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       # taz.de -- Syriens Opposition auf dem Rückzug: Müde Krieger in Aleppo
       
       > Baschar al-Assads Gegner scheinen geschlagen. Von einer Massenbewegung
       > und einer bevorstehenden Revolution kann keine Rede mehr sein.
       
   IMG Bild: Lange nicht ausgeschlafen. Syrischer Rebell
       
       ALEPPO taz | Abu Mohammed hat es geschafft, sich zu retten. Der syrische
       Aktivist sollte in die Stadt Azaz nördlich von Aleppo fahren, um dort die
       Antenne von Radio Newroz, einem unabhängigen arabisch-kurdischen Sender in
       den befreiten Gebieten im Norden des Landes zu montieren. Doch als er
       hörte, es gäbe Kämpfe mit der Al-Qaida-Gruppe „Islamischer Staat im Irak
       und in Syrien“ (ISIS), sagte er alles ab. Zahlreiche Aktivisten wurden
       bereits von den ISIS-Kämpfern getötet oder entführt.
       
       Für Abu Mohammed ist die Präsenz von Al-Qaida in Syrien eine Bedrohung für
       die zivile Opposition gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad. „Für
       uns ist es schon extrem gefährlich, uns zu bewegen. Wir sind Zivilisten,
       und wenn wir unterwegs sind, haben wir keine militärische Begleitung,“
       erklärt er. „Die Gebiete im Umland von Aleppo und Idlib sind zum
       Niemandsland geworden. Schon beim geringsten Verdacht kannst du von den
       ISIS-Leuten getötet werden.“
       
       Für Wassim, einen weiteren Aktivisten aus Aleppo, ist das Hauptproblem
       jedoch nicht Al-Qaida, sondern die zunehmende Spaltung innerhalb der Freien
       Syrischen Armee (FSA). „Die Hälfte der FSA-Kämpfer glauben, dass sie einen
       Krieg gegen die Alawiten und gegen die Schiiten insgesamt führen, wegen des
       Bündnisses von Baschar mit dem Iran und der libanesischen Hisbollah.
       
       Sie sind einfache junge Männer, stammen aus den ärmeren
       Bevölkerungsschichten, sind eher ungebildet und die Waffen sind ihnen zu
       Kopf gestiegen. Sie sind grausam geworden. Töten ist für sie normal. Sie
       wollen nur das Blut ihrer Gegner.“ Wassim fügt hinzu: „Wir sind für
       Freiheit und Würde auf die Straßen gegangen, und nicht dafür, das Regime
       durch ein anderes zu ersetzen, das genauso blutrünstig ist.“
       
       ## 
       
       Wassims Mitstreiter Shiro und Bushkin nicken zustimmend. Die drei gehören
       zu dem Kurdischen Koordinationszentrum für Bruderschaft. Es handelt sich um
       eine Gruppe junger Studenten aus der Mittelklasse, Kurden und Araber,
       Muslime und Christen. Ihr Büro liegt in einer Wohnung im zweiten Stock
       eines heruntergekommenen Hauses, das bereits zwei Mal bei Angriffen des
       Regimes getroffen wurde.
       
       Die Wände des Raums, gelb vom Zigarettenrauch, sind bedeckt mit Plakaten
       und Fahnen. Auf einem der größeren Poster steht der Name Kamal, der einer
       der Gründer des Koordinationszentrums war. Die Aktivisten haben ihn vor
       einem Jahr das letzte Mal gesehen, als zwei Polizisten in Zivil ihn in ein
       Auto gestoßen haben und mit ihm weggefahren sind. Seither hat niemand etwas
       von ihm gehört.
       
       Auch Pesheng ist an diesem Abend nicht da. Er war einige Wochen ans Bett
       gefesselt und liegt jetzt in einem Krankenhaus in der Türkei, in Gaziantep,
       wo er darauf wartet, dass sein Knie wiederhergestellt wird. Es wurde von
       Granatsplittern zerfetzt, als er mit einer Digitalkamera den Horror des
       Krieges in Syrien dokumentieren wollte.
       
       Die abgekämpften Aktivisten in Aleppo sind jedoch nur noch eine kleine
       Gruppe, nur noch entfernt verwandt mit der breiten, friedlichen Bewegung,
       die 2011 und 2012 Millionen von Syrern auf die Straße gegen das Regime
       trieb. Tausende wurden während der Demonstrationen erschossen, Tausende
       starben unter Folter in den Gefängnissen des Regimes. Tausende weitere
       sitzen noch hinter Gittern. Und über zwei Millionen sind über die Grenzen
       geflohen, um sich in Sicherheit zu bringen oder weil sie nicht mehr an die
       Revolution glauben.
       
       ## 
       
       Abu Jafra ist einer von ihnen. Die Begegnung findet in einem Cafe in Afrin
       statt, einer kurdischen Stadt nordwestlich von Aleppo. Der etwa 60jährige
       Professor ist Laizist und ein ehemaliger Kommunist. Vor dem Gespräch fragt
       er, ob die Straße nach Aleppo sicher sei. Seine beiden Töchter sitzen dort
       in einem von den Regierungstruppen kontrollierten Viertel fest. Er hat
       Angst, sie könnten bei einem Beschuß durch die FSA getötet werden.
       
       Noch mehr Angst hat er aber vor den Al-Qaida-Milizen. Falls er seine
       Töchter herausholt, könnte er auf der Straße von den Milizionären
       angehalten und getötet werden, weil er Kurde sei und nicht an Gott glaube.
       Diese Angst ist für ihn ausreichend, um zu sagen, die Revolution sei
       vorbei.
       
       „Ich erinnere mich an die ersten sechs Monate der syrischen Revolution als
       einen außergewöhnlichen Moment. Unsere Bewegung war spontan, sekular, es
       gab unterschiedliche Überzeugungen und Meinungen,“ rekapituliert Abu Jafra.
       „Aber jetzt ist es vorbei. Jetzt herrschen die Waffen und nicht die guten
       Absichten der wenigen und mutigen Aktivisten, die noch daran glauben. Unser
       Ziel war ein freies und demokratisches Syrien. Um das zu erreichen, braucht
       es mehr als den Sturz des Assad-Regimes. Wir brauchen Ideen, aber auch die
       hat der Krieg getötet.“
       
       11 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Del Grande
       
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