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       # taz.de -- Illegaler Waffenexport nach Mexiko: Heikle Beute
       
       > In der mexikanischen Provinz stürmen Bürger ein Rathaus. Sie entdecken
       > dabei Gewehre der deutschen Firma Heckler & Koch, die dort nicht sein
       > dürften.
       
   IMG Bild: Die beschlagnahmte HK G36 auf dem Dorfplatz von Titxla.
       
       TIXTLA taz | Gonzalo Molina muss noch einmal los. Es ist dringend, unten im
       Stadtzentrum sind die Leute sehr besorgt. Seit der Tropensturm „Manuel“ den
       vielen Regen gebracht hat, steht Tixtla unter Wasser. Einige Wochen ist das
       schon her, doch die Bewohner müssen sich noch immer durch eine meterhohe
       stinkende Brühe kämpfen. Manche stehen im Schlamm vor ihren Häusern und
       bewachen Kühlschrank, Waschmaschine und anderen Hausrat.
       
       Denn die Diebe der Mafia nutzen das Chaos und gehen auf Raubzug. Also fährt
       Gonzalo Molina mit seinem Kollegen David Chanita zu einer Familie, die um
       Hilfe bat. Wer, wenn nicht die selbst organisierte Gemeindepolizei, sollte
       die Menschen im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero vor den Kriminellen
       schützen?
       
       Die Jagdgewehre geschultert, in ihren durchschwitzten olivgrünen T-Shirts
       mit dem Logo der „Policia Comunitaria“, kehren Molina und Chanita bald
       zurück. Hier im Hauptquartier, wie Molina den Unterstand am Rande eines
       Basketballplatzes nennt, haben sich die autonomen Polizisten oberhalb des
       Stadtzentrums eingenistet. Eine schwarze Plane schützt vor der stechenden
       Sonne, eine quer gelegte Kabelrolle aus Holz dient als Tisch, auf der
       Feuerstelle köchelt der Kaffee. „Früher haben sich die Kriminellen wegen
       des Drogenanbaus untereinander bekämpft. Inzwischen fordern sie Schutzgeld
       von Händlern und entführen unsere Kinder, um Lösegeld zu kassieren“,
       erklärt der Familienvater.
       
       Den lokalen politischen Amtsinhabern und der Polizei traut hier niemand.
       Jeder weiß: Bürgermeister, Beamte und Sicherheitskräfte arbeiten meist eng
       mit der Mafia zusammen. Deshalb haben sich Molina und seine Leute vor einem
       Jahr bewaffnet, so wie es derzeit viele in Mexiko tun. Etwa 200 Männer und
       Frauen sind in der örtlichen Gruppe organisiert.
       
       „Alles, was wir machen, ist völlig legal.“ Das betont der 48-jährige Molina
       gleich mehrfach und verweist auf die mexikanische Verfassung. Tatsächlich
       werden manche Selbstverteidigungsgruppen sogar von der Landesregierung
       toleriert, weil die Politik die Verbrechen nicht in den Griff bekommt und
       den korrupten lokalen Beamten misstraut. Anders in Tixtla. Molina blickt
       nervös von links nach rechts. In der Kleinstadt ist die Stimmung
       angespannt, seit die Gemeindepolizisten am 26. August ein paar Stunden lang
       das Rathaus besetzt hielten. Und jetzt, drei Monate später, hat Molina
       erfahren, dass sogar ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde.
       
       ## Sturm aufs Rathaus
       
       „Erst haben wir nur demonstriert, weil einige Compañeros verhaftet wurden“,
       erinnert er sich. Doch dann eskaliert die Lage: Städtische Polizisten
       zielen mit Sturmgewehren auf die Protestierenden, es folgen Prügeleien.
       Plötzlich entwaffnen Molinas Leute die Beamten und stürmen das Rathaus.
       Wenig später ziehen sie wieder ab. Als Beute nehmen sie fünf schwere Waffen
       mit, die sie den Sicherheitskräften abgenommen haben, darunter zwei
       Sturmgewehre G36 der deutschen Rüstungsschmiede Heckler & Koch, die gemäß
       der Exportgenehmigung nie in die Provinz Guerrero hätten gelangen dürfen.
       
