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       # taz.de -- Gabriel contra Slomka im „heute-journal“: Paranoid, enttäuscht, hilflos
       
       > Inhaltlich gab das Wortgefecht zwischen SPD-Chef Gabriel und
       > ZDF-Moderatorin Slomka wenig her. Psychologisch umso mehr.
       
   IMG Bild: Viel Gebrüll, wenig Inhalt – Taschenspieler (l.) vs. Ballwand (r.)
       
       Ali gegen Foreman war vorgestern, gestern war Marietta Slomka gegen Sigmar
       Gabriel. Im „heute journal“ ein [1][hochinteressanter Clash] über fünf
       Runden zum Thema „Abstimmung der SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag
       aus verfassungsrechtlichen und basisdemokratischen Blickwinkeln“.
       
       Sicher lässt sich trefflich darüber streiten, ob es weniger Demokratie ist,
       wenn man zu einer wichtigen Entscheidung statt einem Hundertfünfzigstel des
       Wahlvolks gar niemanden abstimmen lässt, oder wenn man eben dieses
       Hundertfünfzigstel bevorzugt wie im alten Rom.
       
       Noch schöner wäre es ja, wenn man nicht darüber streiten würde, was noch
       weniger Demokratie wäre, sondern was vielleicht mehr sein könnte, aber das
       ist zum Glück nur die persönliche Meinung eines weltfremden
       Schreiberzausels, der anstatt anzupacken nur die kurzen Interludien
       zwischen seinen Drogenräuschen mit naiven Forderungen zubrüllt.
       
       Viel Gebrüll und wenig Inhalt letztlich auch im Interview. Daher erscheint
       es ergiebiger, die Dynamik, die Psychologie sowie den Wandel von Rolle und
       Status innerhalb des Gesprächs zu beobachten.
       
       ## Unermüdliche Ballwand
       
       Bei Marietta Slomka ist alles ganz einfach. Sie ist immer Frau Slomka, die
       eine Mischung aus Journalistin und Ballwand spielt. Kaum wechselt bei ihr
       Mimik und Intonation. Die in verschiedenen Winkeln aufprallenden Antworten,
       Ausflüchte und Gegenreden Gabriels werden von ihr mit den immergleichen
       Fragen retourniert. Sie wartet einfach, bis er erschöpft ist. Eine Ballwand
       wird niemals müde.
       
       Aufschlussreicher ist Gabriel. Er versucht sich als Taschenspieler,
       Animateur, Oberlehrer, als Partner, der von innen heraus eine kriselnde
       Beziehung moderiert, als beleidigter Trainer eines Tabellenletzten. Das ist
       schön anzuschauen und wer sich schon einmal in einem Workshop an der Kunst
       des Improvisationstheaters versucht hat, weiß diese Leistung auch zu
       schätzen.
       
       ## Das Böse als Kronzeuge
       
       Der Taschenspieler lockt und wiegelt ab. „Sie haben nicht richtig
       zugehört“, lügt er schlau da, wo der Fernsehzuschauer nichts nachweisen
       kann. „Wieso sollte direkte Demokratie verboten sein?“, fragt er, es klingt
       wie „kann denn Liebe Sünde sein?“ und hat nichts miteinander zu tun, tut
       aber so. Auf dem Gipfel seiner Täuschungsmanöver führt er sogar das Böse
       selbst als Kronzeugen an: Der FDP-Vorsitzende Lindner habe gesagt, der
       Koalitionsvertrag sei ein sozialdemokratisches Programm. Doch der hätte das
       wahrscheinlich auch vom Hitler-Stalin-Pakt behauptet.
       
       Der Alleinunterhalter Gabriel wiederum frohlockt: „Das ist richtig gut, was
       wir machen.“ Die Stimmung ist fröhlich, die Mitglieder klatschen und sind
       gut gelaunt. Kamelausritte auf SPD-Parteitage, Tischtennis, Wasseraerobic
       im Pool, Abstimmung über den Koalitionsvertrag. Und das auch noch all
       inclusive. Die griesgrämige Backpackerin Slomka interessiert das nicht.
       
