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       # taz.de -- SPD-Politiker Thomas Oppermann: Der Generalist
       
       > Unprätentiös und ein bisschen glatt. All das ist Thomas Oppermann – der
       > vor einem Karrieresprung steht. Gerüchte über das neue Kabinett machen
       > die Runde.
       
   IMG Bild: Er wirkt frisch, robust – und das Jungslächeln kann er auch anknipsen: Thomas Oppermann.
       
       GÖTTINGEN / BERLIN taz | Thomas Oppermann trägt Jackett, Jeans, offenes
       Hemd, keinen Schlips. Er geht zum Mikrofon und redet eine Stunde lang über
       die Vorzüge der Großen Koalition. 150 Genossen sind in einen neonhellen
       Multifunktionsraum im Norden von Göttingen gekommen. SPD-Publikum, Männer
       mit weißen Haaren und schwarzen Lederwesten. Auch ein paar Genossinnen.
       
       Oppermann redet über Investitionsquote, Breitbandausbau,
       Bund-Länder-Beziehungen, lobt die Abschaffung des Optionszwangs und die
       Einführung des Mindestlohns. Er ist kein Volkstribun, wirklich nicht. Er
       hebt und senkt die Stimme selten. Er redet nüchtern, zielstrebig,
       analytisch. Es gibt wenig Applaus.
       
       Heidrun Bäcker, Kommunalpolitikerin, geht nun zum Mikrofon und sagt: „Es
       schüttelt mich, dass wir mit Merkel regieren, aber wir müssen es tun.“
       Unschön, unumgänglich. So ist die Stimmung bei der Funktionärsbasis in
       Sachen Große Koalition. Zwanzig Genossen melden sich zu Wort – keiner ist
       gegen die Regierungsbeteiligung. Sie wollen nicht rebellieren, sie wollen
       sich von „Thomas“ letzte Zweifel ausreden lassen. Ein Heimspiel.
       
       Anschließend fährt Thomas Oppermann in einem kleinen roten Auto durch das
       verregnete dunkle Göttingen. Nachmittags hat er die Kinder zum Fußball
       gebracht. Der Regen prasselt gegen die Windschutzscheibe, und Oppermann
       tut, was er gut kann: reden. Präzise, fast druckreif.
       
       ## Robuste Natur
       
       Er ist 59, wirkt aber jünger. Er besitzt eine gute Kondition. Zwei Tage
       zuvor hat er in einer Nachtsitzung den Koalitionsvertrag mit ausgehandelt.
       Danach Auftritt in der Talkshow „Maybrit Illner“, um drei Uhr nachts zu
       Hause in Göttingen. Drei, vier Stunden Schlaf in dieser Woche, mehr nicht.
       „Thomas, du siehst wirklich mitgenommen aus“, hat ein Genosse in dem
       neonhellen Raum gesagt. Oppermann hat sein Jungslächeln angeknipst und
       gespielt beleidigt geguckt. Er wirkt frisch, robust, irgendwie
       undemolierbar.
       
       Es gibt Bundestagsabgeordnete, die sich unmerklich verwandeln, wenn sie
       Berlin verlassen und in ihren Wahlkreis fahren. Sie werden jovialer,
       vertraulicher, weicher. Die Panzerung, die sie in Berlin tragen, wird
       faserig. Thomas Oppermann verändert sich nicht. Obwohl er hier „Tommy“ oder
       Thomas ist, obwohl er in Göttingen seit fast einem Vierteljahrhundert
       Unterbezirksvorsitzender ist, klingt sein Vortrag, als würde er noch immer
       bei „Maybrit Illner“ sitzen.
       
       Oppermann ist in einem Dorf im Niedersächsischen groß geworden. Sein Vater
       leitete eine genossenschaftliche Molkerei. Ländliche Mittelschicht. Er war
       das einzige Kind, das Abitur machte, die Brüder lernten Automechaniker und
       Heizungsbauer, die Schwester ist Pflegerin. „Mein Vater legte Wert auf
       Bildung“, sagt Oppermann.
       