       Der städtische Sicherheitsbeauftragte, Rubén Reyes Cepeda, gibt nach der
       Besetzung freimütig in der Presse zu: „Wir besitzen elf G36-Gewehre in
       verschiedenen Ausführungen.“ Auch Polizisten, die später vor dem Rathaus
       Wache schieben, tragen die Waffe aus dem baden-württembergischen Oberndorf.
       
       Dass die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen die Firma Heckler & Koch
       wegen illegaler Rüstungsexporte ermittelt – darüber weiß Gonzalo Molina
       wenig: „Man sagt, die G36 seien verboten, aber die tragen hier doch alle.“
       In der Landeshauptstadt Chilpancingo habe er Beamte mit der Waffe gesehen,
       in anderen Regionen hätten Compañeros solche Gewehre beschlagnahmt. Sorgen
       macht er sich darüber, wer sie sonst noch haben könnte: „Wenn die Regierung
       sie hat, dann auch die Mafia.“ Mexikanische Medienberichte geben ihm recht:
       Bei Durchsuchungen in Wohnungen von korrupten Polizisten und Killern der
       organisierten Kriminalität taucht immer wieder das G36 auf.
       
       Molina wirft einen Blick auf die angrenzenden Häuser und rückt seine Kappe
       zurecht. Seine Stimme wird leiser. Die Waffen seien mit den ebenfalls
       „beschlagnahmten“ US-amerikanischen AR15-Gewehren hier in der Nähe
       aufbewahrt, sagt er. Mehr will er nicht sagen. „Wir wollen diese
       gefährlichen Schusswaffen gar nicht haben und würden sie auch
       zurückzugeben, wenn die widerrechtlich verhafteten Gemeindepolizisten
       wieder freigelassen werden.“ Das Thema ist Molina unangenehm, in den Medien
       gab es kritische Berichte, dass die Gemeindepolizei nun angeblich mit
       Nato-Waffen schießt. Dann klingelt das Handy. Molina und Chanita schnappen
       ihre Flinten, springen in den schwarzen Geländewagen und fahren los.
       
       Zwei Stunden später geht beim Menschenrechtszentrum im nahe gelegenen
       Chilpancingo ein Anruf ein: Die beiden Männer sind an einer Kontrollstelle
       festgenommen worden. Die Nachricht macht schnell die Runde. Schon am späten
       Nachmittag sammeln sich Freiwillige der Gemeindepolizei, Angehörige und
       andere Aktivisten im Hauptquartier in Tixtla. Junge Männer stehen in ihren
       schlichten Uniformen in der Abendsonne. Einige tragen Jagdgewehre, andere
       haben die G36 aus dem Versteck geholt und zeigen mit ein wenig Stolz auf
       die Prägung: „HK G36C, Kal. 5,56 mm x 45“. Aufgeregt laufen sie zwischen
       ein paar Mädchen hin und her, die Basketball spielen. Was tun? Werden
       Molina und Chanita wieder freigelassen?
       
       ## Zwei tote Studenten
       
       Mittlerweile sind auch etwa 200 Studenten der Pädagogischen Hochschule
       Ayotzinapa eingetroffen. Das Internatsgelände am Stadtrand von Tixtla gilt
       Gegnern als linke Kaderschmiede. Che, Subkommandant Marcos, sogar Lenin
       prangen an den Hauswänden. Söhne aus einfachen Familien lernen hier, um
       später in den Dörfern der Region zu unterrichten. Regelmäßig legen sie sich
       mit den Mächtigen an. So auch am 12. Dezember 2011. An diesem Tag
       blockieren sie die Autobahn in Chilpancingo, um gegen den dauernden
       Unterrichtsausfall zu demonstrieren. Bundes- und Landespolizisten rücken
       an. Beamte feuern Tränengasgranaten. Steine fliegen, Schüsse fallen. Zwei
       Studenten bleiben tot auf der Straße liegen. „Das war kein Unfall, sondern
       Absicht“, ist der Lehreranwärter Ali Perez Bravo überzeugt.
       
