oligarchen legen ihre Eier in alle
       Körperteile.
       
       ## Klitschkos Pakt mit den Rechten
       
       Letztlich kommt es nur auf einen einzigen an, auf Rinat Akhmetov. Er ist
       nicht nur der mächtigste Oligarch der Ukraine, sondern war bislang die
       wichtigste Stütze des Janukowitsch-Klans. Jetzt hat er sich gegen ihn
       gestellt. Bis heute ist nicht ganz klar, ob Akhmetov den wie er selbst aus
       Donezk stammenden Wiktor Janukowitsch als Strohmann für seine eigenen
       politischen Ambitionen vorgeschoben hat. In der Ukraine jedenfalls gilt die
       Erkenntnis: „Eine Fliege kann nicht fliegen, wenn Akhmetov nicht zustimmt.“
       Aber warum wechselt Rinat Achmetow jetzt die Seiten?
       
       Nach Informationen aus einer westlichen Botschaft in Kiew haben ihm die USA
       die Einreise verweigert und zu verstehen gegeben, dass man sich seine
       Konten im Ausland jederzeit mal etwas genauer ansehen könnte. Achmetow
       solle auf den von ihm gestützten und finanzierten Janukowitsch entsprechend
       einwirken.
       
       Und die Opposition? Die hat in der Vergangenheit wenig Anlass gegeben, an
       ihre demokratische Regierungsfähigkeit zu glauben. Auch Dr. Faust, wie ihr
       derzeitiger Sprecher Vitali Klitschko genannt wird, lässt politische
       Alternativen vermissen und zahlreiche Abgeordnete seiner Partei sind mit
       dem Oligarchen Firtasch verbunden.
       
       Und die Europäer und die USA? Die stören sich nicht einmal daran, dass
       neben Vitali Klitschko auch Oleh Tjahnybok steht, der Vorsitzende der
       rechtsextremen Partei Swoboda.
       
       Fazit? Noch immer bestimmt das Geld der Oligarchen die gesamte ukrainische
       Politik auf allen Ebenen, je nach Interessenlagen. Wenn die
       Euro-Maidan-Bewegung in der Ukraine überhaupt eine Chance haben soll, dann
       braucht sie Politiker und Politikerinnen, die von diesem System unbelastet
       sind. Bislang gibt es sie nicht.
       
       20 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Roth
       
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