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       # taz.de -- Debatte Klima: Sonne und Wind trotz Kioto
       
       > UN- Klimaschutzverhandlungen sind voller Beschränkungen und ziehen
       > negative Effekte nach sich. Wer das anerkennt, kann über Alternativen
       > sprechen.
       
   IMG Bild: Notwendig ist, die Kioto-Ziele im eigenen Land zu erreichen: Kraftwerk in Shanghai
       
       Ein „Scheitern“ ist im Kontext der UN eine Frage der Perspektive und der
       Interessen. Deshalb scheitern die Verhandlungen im Grunde auch nicht. Die
       Erwartung eines großen Durchbruchs ist, [1][wie Bernhard Poetter
       beschrieben hat], tatsächlich ein „Missverständnis“. Es lohnt sich, genauer
       zu analysieren, warum die Spielräume so beschränkt sind und was
       Alternativen zu Postkioto sein könnten.
       
       Für alle, die keine Beschleunigung im Klimaschutz wollen, sind die
       Absprachen ein Erfolg. Im Konsens wurden zwar globale Ziele beschlossen
       (2-Grad-Marke), allerdings diese in unzureichende nationale Reduktionsziele
       übersetzt (Kioto und Postkioto) und mit wenig effektiven Instrumenten
       ausgestattet (Emissionshandel, Klimafonds, Waldprogramme).
       
       In der Organisationsforschung gibt es den Begriff des „erfolgreichen
       Scheiterns“: Die Ineffektivität der Verhandlungen ist keineswegs eine
       Abweichung, sondern in der Organisationsform selbst angelegt. Deshalb hat
       es keinen Sinn, den großen Ruck zu beschwören.
       
       Wer das anerkennt und mehr Klimaschutz will, muss sich nach Alternativen
       umsehen. Der verstorbene Visionär der deutschen Energiepolitik, Hermann
       Scheer, stellte bereits vor 15 Jahren fest, dass die Bedingungen für
       erfolgreiches Verhandeln auf UN-Ebene nicht gegeben seien, und setzte auf
       den radikalen, nationalen Ausbau erneuerbarer Energien. Es gehe
       hauptsächlich um den Durchbruch von Techniken, die im weltweiten Maßstab
       Verbreitung finden.
       
       Keine derartige technologische Revolution sei bisher im Konsens durch einen
       internationalen Vertrag zustande gekommen, weil es nämlich erneuerbare
       Gewinner und fossile Verlierer geben muss, sprich Staaten oder
       Industriezweige, so Scheer.
       
       Das Problem: Bei Klimaverhandlungen gilt das Konsensprinzip, wobei eben
       diese potenziellen Verlierer ein Veto genießen und echte Beschleunigung
       jederzeit ausbremsen können. So als ob man vor 30 Jahren mit
       Schreibmaschinenherstellern über den Übergang zum PC verhandelt hätte.
       
       Natürlich verlieren die UN-Verhandlungen durch die Anerkennung ihrer
       Begrenztheit nicht völlig an Bedeutung. Die Medienöffentlichkeit hält das
       Thema am Leben. Es entstehen Grundzüge einer internationalen
       Verrechtlichung, mitsamt den politischen und administrativen Kapazitäten.
       Wie aber stimuliert man echte Beschleunigung? [2][Harald Welzer] und
       [3][Postwachstumspapst Nico Paech] werden nicht müde, auf die regionale
       Nichtwachstumsökonomie zu verweisen. Kann man machen, ist aber keine
       wirkliche politische Strategie.
       
       ## Argumente gegen das EEG
       
       Interessanterweise führt diese Haltung bei Paech dazu, den raschen Ausbau
       der Erneuerbaren sehr kritisch zu sehen und offen gegen das EEG zu
       argumentieren. Das mag für den Wachstumsgegner schlüssig sein, im Sinne des
       globalen Klimaschutzes ist es wenig hilfreich.
       
