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       # taz.de -- Freihandelsabkommen von Bali: WTO wiederbelebt
       
       > Die 159 Staaten der WTO einigen sich auf eine weitere Liberalisierung des
       > weltweiten Handels. Kritiker fürchten, dass die Ungerechtigkeit wächst.
       
   IMG Bild: Die US-Baumwollsubventionen graben Produzenten in ärmeren Ländern das Wasser ab. In Bali spielten sie aber keine große Rolle.
       
       BERLIN taz | Lange war sie scheintot. Aber „in den vergangenen Wochen ist
       die WTO zu neuem Leben erwacht“, wie der brasilianische Generaldirektor der
       Welthandelsorganisation, Roberto Azevêdo, auf der Abschlussveranstaltung
       der Welthandelskonferenz auf Bali erfreut erklärte. Dort hatten sich die
       159 Mitgliedsländer am Samstag überraschend doch noch auf ein
       Handelsabkommen geeinigt, das vielerorts auch gleich als „historisch“
       gefeiert wurde.
       
       Die Wiederbelebung der WTO gelang, indem man sich für Bali nur drei eng
       umgrenzte Themenbereiche herausgriff. Dazu zählten erstens der Abbau
       bürokratischer Hürden beim grenzüberschreitenden Handel; zweitens der –
       weitgehend unumstrittene – erleichterte Zugang der ärmsten Staaten zu den
       Märkten der reichen Länder; und drittens einzelne agrarpolitische Aspekte
       wie Lebensmittelsubventionen in den Entwicklungsländern.
       
       Über den Abbau bürokratischer Hürden freuen sich insbesondere die deutschen
       Exporteure: So erwartet der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie-
       und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, dadurch einen Wachstumsimpuls
       von 60 Milliarden Euro in fünf Jahren.
       
       Andere Experten sind skeptischer: Zum Beispiel setzt weniger Bürokratie
       voraus, dass die Entwicklungsländer zunächst einmal Geld in neue Verfahren
       zur Abwicklung der Ein- und Ausfuhren investieren müssen.
       
       Zurückhaltend beurteilt auch der Entwicklungsökonom Simon Evenett von der
       Universität St. Gallen das Ergebnis: „Außer dem Übertünchen eines
       ernsthaften Streits um die Lebensmittelversorgung sind in Bali herzlich
       wenig Fortschritte gemacht worden“, sagt er. Er bezieht sich dabei auf den
       Disput um das von Indien verteidigte Regierungsprogramm zur Sicherung der
       Ernährung der ärmsten Bevölkerung. An diesem Streit wäre die Konferenz
       beinahe gescheitert.
       
       ## „Unfaire Subventionen“
       
       Die WTO habe „zum ersten Mal in ihrer Geschichte die an sie gerichteten
       Erwartungen erfüllt“, erklärte nun ein zu Tränen gerührter Azevêdo – was
       etwas über die wenig ruhmreiche Geschichte der 1995 gegründeten
       Organisation sagt.
       
       Nachdem die Vorgängerorganisation Gatt in der Nachkriegszeit schon
       umfassende Zollsenkungen erreicht hatte, sollte die WTO jetzt auch den
       Dienstleistungs- und Agrarsektor liberalisieren und sogenannte
       nichttarifäre Handelshemmnisse abbauen.
       
       Damit sind unter anderem „unfaire“ Subventionen gemeint, durch die
       heimische Produzenten einen Vorteil gegenüber ausländischen Wettbewerbern
       erhalten. Dazu gezählt werden auch Umwelt- und Verbraucherschutzregeln wie
       das Hormonfleischverbot in der EU, die ausländischen Waren den Zutritt zum
       heimischen Markt erschweren.
       
       Ab 2001 wollte die WTO Ernst machen und in neuen Verhandlungen zu einem
       allumfassenden Freihandelsabkommen kommen. Bei der – nach dem ersten
       Konferenzort Doha benannten – „Doha-Runde“ passierte etwas Unerwartetes:
       Die Entwicklungsländer lehnten die bedingungslose Öffnung für die
       Dienstleistungskonzerne und Investoren aus dem Norden ebenso geschlossen ab
       wie die totale Freigabe des Agrarsektors. Auf Bali gelang es erstmals,
       diese Ablehnungsfront aufzuweichen.
       
       ## Keine Garantien beim Thema Baumwolle
       
       Das globalisierungskritische Netzwerk Attac bewertet die WTO-Einigung denn
       auch als „Desaster für eine gerechte Welthandelsordnung“: Die
       rechtsverbindlichen Beschlüsse über Handelserleichterungen dienten vor
       allem den Industrieländern. Für die ärmsten Entwicklungsländer gebe es
       dagegen nur unverbindliche Absichtserklärungen.
       
       So will die WTO beispielsweise die Baumwollsubventionen der USA, die den
       afrikanischen Produzenten das Wasser abgraben, regelmäßig zum Thema machen
       – aber ohne jede Garantie einer Besserung.
       
       Nach Ansicht von Attac-Ratsmitglied Alexis Passadakis hat die Einigung von
       Bali einer „dysfunktionalen“ Organisation, in der sozialökologische und
       menschenrechtliche Regeln nur als Handelshemmnisse wahrgenommen werden,
       eine neue Dynamik verliehen.
       
       „Bali ist nur der Anfang“, versprach WTO-Chef Azevêdo zum Abschluss der
       Konferenz. Für so manchen klingt das wie eine Drohung.
       
       8 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicola Liebert
       
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