URI: 
       # taz.de -- Niedrigstlöhne bei US-Supermarktkette: Thanksgiving ohne Truthahn
       
       > Weil sie sich sonst kein Essen am Festtag leisten können, sammelt ein
       > Walmart-Filialleiter Lebensmittel für die eigenen unterbezahlten
       > Mitarbeiter.
       
   IMG Bild: „Jeder kann sich Walmart leisten - außer denen, die dort arbeiten“, sagt Comedian Stephen Colbert.
       
       WASHINGTON taz | „Spendet Lebensmittel“ stand auf dem Zettel über den
       orange- und lilafarbenen Plastikbehältern. Sie waren in einem nur für
       Angestellte zugänglichen Gang der Walmart-Zweigstelle in Canton, Ohio
       aufgestellt. Die Naturalien waren nicht für Obdach- und Arbeitslose
       gedacht, sondern für Beschäftigte des Supermarktes. „Damit sie ein
       Thanksgiving-Dinner genießen können“, schrieb der Manager des Supermarktes
       in seinem Spendenaufruf.
       
       „Thanksgiving“ ist vor allem ein Festessen. Es findet am vierten Donnerstag
       im November statt – traditionell rund um einen gestopften Truthahn, Kürbis
       und Cranberries. Die nationale Mythologie will, dass es auf ein gemeinsames
       Erntedankfest von europäischen „Pilgrims“ und amerikanischen
       UreinwohnerInnen im Jahr 1621 zurückgeht. Für viele US-AmerikanerInnen ist
       es das schönste Fest: Ein Familientreffen, ohne Geschenke und Konsum.
       
       Umso schockierter reagieren viele auf die Entdeckung, dass
       Vollzeit-Beschäftigte von Walmart nicht genug verdienen, um sich ein
       Thanksgiving-Essen leisten zu können. Walmart ist mit seinen insgesamt rund
       8.500 gigantischen Supermärkten – davon knapp 4.000 in den USA – das größte
       Einzelhandelsunternehmen der Welt.
       
       Der Konzern kontrolliert konkurrenzlos ganze Regionen der USA. Für seine
       AktionärInnen – insbesondere die Gründer-Familie Walton, ist er eine
       Goldgrube. Im vergangenen Jahr erzielte er 17 Milliarden Dollar Gewinn.
       Doch der Durchschnittslohn seiner rund 1,2 Millionen Verkäufer- und
       KassiererInnen in den USA liegt im besten Fall knapp über der Armutsgrenze
       (die auf 23.550 Dollar für eine vierköpfige Familie festgelegt ist),
       vermutlich jedoch deutlich darunter.
       
       ## Walmart duldet keine Gewerkschaften
       
       Der Konzern beziffert den durchschnittlichen Jahreslohn seiner
       Beschäftigten auf 25.000 Dollar. Walmart-kritische Vereinigungen schätzen,
       dass er zwischen 15- und 20.000 Dollar liegt. Gewerkschaften können sich
       nicht äußern. Walmart USA duldet keine Gewerkschaften in seinen
       Supermärkten.
       
       Möglicherweise hat Walmart auch in anderen Supermärkten
       Lebensmittelsammlungen für Beschäftigte organisiert. Aber in Canton machte
       eine Verkäuferin, die aus Sorge um ihren Arbeitsplatz anonym bleiben will,
       Fotos und gab sie an „[1][OUR Walmart]“weiter.
       
       Die Gruppe „Organization United for Respect at Walmart“ versucht von außen
       – mit Mahnwachen, Petitionen und Rechtshilfe – die Arbeitsbedingungen der
       Walmartbeschäftigten zu verbessern. „Ich bin ausgeflippt, als ich die
       Bilder sah“, sagt Vanessa Ferreira von OUR Walmart: „der Konzern sollte
       seinen Beschäftigten ermöglichen, Vollzeit zu arbeiten und ihnen Löhne
       zahlen, von denen sie leben können“. Ein Walmart-Sprecher, Kory Lundberg,
       hält dagegen, die Sammlung zeige die „Unternehmenskultur“: „Wir kümmern uns
       umeinander“.
       
       Mitte November hat sich auch das nationale Arbeitsgericht (National Labor
       Relations Board) mit der Unternehmenskultur von Walmart befasst. Es hat
       entschieden, dass Walmart mehrere Beschäftigte nach Protesten
       ungerechtfertigt entlassen hat und wieder einstellen muss. Der Konzern will
       die Entscheidung anfechten.
       
