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       # taz.de -- Grundschule: Lauttabelle bleibt erlaubt
       
       > Rechtschreib-Experten beschweren sich beim Schulausschuss, weil sie ihre
       > Aussagen falsch dargestellt sehen. Die Methode „Lesen durch Schreiben“
       > wird modifiziert.
       
   IMG Bild: Zankapfel: Wie Hamburger Kinder künftig schreiben lernen.
       
       HAMBURG taz | Um die Frage, wie Kinder am besten Lesen und Schreiben
       lernen, gibt es Streit. Um eine „Rechtschreibkatastrophe“ zu verhindern,
       hatte die FDP in der Bürgerschaft beantragt, die Methode „Lesen durch
       Schreiben“ aus den Schulen zu verbannen. Doch die Anfang Dezember im
       Schulausschuss angehörten Experten sahen mehrheitlich keinen Grund, den
       Hamburger Bildungsplan zu verändern. Vier von ihnen schrieben nun einen
       Beschwerdebrief, weil diverse Medien irreführend berichtet hätten.
       
       Es geht um eine Methode, die der Schweizer Reformpädagoge Jürgen Reichen in
       den 1980er Jahren entwickelte: Schulanfänger sollten Worte zunächst so
       schreiben dürfen, wie sie sie sprechen. Rechtsschreibfehler sollten erst
       korrigiert werden, wenn Kinder erste Worte „lautgerecht“ schreiben können.
       In Hamburg arbeiten die Reformschulen Max-Brauer, Winterhude und Rellinger
       Straße mit dieser Methode.
       
       „Es geht in der ersten Phase darum, dass Kinder lernen, die Laute eines
       Wortes in Buchstaben zu übertragen“, erklärt Schulleiterin Petra Stumpf von
       der Rellinger Straße. Schreibe ein Kind „Hunt“ mit „t“, werde dies zunächst
       nicht korrigiert. Sobald es aber erste Worte beherrsche, werde über die
       Bildung des Plurals erklärt, warum statt des „t“ ein „d“ am Ende stehen
       müsse. Die Methode habe den Vorteil, dass Kinder motiviert seien, eigene
       Texte zu schreiben.
       
       Die Berliner Bildungsstudie „BeLesen“ hat nun aber ergeben, dass
       Migrantenkinder mit Reichens Methode die Rechtschreibung schlechter lernen.
       Auch der Bildungsforscher Peter May vom Institut für Lehrerbildung warnte
       in der Welt, dass Reichen über das Ziel hinausgeschossen sei, indem er „die
       Rolle Lehrers als Unterrichtender, als Leitender und Helfer der Schüler
       zurückgestellt hat zugunsten der Eigenaktivität der Kinder“. Kinder aus
       sozial schwierigen Vierteln wären durch den Lesen-durch-schreiben-Lehrgang
       „im Nachteil“.
       
       Nach der Expertenanhörung Anfang Dezember forderte die CDU, die Methode
       müsse „ausdrücklich verboten werden“. Auch müssten Kinder am Ende von
       Klasse vier über einen verbindlichen Grundwortschatz verfügen. Und die
       Initiative „Wir wollen lernen“ des Schulausschuss-Chefs Walter Scheuerl
       tönte, Schulsenator Ties Rabe (SPD) müsse den Bildungsplan Deutsch nach
       „einhelliger Kritik“ von sieben Rechtschreib-Experten „gründlich
       überarbeiten“.
       
       Das wollen vier der sieben Fachleute nicht so stehen lassen. „Diese
       verzerrte Darstellung und unsere Inanspruchnahme für einseitige Positionen
       empört uns“, heißt es in einem Brief, den der Schulforscher Hans Brügelmann
       mit den Sachverständigen Erika Brinkmann, Petra Hüttis-Graff und Horst
       Bartnitzky schrieb.
       
       „Es wurde mehrheitlich keine Veränderung des gegenwärtigen Bildungsplans
       gefordert“, sagt Brügelmann. Auch habe die Mehrheit nicht für ein Verbot
       des „lautorientierten Schreibens“ plädiert, sondern für eine Ergänzung.
       
       „Die Kinder müssen am Anfang begreifen, dass unsere Schrift an Lauten
       orientiert ist“, so Brügelmann. Deshalb sei das Arbeiten mit der
       „Anlauttabelle“, die Bilder mit Lauten darstellt, sinnvoll – und auch, die
       Kinder die Worte so schreiben zu lassen, wie sie sie sprechen. Allerdings
       sollten Kinder schon vom ersten Schuljahr an auf Rechtschreibung orientiert
       werden. „Wenn man das erst in der 3. Klasse beginnt, ist es auch heute
       schon mit dem Lehrplan nicht vereinbar.“
       
       Fazit: Der Hamburger Lehrplan müsse nicht geändert werden. Auch müsse es
       nicht für alle Schule eine einheitliche Methode geben. Brügelmann gibt
       zudem zu bedenken, dass die Berliner Studie auch Positives über die
       Reichen-Methode sage: „Die Migrantenkinder haben mit dieser Methode besser
       Lesen gelernt als mit der Fibel. Und es ist ja auch eine Lese-Lernmethode.“
       
       Auch Petra Stumpf bestätigt dies. „In der Rechtschreibung sind die
       Leistungen unserer Kinder vorzeigbar. Beim Lesen sind sie deutlich besser.“
       
       Schulsenator Rabe hatte nach der Anhörung erklärt, dass „die viel
       kritisierte ’Reichen-Methode‘ mit dem Hamburger Bildungsplan nicht
       vereinbar ist“. Man werde diesen nun „präzisieren“. Es sei keine Änderung
       des Bildungsplans selber, sondern eine Handreichung mit Tipps für
       Lehrkräfte geplant, relativiert nun sein Sprecher Peter Albrecht. Reichen
       in der Urfassung sei dann nicht mehr erlaubt. Die weiterentwickelte Form
       des Lesens durch Schreiben, die auch frühe Rechtschreiborientierung
       einbezieht, aber schon.
       
       17 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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