       Deshalb sehen wir als nächstes Gabriel als Oberlehrer. Die kleine Marietta
       aus der ersten Bank will mit ihm diskutieren. Sie ist engagiert, aber dumm
       und schlecht vorbereitet. Außerdem ist ihr Vater bei der CDU. Da verliert
       selbst der geduldigste Studienrat irgendwann die Contenance: „Das ist
       völlig falsch, was Sie sagen. Seien Sie mir nicht böse, aber ich kann Ihre
       Argumente nicht wirklich ernstnehmen.“
       
       ## Angie liebt Horsti
       
       Seufzend nimmt Herr Gabriel noch einmal die Kreide und den Schwamm, wischt
       ein Herz weg, das von einem Pimmel durchbohrt wird und auf dem „Angie liebt
       Horsti“ steht („Und das soll Oberstufe sein?“, denkt er. „Und so was muss
       ich mit ‚Sie‘ anreden?“) und zeichnet ein Schaubild an die Tafel:
       „Verfassung – Willensbildung – Parteiengesetz – Abgeordnete – Freies Mandat
       …“ Zum hundertsten Mal, doch Marietta gibt nicht auf: „Ich dachte
       eigentlich, dass in Deutschland alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht …“
       Dabei ist ihr das völlig egal. Das merkt er schon an ihrem schnippischen
       Tonfall. Sie will ihn nur provozieren.
       
       „Tun Sie mir den Gefallen – lassen Sie uns den Quatsch beenden.“ Das klingt
       resigniert. Er ist noch in der alten Rolle und auch schon in der neuen:
       Seine Beziehung mit Marietta kriselt. Ein leises Bedauern beschleicht ihn:
       Früher war alles einfacher, da hat man Frauen wie diese entmündigt oder
       verbrannt.
       
       Doch er ist kein Chauvi, beherrscht sich, ist eher einer dieser
       halbmodernen Männer mittleren Alters, die unbeholfen aber bemüht mit ihrem
       Weg in ein neues Rollenverständnis kämpfen. Ein CSU-Politiker hätte die
       keifende Alte ganz anders abgekanzelt. Unter der Gürtellinie.
       
       ## Das beleidigte Toben
       
       Gabriel aber gleicht aus, während Slomka bissig wird: „Sie sagen, es ist
       Quatsch. Das ist eine besondere Form der Argumentation.“ Oha. Er überhört
       auch das, erinnert leise, fast flehend an bessere Tage (im VW-Käfer nach
       Griechenland. Billiger Retsina. Das erste Kind. Beide bettelarm und noch im
       Studium …), appelliert an sie, würdevoll und vielleicht sogar als Freunde
       auseinanderzugehen: „Das hat doch keinen Sinn, wenn wir uns hier so
       behandeln.“
       
       Leider geht die Partnerin nicht konstruktiv darauf ein: „Ich behandel Sie
       gar nicht schlecht, ich stell hier Fragen.“ Was er ihr angetan hat, werden
       wir wohl nie erfahren.
       
       Die letzte Rolle, der letzte Trumpf, ein erbärmliches Rückzugsgefecht, er
       weiß es selber: „Es ist nicht zum ersten Mal, dass Sie in einem Interview
       mit Sozialdemokraten nichts anderes versuchen als uns das Wort im Mund
       herumzudrehen.“ Es ist klar, dass er recht hat und es ist klar, dass er
       damit nicht durchkommt. Es sieht nur aus wie das beleidigte Toben eines
       unterlegenen Fußballtrainers, paranoid, enttäuscht, hilflos: „Es ist immer
       dasselbe, dass die Schiedsrichter uns
       Aufsteiger/Ostvereine/Sozialdemokraten systematisch benachteiligen …“
       
       Sigmar Gabriel muss auf die Tribüne. Sein Blick ist weinerlich. Wo ist all
       das Kämpferische hin? Schwacher Abgang.
       
       29 Nov 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.heute.de/Wortgefecht-zwischen-Slomka-und-Gabriel-Das-ist-Bl%C3%B6dsinn-30845982.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Uli Hannemann
       
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