       ## Ziemlich ausgeglichen
       
       Er ist Bildungsaufsteiger, wie viele aus seiner Generation. Aber es war
       kein Aufstieg von ganz unten, wie bei Gerhard Schröder, der seinen
       Karrieresprung mit teuren Anzügen, Zigarren, lukrativem Post-Kanzler-Job
       demonstrieren musste. Oppermann ist anders. Unprätentiös. Normal. Ziemlich
       ausgeglichen für einen Spitzenpolitiker. Dünkel liegt ihm fern. Als linke
       Studenten in Göttingen das SPD-Büro besetzten, rief er nicht die Polizei,
       sondern brachte ihnen Kaffee.
       
       Mitte der 70er Jahre ging er zwei Jahre als Freiwilliger für Aktion
       Sühnezeichen in die USA. Ein prägendes Erlebnis. Dort hat er erlebt, wie
       man Kampagnen organisiert und praktisch Politik macht. Sein Jurastudium in
       Göttingen zog er durch. Ende der 1970er war er mal bei einer linken
       Juristen-Gruppe, nicht lange. „Die interessierten sich für RAF-Gefangenen.
       Das war nicht meine Welt“, sagt er. Mit Stephan Weil, heute
       SPD-Ministerpräsident in Hannover, gründete er eine neue Gruppe, die gleich
       die Asta-Wahl gewann. Zielorientiert eben. „Wir waren linkspragmatisch“,
       sagt Oppermann.
       
       1980 trat er in die SPD ein. Als Juso und Wehrdienstverweigerer war er
       gegen die Nachrüstung, gegen Helmut Schmidt. „Ich habe Schmidt schon damals
       sehr respektiert, trotz des Nato-Doppelbeschlusses“, sagt er heute. Das ist
       ein typischer Satz. Einerseits, andererseits. Kantenlos.
       
       ## Trittin hält ihn für „eher konservativ“
       
       Jürgen Trittin kennt ihn seit 1979. Trittin war damals Politaktivist des
       Kommunistischen Bunds und Präsident des Studentenparlaments in Göttingen.
       „Thomas gehörte zu den eher glatten Jusos, die Karriere machen wollten“,
       sagt der Grüne. Heute hält Trittin ihn für einen „eher konservativen
       Sozialdemokraten, der Technokratie als Kompliment empfindet“.
       
       2005 kam Oppermann nach Berlin, er machte rasch Karriere. Im
       Kurnaz-Untersuchungsausschuss verteidigte er entschlossen SPD-Außenminister
       Frank-Walter Steinmeier, der den Deutschtürken Murat Kurnaz im
       US-Gefangenenlager Guantánamo hatte schmoren lassen. „Das war eine riesige
       Herausforderung“, sagt Oppermann über seine Arbeit im Ausschuss. Er hat sie
       bestanden. Seitdem ist er einer, der den Job erledigt, wenn er gebraucht
       wird. Professionell – das ist das Eigenschaftswort, das vielen als erstes
       einfällt. Freunden wie Gegnern.
       
       Seit 2007 ist er Parlamentarischer Geschäftsführer (PGF) der SPD-Fraktion.
       Ein Handwerker der Macht. Erzählt er von Erfolgen, lacht er manchmal ein
       helles Siegerlachen. Darin schwingt ein bisschen ironische Distanz mit. Vor
       allem drückt es wetterfestes Selbstbewusstsein aus.
       
       ## Er ist politisch sehr beweglich
       
       Wenn die SPD-Basis Ja zur Großen Koalition sagt, würde Oppermann gern
       Innenminister werden. Das hätte etwas Historisches. Er wäre erst der dritte
       Sozialdemokrat auf diesem Posten seit 1918. Traut er sich das zu? „Ich kann
       unter Druck richtige Entscheidungen treffen“, sagt er. Ohne Zögern. Er hat
       keine Schwierigkeiten, sich selbst zu loben. Er ist Jurist, clever,
       begreift schnell. Und er ist politisch beweglich. Sehr beweglich.
       
