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       # taz.de -- Ein Jahr Beschneidungsgesetz: Schneidende Kritik
       
       > Es hat sich zu wenig geändert. Kinderschutzverbände und Ärzteschaft
       > ziehen nach einem Jahr eine vernichtende Bilanz des
       > Beschneidungsgesetzes.
       
   IMG Bild: Beschneidungszeremonie in Jerusalem.
       
       BERLIN taz | „Die Vorhautamputation von kleinen Jungen ist nicht selten
       eine Form von Gewalt“, sagt Christian Bahls, Vorsitzender des Vereins MOGIS
       für Opfer sexuellen Missbrauchs. Ein Jahr nach dem das neue
       Beschneidungsgesetz in Kraft getreten ist, zogen gestern im Haus der
       Bundespressekonferenz in Berlin sieben Kinderschutzverbände sowie Vertreter
       aus der Ärzteschaft Bilanz.
       
       Im vergangenen Dezember hatte der Bundestag nach monatelangen hitzigen
       Debatten das Beschneidungsgesetz beschlossen. Demnach blieb die
       Beschneidung von jüdischen und muslimischen Jungen in Deutschland erlaubt –
       vorausgesetzt, der Eingriff werde „nach den Regeln der ärztlichen Kunst
       durchgeführt“.
       
       Solange das Kind höchstens sechs Monate alt ist, dürfen zudem nicht nur
       Ärzte den Eingriff vornehmen, sondern auch ausgebildete Beschneider. Auf
       eine ausführliche vorherige Beratung über gesundheitliche Folgen oder gar
       eine angemessene Betäubung, die per Gesetz ohnehin nur Ärzten erlaubt ist,
       werde dabei jedoch nicht selten verzichtet, so die Kritiker. Dies ist Bahls
       zufolge grob fahrlässig und ermögliche Hinterhofbeschneidungen unter
       unprofessionellen Bedingungen.
       
       Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
       kritisiert hingegen den Antisemitismus, den die zurückliegende Debatte
       erzeugt haben, und ist überzeugt: „Das Gesetz bietet eine gute Grundlage,
       um jüdisches Leben weiterhin in Deutschland praktizieren zu können. Man
       freue sich über den „politischen Konsens“, der nun erreicht sei.
       
       Kinderschutzverbände und Ärztevertreter, darunter der Landesverband
       Niedersachsen von pro familia, die Frauenrechtsorganisation Terre des
       Femmes und die Deutsche Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH), fordern
       eine Änderung des jetzigen Beschneidungsgesetzes.
       
       ## Vollnarkosen scheiden aus
       
       Laut Bernd Tillig, Präsident der DGKCH, sei auch die Schmerzbehandlung bei
       der Beschneidung von Jungen nicht ausreichend geregelt. Nicht selten würden
       Kinder ohne Betäubung beschnitten. Vollnarkosen kämen für Neugeborene
       jedoch grundsätzlich nicht infrage.
       
       „Eine Beschneidung verlangt eine hohe medizinische Präzision und sollte
       grundsätzlich nicht von Laien unternommen werden“, ergänzt Ulrich Fegeler
       vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärtze. Und fügt hinzu, dass die
       derzeitige Gesetzgebung ein Hohn für die Menschenrechte sei.
       
       Bahls verweist in diesem Zusammenhang auf den Fall des Berliner Rabbiners
       Yehuda Teichtal. Dessen Sohn wurde nach der ultra-orthodoxen Methode
       beschnitten, bei der die Blutungen nicht mit sterilen Pipetten, sondern mit
       dem Mund ausgesaugt werden.
       
       Die Kritiker aus Verbänden und Ärzteschaft schätzen die Chancen auf eine
       baldige Gesetzesänderung allerdings nicht sehr optimistisch ein. Zwischen
       ihnen und den weitgehend jüdischen und muslimischen Befürwortern gibt es
       bisher keine gemeinsame Linie, mit der öffentlichkeitswirksam Druck auf die
       Politik ausgeübt werden könnte.
       
       12 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philipp Rhensius
       
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