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       # taz.de -- „Code Pink“-Friedensaktivistin Benjamin: Medeas rosa Welt
       
       > Sie wurde bekannt, als sie einen Auftritt von Obama störte. Nun stellt
       > Medea Benjamin in Deutschland ihr Buch über den Drohnenkrieg der USA vor.
       
   IMG Bild: Pink, zierlich, festgenommen: Medea Benjamin in Aktion vor Fox News in New York.
       
       WASHINGTON taz | Wenn es in den USA um Krieg und Frieden geht, ist die rosa
       Wolke nicht weit. Die Frauen – und vereinzelte Männer – von „Code Pink“
       schweben in rosa Kleidchen, rosa Fantasieuniformen, rosa Schmuck und rosa
       Make-Up ein. Sie tragen große rosafarbene Herzen mit Pailletten auf
       T-Shirts. Rosa Luftballons, auf denen steht: „Ich verteile Umarmungen“. Und
       rosa Sticker mit der Aufschrift: „Schmusen statt Krieg“.
       
       Hinter dem entwaffnend niedlichen Aussehen verbirgt sich eines der
       effizientesten politischen Kommandos in den USA. Viele Mächtige haben das
       in den vergangenen elf Jahren zu spüren bekommen: von George Bush über
       CIA-Chef John Brennan bis hin zu Barack Obama.
       
       Ganz plötzlich steht bei einem ihrer Auftritte eine Dame im Publikum auf
       und ruft: „Warum töten wir 16-Jährige?“ Oder: „Was soll demokratisch daran
       sein, wenn nicht einmal die gewählten GeheimdienstüberwacherInnen im
       Kongress wissen, wer warum auf der ’Kill-Liste‘ des Präsidenten steht.“ In
       der Regel wird die Dame bald von Polizisten aus dem Saal getragen. Manchmal
       springt schon wenige Momente später die nächste rosa Dame auf.
       
       Die kleinste (einen Meter und 52 Zentimeter groß), die leichteste (45 Kilo
       schwer) und die lautstärkste von allen rosa Damen ist Medea Benjamin. Ende
       2002 hat sie die Gruppe „Code Pink“ mitgegründet: damals, um gegen den
       Irakkrieg vorzugehen. Im Mai dieses Jahres unterbricht sie US-Präsident
       Obama bei einer Grundsatzrede zur „nationalen Sicherheit“ mehrfach.
       
       Der Saal in der Nationalen Verteidigungsakademie in Washington ist dicht
       mit Militärs und Regierungsmitgliedern besetzt. Die großen Fernsehsender
       übertragen live. Sicherheitsleute drohen Medea Benjamin nach ihrer ersten
       Unterbrechung mit einer Verhaftung, wenn sie nicht schweigt.
       
       Sie lässt sich nicht einschüchtern. Sie ruft dem Oberbefehlshaber zu:
       „Können Sie Muslimen sagen, dass ihre Leben weniger wert sind als unsere?
       Können Sie dem CIA die Drohnen wegnehmen? Können Sie die ’Signature
       Strikes‘, die Menschen aufgrund von verdächtigen Aktivitäten töten,
       beenden? Werden Sie die Familien von unschuldigen Opfern entschädigen? Das
       wird uns hier zu Hause sicherer machen.“ Während sie hinausgetragen wird,
       sagt der Präsident: „Diese Frau sagt Dinge, die es verdienen, gehört zu
       werden.“
       
