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       # taz.de -- Willkommen für Flüchtlinge: Zufluchtsort Potsdam
       
       > Rechte hetzten an vielen Orten gegen Flüchtlinge. Anders in Potsdam: Hier
       > werden Asylbewerber mit eigenen Wohnungen willkommen geheißen.
       
   IMG Bild: Es geht auch schöner: Container für Flüchtlinge in der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung in Eisenhüttenstadt.
       
       Die erste Familie ist schon da – und bis Jahresende könnten bis zu 60
       Flüchtlinge in 20 Wohnungen in Potsdam-West eine Bleibe finden. So plant es
       die Potsdamer Stadtverwaltung.
       
       In dem Viertel zwischen Templiner See und Park Sanssouci mit seinen
       Wohnungen aus den 1950er Jahren scheinen die Asylbewerber willkommen zu
       sein. Ein Netzwerk aus Vereinen und Bürgerinitiativen veranstaltet am
       heutigen Samstag ein Fest zu ihrer Begrüßung. Auch im benachbarten Teltow
       gibt es eine Willkommensinitiative. In der Gemeinde im Speckgürtel hat
       dieses Jahr ein neues Heim für 230 Flüchtlinge eröffnet.
       
       Andernorts in Brandenburg gab es in diesem Jahr hingegen Proteste gegen
       neue Flüchtlingsunterkünfte. Rechtsextreme hetzten unter dem Deckmantel
       lokaler Bürgerinitiativen gegen Asylsuchende. In mehreren Städten trugen
       die vermeintlichen Bürgerinitiativen den Namen „Nein zum Heim“: in Pätz
       (Dahme-Spreewald), Gransee (Oberhavel), in Friesack, Rathenow (Havelland)
       und Bad Belzig (Potsdam-Mittelmark).
       
       Ende Oktober hatte es etwa in Pätz im Landkreis Dahme-Spreewald einen
       Aufmarsch von 200 Neonazis gegen eine geplante Unterkunft gegeben. Im
       havelländischen Premnitz versuchten Unbekannte, ein geplantes
       Flüchtlingsheim in einer ehemaligen Schule anzuzünden.
       
       In der brandenburgischen Landeshauptstadt sieht es hingegen anders aus:
       keine Aufmärsche, keine rechte Bürgerinitiative, keine Hetzseiten auf
       Facebook. Stattdessen verspricht der Schulrat eine Integrationsklasse an
       der benachbarten Gesamtschule, damit die Kinder rasch Deutsch lernen. Der
       Träger des Wohnungsverbundes bietet in einem Büro Beratung für Flüchtlinge
       an. Nur vereinzelt wurden auf einer Bürgerversammlung diffuse Vorurteile
       deutlich – etwa bei der Frage, ob die Flüchtlinge denn auch den Müll
       trennen würden.
       
       Eigentlich also eine vergleichsweise entspannte Situation. Doch dazu musste
       die Stadtverwaltung erst getragen werden. Noch bis in den Sommer hatte sie
       eine „temporäre Unterkunft in Leichtbauweise“ geplant – auf einer Brache im
       Gewerbegebiet.
       
       Dagegen allerdings gab es massiven Protest. Widerspruch kam etwa von
       Flüchtlingsvertretern und quer durch die Parteien, besonders von den Grünen
       und der linksalternativen Fraktion Die Andere. Im Anschluss an eine
       Demonstration sprachen mehrere Asylbewerber vor dem Hauptausschuss. „Die
       Flüchtlinge konnten den Stadtverordneten die Lage klarmachen“, so Ivana
       Domazet, Sprecherin des Flüchtlingsrats Brandenburg. Nun soll ein neues
       Heim näher am Zentrum mit guter Verkehrsanbindung gebaut werden. Bis dahin
       nutzt die Stadt Wohnungen ihrer Immobilienholding.
       
       Damit kommt Potsdam seinem Konzept vom Frühjahr näher. Das sieht vor, dass
       Flüchtlinge nach spätestens einem Jahr in Wohnungen leben sollen. Die
       Umsetzung scheiterte bisher am angespannten Wohnungsmarkt mit nur etwa
       einem Prozent Leerstand. Dieses Jahr hat das Land die Zahl der
       Asylbewerber, die Potsdam aufnehmen soll, zudem schrittweise von 110 auf
       195 erhöht. Noch jedoch ist diese Zahl nicht erreicht – weshalb Potsdam zu
       den acht Kreisen und Städten im Land gehört, die bislang nicht genug
       Flüchtlinge aus dem überfüllten Erstaufnahmelager in Eisenhüttenstadt
       aufgenommen haben.
       
       Im Oktober setzte das Sozialministerium Brandenburgs der Stadt deshalb ein
       Ultimatum: Sollte Potsdam nicht bis Jahresende seine Quote erfüllen, würde
       das Land eine Unterkunft suchen und die Kosten der Stadt in Rechnung
       stellen.
       
       Darum wird Potsdam nun wohl herumkommen. 20 Flüchtlinge kommen ersatzweise
       in Frankfurt (Oder) unter, für den Rest sollen die Wohnungen in
       Potsdam-West reichen, ist Stadtsprecher Jan Brunzlow optimistisch. Für die
       Stadtkasse hat sich die Wohnungssuche ohnehin als gutes Geschäft erwiesen.
       In den letzten Jahren lagen die Mietkosten für Flüchtlinge in einer Wohnung
       pro Kopf deutlich unter denen in der Gemeinschaftsunterkunft.
       
       6 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Zschieck
       
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