       Aber es gibt karrieretechnisch zwei Hindernisse. Er ist ein Mann. Und
       Niedersachse. Sigmar Gabriel ist auch Niedersachse. Frank-Walter
       Steinmeier, dessen Politkarriere bei Gerhard Schröder in Hannover begann
       und der wohl wieder Außenminister wird, auch irgendwie. Hubertus Heil
       ebenfalls. Die Machtelite der SPD sollte aber nicht nur aus Niedersachsen
       kommen. Außerdem ist die Hälfte der sechs Ministerposten der SPD für Frauen
       vorgesehen.
       
       Oppermann wurde schon als Innen-, Justiz-, Finanz- und Wirtschaftsminister
       gehandelt. Fraktionschef ist auch drin. Ein Fraktionsvorsitzender müsse,
       betont Oppermann, Generalist sein. Er ist Generalist. Die Allzweckwaffe der
       SPD. Immer feuerbereit, wenn die politischen Gegner Angriffsflächen bieten.
       Das grobe politische Tagesgeschäft, das Zuspitzen und Poltern, ist
       eigentlich Sache der Generalsekretäre, wie Dobrindt und Gröhe in der CDU/
       CSU. Oppermann hat SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles diese Rolle einfach
       abgenommen. Die schärfste Attacke, die schneidigste Formulierung kam, bei
       Guttenberg, Wulff oder der NSA, oft von ihm.
       
       Für manche SPD-Linke ist die Vorstellung, dass Oppermann Steinmeier als
       Fraktionschef nachfolgt, ein Nachtmahr. Nicht, weil Oppermann zum
       konservativen „Seeheimer Kreis“ gehört. Mehr, weil er in dem Ruf steht,
       sich viel um seine Leute und wenig um die ganze Fraktion zu scheren. 2011
       bekam er als PGF weniger als Zweidrittel der Stimmen der SPD-Fraktion. Fast
       ein Misstrauensantrag.
       
       ## Die Gegner wechseln
       
       Brennt Thomas Oppermann für ein Thema – oder ist er nur ein Technokrat der
       Macht? „Er lässt sich nicht in die Seele oder ins Blatt schauen“, sagt
       Volker Beck, der lange Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen und
       Oppermanns Konterpart war. „Was er wirklich denkt, weiß man nie“, sagt ein
       linker SPD-Bundestagsabgeordneter.
       
       Oppermann hält sich zugute, bis 2003 als Kultusminister in Hannover für die
       als heikel empfundenen Studiengebühren und die Umwandlung von Universitäten
       in Stiftungen gekämpft zu haben – Ersteres ohne Erfolg, Letzteres mit.
       „Ohne politische Leidenschaft ging das nicht“, sagt er. Und: „Ich bin oft
       gegen den Strom geschwommen.“ Vor allem gegen den Strom in der SPD, weniger
       außerhalb.
       
       Im Sommer hat er die Bundesregierung in Sachen NSA heftig attackiert. In
       Göttingen erklärt er den GenossInnen nun, warum Asyl für Edward Snowden
       nichts nutzt. Eine humanitäre Lösung für Snowden – gern, aber nicht in
       Deutschland. Wer dies, wie der Chef der Linksfraktion Gregor Gysi fordere,
       wolle nicht Snowden helfen, sondern „die Eskalation mit den USA“ anheizen.
       Antiamerikanismus gewissermaßen.
       
       Oppermann beharrt darauf, er habe seine Haltung in der NSA-Affäre nicht
       geändert. Faktisch stimmt das. Er hat nie direkt Asyl für Snowden
       gefordert. Doch die Gegner haben gewechselt. Nicht mehr die
       verantwortungslose Kanzlerin, Gysi ist nun das Ziel. Dass Oppermann sich
       vom Wahlkämpfer gegen Merkel zum harten Verteidiger der Großen Koalition
       wandelt – das gehört zum Geschäft. Was verwundert, ist, wie glatt,
       selbstverständlich, rückstandslos diese Wende ist. Als würde nichts an ihm
       haften bleiben.
       
       13 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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