       Auch bei diesem Einsatz tragen Beamte G36-Gewehre. Das bestätigen Anwälte
       und Journalisten der regionalen Tageszeitung El Sur. Wie Perez Bravo war
       der Fotograf Eric Chavelas vor Ort. Nun sitzt er in der Redaktion und
       scrollt über den Bildschirm. „Hier“, sagt er und zeigt auf eine Aufnahme,
       „das ist doch die deutsche Waffe.“ Bis heute ist nicht ausgeschlossen, dass
       die Studenten mit den Sturmgewehren getötet wurden. Denn wie in 98 Prozent
       solcher Fälle in Mexiko wird ein Verbrechen nicht konsequent strafrechtlich
       verfolgt.
       
       ## Der Vermittler schweigt
       
       Wie aber kam es dazu, dass die Gewehre illegal in die Provinz Guerrero
       gelangt sind? Die Firma Heckler & Koch habe sich immer an das Gesetz
       gehalten, lautet die Standardantwort aus Oberndorf. Für Aufklärung könnte
       deren ehemaliger Mitarbeiter Markus Bantle sorgen. Seit 25 Jahren lebt der
       Deutsche in Mexiko, weit draußen, im Norden der Hauptstadt, ist er bei der
       in Waffengeschäfte verstrickten Firma Lamar tätig. Auch er äußert sich
       zurückhaltend: „Für mich ist da Sendepause, ich will über das Geschäft
       lieber nicht mehr reden.“ Bei dem Deal zwischen den Waffenbauern und dem
       Einkäufer, dem mexikanischen Verteidigungsministerium, habe er nur
       vermittelt.
       
       Ob ein General, wie es in den Ermittlungsakten der Stuttgarter
       Staatsanwaltschaft heißt, tatsächlich Schmiergeld bekommen hat, damit
       genügend Gewehre geliefert werden? Ob seine Firma wusste, dass die G36 in
       Regionen geraten, die explizit von der Exportgenehmigung ausgeschlossen
       waren? Bantle wird einsilbig: „Schweigepflicht“.
       
       Im fünf Busstunden entfernten Tixtla ist es inzwischen Abend geworden. Die
       autonomen Gemeindepolizisten, die Angehörigen und die Studenten sind noch
       immer im Unterstand und beraten. Sollte man die Gewehre zurückgeben? Der
       Bürgermeister, der die Anzeige gestellt hat, sei zu Gesprächen bereit.
       Trotzdem: Irgendwas muss passieren. Jetzt! Und so ziehen gegen Mitternacht
       mehrere hundert Bauern und vermummte Jugendliche vor das mit Stacheldraht
       und Mauern gesicherte Gefängnis der Provinzhauptstadt Chilpancingo. Ihre
       Waffen lassen sie im Hauptquartier, Holzprügel nehmen sie sicherheitshalber
       mit. Die Nacht bleibt ruhig.
       
       Wenige Tage später befindet sich der Jugendliche David Chanita wieder auf
       freiem Fuß, Gonzalo Molina hingegen wird in ein Hochsicherheitsgefängnis im
       zehn Autostunden entfernten Oaxaca verlegt. Es sieht schlecht aus für ihn.
       Der Bürgermeister bleibt bei seiner Anzeige, unabhängig von der Rückgabe
       der Waffen. Nun liegt der Fall bei der Generalstaatsanwaltschaft in
       Mexiko-Stadt. Die Strafverfolger werfen dem Anführer der Gemeindepolizei
       Terrorismus und Geiselnahme vor. Und das Tragen von Waffen, die den
       Streitkräften vorbehalten sind. Molinas Jagdgewehr werden sie damit nicht
       gemeint haben.
       
       1 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolf-Dieter Vogel
       
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