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       # taz.de -- Rücknahmeabkommen mit der Türkei: Türken rein, Flüchtlinge raus
       
       > In der EU abgewiesene Asylsuchende können zukünftig in die Türkei
       > zurückgeschickt werden. Dafür wird die Einreise für türkische Bürger
       > erleichtert.
       
   IMG Bild: Syrische Flüchtlinge an der Grenze zur Türkei.
       
       ISTANBUL taz | Jahrelang hatte die EU darauf gedrängt, jetzt ist es so
       weit. Die Türkei ist bereit, ein sogenanntes Rücknahmeabkommen zu
       unterschreiben, mit dem sie zusichert, alle Flüchtlinge, denen es gelang,
       über ihr Territorium in die EU zu flüchten, wieder zurückzunehmen. Tritt
       dieses Abkommen Ende des Jahres in Kraft – offiziell will die türkische
       Regierung die Vereinbarung am 16. Dezember unterzeichnen – wird vor allem
       die griechische Regierung aufatmen.
       
       Im Gegenzug sichert die EU zu, dass für Türken die Einreise in die EU
       erleichtert wird, bis hin zur Visafreiheit in drei Jahren. Während die
       Zeitungen in der Türkei vor allem über die in Aussicht gestellten
       Visaerleichterungen jubeln, bleibt das Rücknahmeabkommen zunächst
       weitgehend undiskutiert.
       
       Mehrere Hunderttausend Menschen sind in den letzten Jahren über die Türkei
       in die EU geflüchtet, die meisten nach Griechenland. In letzter Zeit
       versuchen Flüchtlinge auch nach Bulgarien zu gelangen, weil Griechenland im
       Verbund mit EU-Frontex-Polizisten den Grenzübertritt erheblich erschwert
       hat.
       
       Nach Griechenland versuchen Flüchtlinge über die Ägäisinseln, den
       Grenzfluss Meric/Evros oder über einen schmalen Landstreifen bei der
       Grenzstadt Edirne zu gelangen. Auf der 12 Kilometer langen Landgrenze hat
       Griechenland mittlerweile einen Zaun gebaut, die Überwachung der Seegrenze
       wurde verstärkt. Flüchtlingsorganisationen berichten, dass die griechische
       Küstenwache auch nicht davor zurückschreckt, Flüchtlingsboote zu versenken.
       
       Die meisten Flüchtlinge, die es dennoch schaffen, kommen von Griechenland
       aus nicht weiter, weil sie nur dort Asyl beantragen dürfen, wo sie zuerst
       EU-Boden betreten haben. Griechenland ist mit der großen Zahl an
       Flüchtlingen völlig überfordert und wird versuchen, möglichst viele wieder
       in die Türkei abzuschieben. Das aber wird in der Türkei zu ähnlichen
       Problemen führen.
       
       ## Nicht auf die Flüchtlinge vorbereitet
       
       Es gibt kaum Aufnahmelager und das Rechtssystem ist für die Bearbeitung von
       Asylanträgen in keiner Weise vorbereitet. Zwar wurde im Frühjahr ein
       Asylgesetz verabschiedet, aber das steht bislang nur auf dem Papier. Schon
       jetzt ist die Türkei mit rund 1 Million syrischer Flüchtlinge an der Grenze
       ihrer finanziellen Möglichkeiten. Doch die syrischen Flüchtlinge werden
       offiziell gar nicht als solche bezeichnet, sondern als Gäste der Regierung.
       Ihr Aufenthalt ist zeitlich nicht befristet, weil man immer noch davon
       ausgeht, dass der Krieg bald endet. Es wurde aber jetzt begonnen, an
       einzelne Syrer Arbeitserlaubnisse auszugeben.
       
       Darauf dürfen andere Flüchtlinge in der Türkei nicht hoffen. Die Mehrheit
       kommt bislang aus Iran, Irak und Afghanistan. Sie müssen sich bei der
       Flüchtlingshilfe der UNO, dem UNHCR, melden, werden dort registriert und
       dürfen sich anschließend nur in einer bestimmten Stadt aufhalten. Dort
       warten sie dann jahrelang ohne staatliche Unterstützung darauf, dass das
       UNHCR für sie eine Bleibe in Europa oder Nordamerika findet.
       
       Dazu kommen immer mehr afrikanische Flüchtlinge, die derzeit leicht als
       Touristen in die Türkei einreisen können, weil die Visapflicht für etliche
       afrikanische Länder abgeschafft wurde, und die nach den erlaubten drei
       Monaten dann einfach abtauchen. Viele, die ursprünglich vorhatten nach
       Europa zu gehen, ziehen es bereits vor, in Istanbul zu bleiben, weil es
       dort bessere Jobmöglichkeiten als in Griechenland gibt. Mit der jetzigen
       Vereinbarung mit der EU wird die Zahl von Flüchtlingen, die für längere
       Zeit in der Türkei bleiben, erheblich zunehmen.
       
       Die Konflikte, die sich daraus ergeben werden, sind bereits absehbar. Am
       meisten leiden werden die Kriegs- und Armutsflüchtlinge, deren Traum von
       Europa jetzt schon in der Türkei enden wird.
       
       5 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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