       ## Niedriglöhne kosten den Staat Millionen
       
       Zusammen mit anderen externen Gruppen sorgt „OUR Walmart“ dafür, dass die
       immer neuen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen, die Walmart erfindet
       und die sich regelmäßig zu Trends auf den gesamten Einzelhandel ausweiten,
       in die Kritik geraten: Die niedrigen Löhne. Dass Walmart seine
       Beschäftigten nur selten über 32 Wochenstunden kommen lässt, um die
       Krankenversicherung zu sparen. Und dass Walmart mit den Arbeitszeiten
       seiner Beschäftigten jongliert, um Überstunden- und Feiertagszuschläge zu
       vermeiden.
       
       Zugleich rechnen WalmartkritikerInnen die gesellschaftlichen Kosten vor,
       die durch Walmart entstehen. Um die Verarmung der Walmart-Beschäftigten zu
       verhindern, beschreibt [2][eine Studie Demokratischer
       KongressmitarbeiterInnen], zahlt der Staat Lebensmittelmarken, staatliche
       Krankenversicherungen, Wohnungsbehilfen. Ein einziger Walmart-Supermarkt
       kostet die SteuerzahlerInnen durch diese sozialen Subventionen mehr als
       900.000 Dollar pro Jahr.
       
       Am Tag nach „Thanksgiving“ wollen KritikerInnen erneut vor Walmart
       protestieren. Am „Black Friday“, wenn in den USA das Weihnachtsgeschäft
       beginnt, wollen sie Mahnwachen und Walk-Outs vor 1.500 Supermärkten
       organisieren. Und vorrechnen, dass ein höherer Lohn auch ohne
       Preiserhöhungen möglich ist.
       
       Vor dem Walmart-Hauptquartier in Bentonville in Arkansas protestieren schon
       seit Tagen acht Ex-Beschäftigte, die Walmart nach ihrer Beteiligung am
       Black-Friday-Streik im letzten Jahr herausgeschmissen hat. Barbara Collins
       ist eine von ihnen. Die Mutter von zwei Kindern verzichtet in diesem Jahr
       auf den Truthahn. Sie will ihren Job zurück haben.
       
       28 Nov 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://forrespect.org
   DIR [2] http://www.huffingtonpost.com/2013/05/31/walmart-taxpayers-house-report_n_3365814.html
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
   DIR Walmart
   DIR USA
   DIR Streik
   DIR Bangladesch
   DIR Joe Biden
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Umgang der PIN AG mit Streikenden: Polizei rufen? Voll okay
       
       Im Tarifstreit mit der Belegschaft greift die Postfirma PIN AG zu
       drastischen Maßnahmen. Verdi fordert vom Berliner Senat Unterstützung.
       
   DIR Arbeitsbedingungen in Bangladesch: Mitsprache nicht erwünscht
       
       Die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) hat an dem
       Abkommen für die Textilindustrie in Bangladesch mitgearbeitet. In wessen
       Interesse?
       
   DIR Schusswaffen in den USA: Lobby lädt durch
       
       US-Vizepräsident Joe Biden will das Waffenrecht verschärfen, andere
       Politiker ziehen mit. Dagegen zieht die mächtige Lobby ins Feld.
       
   DIR Multinationale Handelsunternehmen: Inder streiken gegen Walmart
       
       Aus Kritik an der liberalen Wirtschaftspolitik der indischen Regierung
       bleiben Läden und Büros geschlossen, Bahnhöfe werden besetzt. Und das ist
       erst der Anfang.
       
   DIR Aldi und Wal-Mart wollen New York: Superstore me!
       
       Riesige Supermärkte statt Tante Emma um die Ecke: Was in New York bisher
       undenkbar war, möchten Wal-Mart und Aldi wahr machen - und damit das
       Stadtbild verändern.
       
   DIR Wal-Mart kein Trendsetter: Tomaten - weitgereist
       
       US-Riese Wal-Mart will wegen hoher Spritpreise mehr lokale Lebensmittel
       verkaufen. Deutsche Supermärkte folgen dem Beispiel nicht, sie setzen
       weiter auf Produkte ohne Grenzen.