       ## In elf Jahren etwa 50-mal verhaftet
       
       Die heute 61-Jährige ist als „nettes jüdisches Mädchen aufgewachsen“, sagt
       Medea Benjamin über sich selbst, „ich sollte einen jüdischen Doktor
       heiraten und Babys kriegen“. Stattdessen wird sie
       Wirtschaftswissenschaftlerin und heiratet in erster Ehe einen schwarzen
       kubanischen Basketballtrainer, der kein Wort Englisch spricht. Arbeitet in
       Lateinamerika und Afrika für die Weltgesundheitsorganisation. Verbringt
       vier Jahre in Kuba. Und macht in den 90er Jahren Kampagnen gegen die
       Arbeitsbedingungen in Turnschuh- und T-Shirt-Fabriken des Südens, die große
       US-amerikanische Konzerne beliefern. Inzwischen hat sie zwei erwachsene
       Kinder, ist auch von ihrem zweiten Ehemann getrennt und lebt mit dem „Code
       Pink“-Aktivisten und ehemaligen Hollywood-Requisiteur Tighe Barry in
       Washington zusammen.
       
       In den vergangenen elf Jahren ist Medea Benjamin „ungefähr 50-mal“
       verhaftet worden. Aber an dem Tag, als sie den mächtigsten Politiker des
       Planeten unterbricht, kann sie ungestört nach Hause gehen. „Eine Verhaftung
       hätte noch mehr Aufsehen erregt“, vermutet sie. Ihre Aktion ist in aller
       Munde. Eine Moderatorin von CNN wirft ihr im Interview vor, es sei „grob“,
       den Präsidenten zu unterbrechen. „Es ist grob, Unschuldige zu töten“,
       entgegnet Medea Benjamin.
       
       Angst hat sie nicht. Lampenfieber auch nicht. Wenn sie einen Redner bei
       einer Großveranstaltung unterbricht, reicht es für sie, an ihre Begegnungen
       mit Drohnenopfern im Jemen und in Pakistan zu denken. „Dann kommt alles,
       was ich zu sagen habe, wie von selbst“, sagt sie.
       
       Die Farbe Rosa ist ihre Uniform geworden. Sogar ihre Armbanduhr ist rosa.
       Bloß wenn sie inkognito unterwegs ist, zieht sie Tarnfarben an. Zum
       Beispiel, als sie sich mit anderen Code-Pink-Mitgliedern als Kellnerin in
       ein Luxushotel in San Francisco einschleicht.
       
       Hillary Clinton trifft an dem Tag Sponsoren für ihren ersten Versuch,
       demokratische Präsidentschaftskandidatin zu werden. Die falschen
       Kellnerinnen erinnern die Versammelten lautstark an Clintons Ja zur
       Irak-Invasion.
       
       ## Obama war eine „fürchterliche Enttäuschung“
       
       Medea Benjamin hat 2008 Barack Obama gewählt. Natürlich hatte sie
       FreundInnen, die ihn schon damals einen „Zentristen“ nannten und statt
       seiner Grün wählten. Natürlich wusste sie, dass Obama zwar gegen die
       Irak-Invasion war, aber Afghanistan als „guten Krieg“ verstand.
       
       Aber sie glaubte, dass er Guantánamo tatsächlich schließen und dass er
       tatsächlich direkte Gespräche mit den Gegnern der USA suchen würde. „Nach
       acht Bush-Jahren haben wir unsere Hoffnungen und Wünsche auf ihn
       projiziert“, erzählt sie rückblickend.
       
       Heute sagt Medea Benjamin, Obama sei eine „fürchterliche Enttäuschung“
       gewesen. Zwar zieht sie seine Sozialpolitik weiterhin der von Bush vor.
       Aber seine Außenpolitik sei von „Kontinuität“ geprägt und werde weder
       seinem Friedensnobelpreis noch seiner früheren Karriere als
       Verfassungsanwalt gerecht. Ganz besonders bei den Drohnen.
       
       Nach zahlreichen Protesten haben das Weiße Haus und der CIA-Chef ihr
       Schweigen zu den Drohnen unterbrochen. Und im vergangenen und diesem Jahr
       ein paar grundsätzliche Dinge gesagt. Danach sind tödliche Drohneneinsätze
       „legal“ (weil die USA seit September 2001 in einem bewaffneten Konflikt mit
       al-Qaida stehen), „effizient“ (weil Drohnen angeblich Attentate verhindern)
       und „präzise“ (weil Drohnen quasi chirurgisch exakt seien).
       
