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       # taz.de -- Russisch-ukrainisches Verhältnis: Slawische und andere Werte
       
       > Putin plant die Zollunion mit der Ukraine. Sollte das gelingen, käme
       > Russland seinem Ziel einer „Eurasischen Union“ sehr nahe.
       
   IMG Bild: Auch ihnen geht es um Putin: Demonstranten und Polizisten in Kiew.
       
       MOSKAU taz | Noch ist es ein Gerücht. Sollte sich die Nachricht aus London
       jedoch erhärten, wäre Russlands Präsident Wladimir Putin dem Ziel, die
       Ukraine anzubinden, noch ein Stück nähergerückt.
       
       Am Samstag meldete der Sender Echo Moskwy unter Berufung auf einen Tweet
       des britischen Wirtschaftsmagazins Economist, die Ukraine habe einem
       baldigen Beitritt zur Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und
       Kasachstan nun doch zugestimmt. Mitgliedschaft in der Zollunion und
       Assoziierung mit der EU, der Kiew ohnehin bereits eine Absage erteilt hat,
       sind für Brüssel miteinander unvereinbar.
       
       Moskau locke mit der Halbierung des Gaspreises und einem größeren
       Milliardenkredit, hieß es. Der Kreml dementierte zwar umgehend, aber die
       Annäherung von Präsident Wiktor Janukowitsch an Russland ist unverkennbar.
       Ob Putin den Erfolg einlösen kann, hängt nur noch von der Hartnäckigkeit
       der Opposition in Kiew ab.
       
       Für die Mehrheit der Russen gehört die Ukraine ohnehin zu Russland. Sie
       haben deren Verlust nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 nie
       verwunden. Den Wunsch des slawischen Verwandten nach einem eigenen Staat
       hielt Moskau für eine vorübergehende Marotte. Daran hat sich bis heute
       nichts geändert.
       
       ## Putins „Schicksalsgemeinschaft“
       
       61 Prozent der Russen betrachten nach einer Umfrage des unabhängigen
       Lewada-Instituts die Ukraine nicht als Ausland. 30 Prozent sehen in der
       proeuropäischen Neigung der ukrainischen Bevölkerung gar einen „Verrat an
       der slawischen Einheit“. Für eine europäische Integration sind nur drei
       Prozent.
       
       Für Putin ist die Ukraine der Schlüssel zu einem neuen Großreich. Wenn er
       den westlichen Nachbarn wieder dem russischen Orbit einverleibt, kann er
       sich der Unterstützung zu Hause sicher sein. Mit der Ukraine verbindet das
       russische Massenbewusstsein vor allem die Sommerferien auf der Krim am
       Schwarzen Meer, während für die Militärs der russische Flottenstützpunkt
       Sewastopol auf der Insel immer eine russische Stadt bleiben wird.
       
       Putin beschwört gerne die „Schicksalsgemeinschaft“ und spielt damit auf die
       gemeinsame Geschichte an. Aus der vor über tausend Jahren entstandenen
       Kiewer Rus gingen später Russland, die Ukraine und Weissrussland hervor.
       Von Kiew verlagerte sich die „Heilige Rus“ nach Moskau, das als
       vermeintlich „Drittes Rom“ der Christenheit bereits im 15. Jahrhundert
       imperiale Ansprüche anmeldete.
       
       ## „Eurasische Union“
       
       Erst im Sommer nahm Putin an einem Kongress in Kiew teil, der sich
       „orthodoxen slawischen Werten als Grundlage für die zivilisatorische Wahl
       der Ukraine“ widmete. Dem Kremlchef geht es weniger um Werte. Er verfolgt
       die Vision, Russland als ein gleichrangiges Gravitationszentrum neben den
       USA, China und der EU zu etablieren.
       
       Die Zollunion ist nur eine Vorstufe eines neuen geopolitischen Gebildes,
       das der Kreml „Eurasische Union“ taufte. Ohne die Ukraine als größten
       europäischen Flächenstaat mit 46 Millionen Einwohnern hätte die „russische
       EU“ als Sammelbecken unterentwickelter zentralasiatischer Staaten und des
       kaukasischen Armenien kaum Erfolgsaussichten.
       
       Putin kann sich keine strategische Allianz mit einer der anderen Mächte
       vorstellen. Er bleibt imperialem und isolationistischem Denken verhaftet.
       Sperrt sich die Ukraine, wird sich die imperiale Vision nicht umsetzen
       lassen. Weltgeltung und Großmacht-Insignien sind aber die Säulen, auf denen
       die Herrschaft im Kreml noch fußt, seit die Wirtschaft schwächelt.
       
       Es ist ein neuer Versuch, nachdem der Traum von der Energie-Supermacht
       verblasst ist. Der Erfolg einer westlich orientierten Ukraine würde indes
       das autoritäre Herrschaftsmodell des Kreml infrage stellen. Mit der
       Einverleibung der Ukraine ließe sich die zivilisatorische Wachablösung in
       Russland noch etwas hinausschieben.
       
       8 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus-Helge Donath
       
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