URI: 
       # taz.de -- Regisseur über Flüchtlingstheaterstück: „Hinter der Front liegt der Gegner“
       
       > Hans-Werner Krösinger inszeniert das Stück „FrontEx Security“ im Berliner
       > H.A.U. Darin wird die Flüchtlingsabwehr der EU kritisiert.
       
   IMG Bild: Die Front fest im Blick.
       
       taz: Herr Krösinger, Sie haben im Frühjahr mit der Arbeit zur
       EU-Grenzschutzagentur Frontex begonnen. Seit dem Schiffsunglück am 3.
       Oktober sind alle Medien voll von dem Thema. Was haben Sie gedacht, als Sie
       von der Schiffskatastrophe erfahren haben? 
       
       Hans-Werner Krösinger: Seit Jahren ertrinken Menschen, plötzlich berichten
       alle, es gibt Sondersendungen, die Leute sind betroffen. Das macht vieles
       möglich. Aber diese Stimmung wird umgelenkt: Es gibt offiziell inszenierte
       Trauer und dann passiert nichts. Die Verschärfung der Abschottung läuft
       weiter.
       
       Welche Auswirkungen hatte der Aufmerksamkeitsboom auf Ihr Stück? 
       
       Man kann mehr voraussetzen, es gibt beim Theatergänger eine unscharfe
       Verbindung zum Gegenstand. Und wir haben Inhalte umgeschichtet. Aktuell
       geht es auch um den Umgang mit Flüchtlingen aus Syrien. Wir haben deshalb
       den Fall eines somalischen Flüchtlings herausgenommen und dafür die
       Geschichte eines Unglücks am 11. Oktober eingebaut, bei dem die
       italienische Marine vor Lampedusa etwa 200 syrische Flüchtlinge ertrinken
       ließ.
       
       Warum haben Sie das Thema ausgesucht? 
       
       Ich habe letztes Jahr in Würzburg, dem Ort, an dem die aktuellen
       Flüchtlingsproteste losgingen, an einem Stück über Asyl gearbeitet. Frontex
       war da ein Element. Das haben wir jetzt ausgebaut.
       
       Sie können bei Ihrer Inszenierung auf stabile Vorurteile bauen. Spätestens
       seit den letzten Monaten gibt es wohl keine EU-Institution, die einen
       ähnlich schlechten Ruf hat wie Frontex. 
       
       Wenn Sie darauf hinaus wollen, dass wir mit so einem Stück offenen Türen
       einrennen wollen: Nein. Dann würden wir nicht so viel Energie darauf
       verwenden.
       
       Warum nicht? Das Haus ist voll und die Leute freuen sich, wenn Sie hören,
       was sie ohnehin schon wissen. 
       
       Im Theater ist die Grundposition nicht klar. Es gibt ein Stammpublikum und
       es gibt welche, die kommen nur wegen des Themas. Darin liegt auch die
       Spannung. Viele wissen etwas, aber fast niemand weiß etwas Genaues. Mich
       und die Leute, mit denen ich arbeiten wollte, hat das Thema interessiert.
       Wir wollten wissen, was da eigentlich passiert. Dann versucht man sich
       einen Überblick zu verschaffen und stellt den zur Diskussion.
       
       Welchen Befund stellen Sie denn beispielsweise zur Diskussion? 
       
       Dass die Grenze zu etwas Mobilem geworden ist. Das ist schon im Namen von
       Frontex angelegt. Er enthält den Begriff Front. Hinter der Front liegt der
       Gegner. Und natürlich verschiebe ich die Grenze weiter nach außen, wenn ich
       kann. Es geht uns aber nicht darum, das moralisch zu bewerten.
       
       Nein? 
       
       Nein. Frontex ist ja nicht jemand anderes. Diese Agentur fällt ja nicht vom
       Himmel. Das sind wir, die sie einrichten. Es sind unsere gewählten
       Vertreter, die sie ausbauen. Wir zitieren beispielsweise aus Texten der EU,
       in denen Europa zunächst noch als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und
       des Rechts“ definiert wird. In der Frontex-Verordnung ist dann die Rede von
       einem Raum der „Sicherheit, der Freiheit und des Rechts“ – Sicherheit ist
       an die erste Stelle gerückt. Das ist Teil eines Diskurses nach dem 11.
       September, in dem ganz anderes möglich geworden ist. Wir wollen fragen,
       inwieweit Frontex uns einen Teil der Arbeit abnimmt, die wir nicht selber
       machen wollen. Inwieweit betrifft es uns, wenn der Flüchtling nur noch als
       der Illegale definiert wird?
       