       Woher kamen nämlich bisher die positiven Entwicklungen? Die Chinesen haben
       natürlich nicht wegen Kioto plötzlich so ambitionierte Pläne in Sachen
       Photovoltaik und Windräder, auch nicht wegen ihrer Liebe zu weniger
       Wachstum. Die Technologien haben schneller als erwartet den Durchbruch
       geschafft und sind jetzt industriepolitisch interessant.
       
       Das heißt, wer Klimaschutz beschleunigen will, muss sich wieder im Sinne
       Hermann Scheers auf die Bedingungen dieser technologischen Revolution
       besinnen. Deshalb sind Anreize zum nationalen Ausbau erneuerbarer Energien
       und eine größere Rolle der internationalen Erneuerbaren-Organisation Irena
       wesentlich wichtiger als die bescheidenen Reduktionsversprechen eines
       künftigen Abkommens. Der technologische Durchbruch kam ja
       erstaunlicherweise trotz und nicht wegen Kioto. Und zwar durch nationale
       Alleingänge und keinesfalls durch internationale Absprachen.
       
       So hat Deutschland mit seinem Gesetz für die Erneuerbaren mehr für den
       künftigen Klimaschutz getan als alle internationalen Konferenzen zusammen.
       Und zwar entgegen der Kioto-Kosten-Philosophie. Der größte negative Effekt
       war nämlich bislang die globale Erzählung vom Klimaschutz als
       „Zusatzkostenfaktor“.
       
       ## Bedrohung für fossile Konzerne
       
       Mit den Instrumenten Clean Development Mechanism und Joint Implementation
       wurde diese Erzählung instrumentell übersetzt. Da gilt bis heute die irrige
       Überzeugung, eine vermiedene Tonne CO2 durch Optimierung eines
       Kohlekraftwerkes in Indien sei viel billiger und so viel wert wie neue
       Photovoltaik in Deutschland. Hätten Dänemark, Deutschland, Spanien und
       andere Pioniere an diesen Mumpitz geglaubt, wären die Erneuerbaren weiter
       Spielzeug, aber keine echte Bedrohung für fossile Konzerne.
       
       Viele europäische Ökonomen haben das bis heute nicht verstanden und träumen
       weiter vom funktionierenden weltweiten Emissionshandel. Der wird allerdings
       wegen der Konsensproblematik nicht kommen; außerdem folgt er eben jener
       falschen Kostenphilosophie. Deshalb geht es in Zukunft auch um die
       Vermeidung negativer Effekte.
       
       ## Die Kioto-Hängematte
       
       Die Niederlande sind hierfür ein gutes Beispiel: Die niederländische
       Regierung hat jahrelang Zertifikate unter CDM in Lateinamerika, Afrika und
       Asien und unter Joint Implementation in Osteuropa gekauft, um die eigenen
       Kioto-Ziele zu erreichen. Dagegen ist bis heute der heimische Klimaschutz
       viel schlechter als EU-Durchschnitt. Und obwohl der Ausbau Erneuerbarer
       seit Jahren stockt und Kohle boomt, ist dies wegen der „Zukäufe“ rechtlich
       und politisch für Den Haag kein Problem. Das war und ist eine
       Kioto-Hängematte.
       
       Wer Klimaschutz beschleunigen will, muss künftig alles vermeiden, was den
       schnellen nationalen Durchbruch Erneuerbarer bremst. Das ist vor allem auch
       eine Abkehr vom jetzigen Design von Instrumenten wie CDM und JI.
       
       Daneben geht es eher um Absprachen außerhalb der Klimaverhandlungen: den
       weltweiten Abbau von schädlichen Subventionen für fossile Energien im
       Rahmen der WTO; weltweite Abgaben für Treibhausgase jenseits des
       Emissionshandels; und ein Abkommen zur mittelfristigen Beschränkung des
       Neubaus von Kohlekraftwerken.
       
       13 Dec 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Debatte-Klima/!128975/
   DIR [2] http://www.kwi-nrw.de/home/profil-hwelzer.html
   DIR [3] http://www.produktion.uni-oldenburg.de/39380.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Unfried
       
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