       Fakten zu den Drohnenangriffen hält die US-Regierung weiter unter
       Verschluss. Außenstehende müssen mühsam Augenzeugenberichte und
       Indiskretionen aus dem Sicherheitsapparat zusammenpuzzeln, um die Zahlen
       herauszufinden.
       
       Das Londoner „Bureau of Investigative Journalism“, das versucht, alle
       US-Drohnenattacken zu erfassen, ist allein in Pakistan bis Anfang Dezember
       auf die Zahl von 380 Drohnenangriffen gekommen – davon 329 unter Präsident
       Obama. Dabei kamen zwischen 2.534 und 3.642 Menschen zu Tode – unter ihnen
       168 bis 200 Kinder.
       
       ## Die amerikanische Friedensbewegung ist geschrumpft
       
       Für „Code Pink“ handelt es sich um einen nicht deklarierten Krieg, den eine
       offiziell zivile Organisation (die CIA) führt, ohne der Öffentlichkeit
       Rechenschaft abzulegen. „Unter Bush gab es Gefangennahmen und Folter“, sagt
       Medea Benjamin, „unter Obama gibt es einen saubereren Weg: töten.“
       
       Die Friedensbewegung in den USA, die bei Beginn des Irakkriegs
       Hunderttausende Menschen auf die Straße bringen konnte, ist heute ein
       kleines Häuflein. Bei Demonstrationen kommen selten mehr als ein paar
       hundert Leute zusammen.
       
       „Code Pink“ hat die Schrumpfung gespürt: Von den mehr als 300 lokalen
       Gruppen und der großen Mailing-Liste ist nur noch die Hälfte übrig. Das
       Haus in Washington, das zu Bushs Zeiten rund ums Jahr mit AktivistInnen
       ausgebucht war, die politisch in der Hauptstadt zu tun hatten, gibt es
       längst nicht mehr. Sowohl die Basis als auch die linken Flügel der
       Demokratischen Partei sind auf Distanz gegangen.
       
       Die Erschöpfung nach Bush, die Sympathie für Obama und die Rezession, in
       der viele ihre Arbeit und ihre Häuser verloren haben, sind nur ein Teil der
       Erklärung für das Schweigen. Hinzu kommen die Charakteristika des
       Drohnenkriegs: Er findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es
       kommen keine Särge mit US-amerikanischen Soldaten zurück. Und die Opfer
       sterben fernab der Kameras der US-Medien.
       
       ## Der Wendepunkt
       
       Als im Oktober erstmals Überlebende eines Drohnenangriffs zu einer
       Kongressanhörung kommen, nehmen nur fünf Abgeordnete der Demokratischen
       Partei die Gelegenheit wahr. Nabila (9) und ihr Bruder Zubair (13) Rehman
       waren dabei und sind selbst verletzt worden, als ihre 67-jährige Großmutter
       Momina Bibi im Oktober 2012 bei der Gartenarbeit in Wasiristan von einer
       Drohne getötet wurde.
       
       Für Medea Benjamin ist dennoch klar, dass die USA in diesem Herbst einen
       Wendepunkt erreicht haben: Syrien. „Wir hatten völlig neue Allianzen von
       links bis ganz rechts“, sagt sie, „ohne die wäre Obama in den Krieg
       gegangen.“ Auf diesem Meinungsumschwung will sie aufbauen.
       
       Medea Benjamin ist Vollzeitaktivistin. Hält Vorträge. Reist nach Jemen und
       Pakistan. Demonstriert in den USA vor Rüstungsbetrieben und Universitäten,
       die vom Militär finanziert werden. Und in Gaza gegen den israelischen
       Krieg. Schreibt Bücher. Und sucht – wie jetzt in Deutschland – immer neue
       Allianzen, um die Verbreitung tödlicher Drohnen zu stoppen.
       
       9 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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