       In Ihrem Stück gibt es keine festen Rollen. Die Schauspieler tragen teils
       am Stück Textfragmente aus ganz unterschiedlichen Quellen vor, die aber
       nicht kenntlich werden. Der Zuschauer weiß deshalb nie, was aus offiziellen
       Dokumenten stammt und wann Sie Frontex-Kritiker zitieren. 
       
       Das Stück ist multiperspektivisch. Ich bin ein Autor, der nicht schreibt,
       das, was wir zeigen, ist ein Ausschnitt aus dem, was wir in vielen
       verschiedenen Quellen gefunden haben – und was zu zeigen wir uns
       entschieden haben. Wir legen verschiedene Spuren. Dadurch entstehen
       Reibung, Lücken, Denkprozesse und große Widersprüche. Die Leute werden
       anders reagieren. Oft werden sie überfordert sein. Aber es wird produktiv,
       es entsteht die Lust und die Bereitschaft, sich selbst zu verorten.
       
       Wenn sie zwei Stunden Sätze wie „Mit Frontex hat die EU das Mittelmeer in
       ein Kampfgebiet verwandelt“ zu hören kriegen, ist ziemlich klar, wie die
       Zuschauer sich verorten werden. 
       
       Es gibt ja nicht nur solche Sätze. Der von Ihnen zitierte wird
       beispielsweise sofort mit der Formulierung gekontert, die Frontex selbst
       wählt: nicht Kampfgebiet, sondern „Gefahrenzone, Problemzone“. Das ist ein
       permanenter Überschreibungsprozess. Es gibt auch eine Stelle, an der ein
       Grenzschützer mit der Frage zitiert wird: „Was sollen wir denn tun? Was
       glauben Sie denn, was passiert, wenn man die Grenze einfach aufmacht?“
       
       Was passiert denn, wenn man die Grenzen aufmacht? 
       
       Das sagt der Beamte nicht. Die Frage muss sich der Zuschauer selbst
       beantworten.
       
       13 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Jakob
       
       ## TAGS
       
   DIR Frontex
   DIR EU-Flüchtlingspolitik
   DIR Theater
   DIR Theatertreffen Berlin
   DIR Schwerpunkt Syrien
   DIR Flüchtlinge
   DIR Eurosur
   DIR Malta
   DIR Frontex
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Theatermann Kroesinger ohne Förderung: Gern gerufen, wenn es heikel wird
       
       Der Theatermacher Hans-Werner Kroesinger ist bekannt für politische Themen.
       In Berlin erhält er nun keine Basisförderung mehr.
       
   DIR Syrische Flüchtlinge: Hoffnung Europa
       
       Etwa 700.000 Syrer sind in die Türkei geflüchtet. Viele haben keinen Pass,
       keine Rechte, keine Perspektive. Deshalb wollen sie weiter.
       
   DIR Rücknahmeabkommen mit der Türkei: Türken rein, Flüchtlinge raus
       
       In der EU abgewiesene Asylsuchende können zukünftig in die Türkei
       zurückgeschickt werden. Dafür wird die Einreise für türkische Bürger
       erleichtert.
       
   DIR Überwachung der EU-Außengrenzen: Eurosur startet
       
       Die Bilder der toten Flüchtlinge vor Lampedusa haben viele Menschen
       schockiert. Die EU-Grenzpolitik ist auch deswegen umstritten. Frontex
       bekommt jetzt Verstärkung.
       
   DIR Flüchtlingsrettung auf dem Mittelmeer: Die Angst vor dem Asylantrag
       
       Die Grenzschutzagentur Frontex soll Flüchtlingsschiffen früher zu Hilfe
       kommen. Wie dringend das erforderlich ist, belegt das Protokoll eines
       Untergangs.
       
   DIR EU-Pläne für Frontex: Militarisierung der Außengrenzen
       
       Frontex soll mehr Kompetenzen bei der Abschiebung von Flüchtlingen
       erhalten. Die Grenzschützer sollen zudem auf Armeeausrüstung zugreifen
       können.