# taz.de -- Schriftsteller über die Große Koalition: „Das ist keine Politik“
> Soll die SPD sich für eine Koalition mit der Union entscheiden? Der
> Schriftsteller Ingo Schulze antwortet in einer kurzen, persönlichen
> Geschichte.
IMG Bild: Enttäuschte Liebe.
Gestern Mittag klingelte Frau M. an meiner Tür, wir wohnen im selben Haus.
Wenn ich nicht da bin, kümmert sie sich um meine Post. Auf meine Begrüßung
antwortete sie nicht gleich, sondern sah mich mit leicht gesenktem Kopf an.
„Wollen Sie herein kommen?“, fragte ich.
„Ich ziehe meine Stimme zurück!“, verkündete sie. „Löschen Sie meinen Namen
von diesem [1][Aufruf]!“
„Wollen Sie nicht doch herein kommen?“
„Nein, löschen Sie meinen Namen!“
„Darf ich fragen, warum? Finden Sie die Große Koalition jetzt doch
richtig?“
„Ich will mit denen nichts mehr zu tun haben, gar nichts mehr!“
„Aber?“, sagte ich, ohne weiter zu wissen.
„Ich schreibe denen keine Briefe mehr, schon gar keine Liebesbriefe!“, rief
sie.
„Aber der Aufruf wider die Große Koalition ist doch kein ...“
„Doch!“, beharrte sie. „Vielleicht ein bitterer Liebesbrief, aber immer
noch ein Liebesbrief! Da ist noch immer so ein Glauben an diese Partei –
nein! Träumen Sie allein weiter. Ich will meine Unterschrift zurück!“
Noch bevor ich etwas erwidern konnte, marschierte Frau M. bei mir ein und
forderte mich auf, die Rede von Steinmeier vom 19. November auf dem
Arbeitgebertag im Netz zu suchen. „Minute 17“, dekretierte Frau M..
Dr. Frank-Walter Steinmeier sprach: „Wenn Sie sich in gerechter Weise
zurückerinnern, dann hat es eigentlich die entscheidenden Steuersenkungen,
und zwar in einem Volumen von mehr als 60 Milliarden Euro, unter einer
sozialdemokratischen Regierung gegeben. Mit der Senkung des
Spitzensteuersatzes, mit der Senkung des Eingangsteuersatzes, mit der
Senkung der Unternehmenssteuern. Sie haben bis dahin ihre Kapitalsteuern,
ihre Kapitalzinsen nach dem Einkommenssteuergesetz bezahlt, und seit der
Zeit nur noch für die Hälfte ungefähr nach dem Abgeltungssteuergesetz, das
war damals immerhin sozialdemokratische Steuerpolitik. Und ich finde bis
heute ist das nicht so ganz schlecht.“ (Applaus!)
„Aber das ist doch nicht neu!“, sagte ich und beendete das Video.
„Ja, aber dass er das jetzt noch gut findet! Nichts gelernt! Diese
Anbiederung! Worauf hoffen Sie denn? Haben Sie von denen etwas zum
Freihandelsabkommen gehört, das unser Leben verändern wird? Oder zu unserer
Enteignung durch die niedrigen Zinsen, die jene treffen, die nicht
spekulierten? Etwas vom Krieg gegen den Terror, vom Elend der Griechen, bei
denen mehr als ein Drittel keine Krankenversicherung mehr haben, nichts von
dieser Umverteilung von unten nach oben, natürlich nicht, nichts gegen die
Wachstumsideologie – das ist?“ Frau M. schüttelte den Kopf.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Keine Politik ist das!“
„Aber der Mindestlohn und die doppelte Staatsbürgerschaft und all diese
neuen Errungenschaften“, fragte ich scheinheilig.
Frau M. sah mich voller Verachtung an. „Das und viel mehr hätten sie doch
in anderen Konstellationen mit links geregelt. Außerdem hat die Inflation
den Mindestlohn schon wieder aufgefressen, wenn er dann kommt. Und was
glauben Sie, wie die jetzt durchregieren werden, keine
Untersuchungsausschüsse, die sie nicht selbst beschließen, kein Widerspruch
im Bundesrat, und für die Zukunft alle Bündnisse jenseits von Merkel
vermasselt!“
Frau M. kam immer mehr in Fahrt. „Die wissen doch selbst nicht mehr, was
sie wollen. Sie haben kein politisches Selbstbewusstsein mehr, genauso
marktkonform wie Merkel, immer nur Wachstum, Wachstum. Unsere Gesellschaft
hat kein Wachstumsproblem, sondern ein Gerechtigkeitsproblem. Und diese
Angst, als vaterlandslose Gesellen zu gelten! 24 Jahre nach dem Mauerfall
getrauen sie sich nicht, auch nur mit den Linken zu reden. Lassen sich von
denen, die sich ihre Blockflöten samt Liegenschaften und Vermögen
einverleibt haben, am Nasenring vorführen. Und für solche Waschlappen noch
einen Finger rühren?“
„Ich streiche Sie nicht von der Liste!“, unterbrach ich sie schließlich.
Frau M. starrte mich an. Ich hatte ihr noch nie widersprochen.
„Wieso?!“, knurrte sie.
„Weil Sie recht haben! Deshalb.“ Etwas später verabschiedeten wir uns dann
voneinander.
28 Nov 2013
## LINKS
DIR [1] http://www.wider-die-grosse-koalition.de/
## AUTOREN
DIR Ingo Schulze
## TAGS
DIR Große Koalition
DIR SPD
DIR CDU
DIR Koalitionsvertrag
DIR Bundestag
DIR Mindestlohn
DIR Sigmar Gabriel
DIR Große Koalition
DIR Große Koalition
DIR Konservative
DIR Große Koalition
DIR Große Koalition
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Postenverteilung im Bundestag: Wie auf dem Basar
Wie wird man Chef eines Bundestagsausschusses? Was zählt, sind: Mundart,
Quote, Entsorgung. Kompetenz jedoch ist kaum gefragt.
DIR Wagenknecht über die Sozialdemokraten: „Das Einknicken hat Tradition“
Die Große Koalition wird den Beschäftigten nichts bringen, sagt
Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht. Ihre Hoffnungen ruhen nun auf der
SPD-Basis.
DIR Sigmar Gabriel im „heute-journal“: Die Slomka und der ganze Quatsch
Eigentlich wollte SPD-Chef Gabriel im ZDF über die Regionalkonferenzen der
Partei sprechen. Doch dann lieferte er sich lieber ein Duell mit
Moderatorin Slomka.
DIR Kommentar Steuerpolitik der Koalition: Ein neues Volk muss her
Schämt euch, Wählerinnen und Wähler! Man muss ein Volk von Masochisten
sein, wenn man die Privilegierten schont und sich selbst willig schröpft.
DIR Kabarettist über Große Koalition: „Die CSU ist das ganze Restaurant“
Koch oder Kellner? In der Großen Koalition hat sich die CSU durchgesetzt,
sagt Kabarettist Urban Priol. Und Gabriel sei froh, Merkels Stuhlbein zu
halten.
DIR Kolumne Konservativ: Der Linksradikale Helmut Kohl
Der Kolumnist Jan Fleischhauer zeigt auf „Spiegel Online“, was Konservative
heute umtreibt: Angst vor Überwältigung und Autonomieverlust.
DIR Kommentar Große Koalition: Merkel plus Betriebsrat
Es sagt sich leicht, dass die Große Koalition keine große Idee hat. Aber
das stimmt nicht. Ihr Geist ist die Wiederherstellung des Korporatismus.
DIR Union und SPD in der Großen Koalition: Warten auf die Sozialdemokratie
Diese Regierung wird großartig, verkündet die zukünftige Regierung.
Eigenlob ist nötig, denn die SPD-Mitglieder müssen noch „Ja“ sagen.