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       # taz.de -- Footwork-Musik aus Chicago: Ideal für fantastische Verrenkungen
       
       > Irre schnell und präzise kollagiert: Footwork-Musik aus Chicago, ein
       > Hybrid aus House und Bass, hält Tänzer auf dem Dancefloor in Bewegung.
       
   IMG Bild: RP Boo in einem Verbindunggsgang der Chicagoer U-Bahn.
       
       Wenn es so etwas wie eine einfache Wahrheit über die komplizierten
       Verästelungen von Popmusik gibt, dann diese: Ohne Fehler funktioniert sie
       einfach nicht. Neuestes Beispiel: Footwork, diese Chicagoer Housespielart,
       die seit drei Jahren die Blaupause für die Mutationen der international
       vernetzten Bassmusikszene ist.
       
       Erfunden hat Footwork der Produzent RP Boo (Record Player Boo alias Kavain
       Space). Obwohl „erfunden“ eigentlich so ganz richtig nicht ist. RP Boo
       kaufte sich irgendwann einen gebrauchten Drumcomputer, auf dem noch Sounds
       vom Vorbesitzer gespeichert waren. Die Bedienungsanleitung war auch nicht
       mehr vorhanden und so programmierte er einfach drauflos, bis ihm, der
       Mitglied in einer HipHop-Tanzcrew war, das Ergebnis gefiel.
       
       Und so entstand Footwork, dieser Mensch-Maschinen-Hybrid, bei dem die auf
       160 bpm hochgeschraubten Beats gemeinsam mit den stotternd-repetitiven
       Vocalsamples zu den fantastischsten Verrenkungen führten. Kein Produzent
       verkörpert die ungeschriebenen Gesetze von Footwork besser als RP Boo.
       
       ## Öfter mal eine Pause
       
       Auch auf „Legacy“, seinem Debütalbum, ist das in jeder Pore hörbar. Boos
       Tracks sind reduziert auf die Essenz von Breakbeats – den Break, die Pause.
       Anstatt die Sequencerspuren mit akustischen Artefakten zu vermüllen,
       bestehen seine Stücke aus einem ausgewählten Ensemble an Samples. Die
       Kickdrums dürfen lange nachhallen, die Snares sind präzise gesetzt und die
       Samples mit feiner Hand vorselektiert.
       
       Mal ist es ein Beat der R&B-Sängerin Aaliyah, mal eine Stimme, die „Get
       Real“ einfordert. RP Boo ist dabei immer einem Realismus verpflichtet, mit
       dem er dem Dancefloor Chicagos Momente voller spröder Euphorie und in sich
       ruhender Schönheit abringt. Auf diesem Erbe lässt sich bauen.
       
       Getan hat das DJ Rashad. Gemeinsam mit seinem Partner DJ Spinn ist Rashad
       Harden so etwas wie der Botschafter von Footwork im internationalen
       Lo-Fi-Dance-Jetset geworden. Anstatt von Dancebattles zwischen der
       Chicagoer West Side und South Side erzählt er heute von MDMA-erfüllten
       Glücksmomenten in Londoner Clubs. „Double Cup“, sein neues Album, ist beim
       Londoner Label Hyperdub erschienen, erste Adresse des Bass-Kontinuums. Und
       ebenso wie Hyperdub ist auch Rashad daran interessiert, die Gesetze eines
       Genres umzuschreiben anstatt sie zu befolgen. Schon seit einiger Zeit
       verzierte er die ratternden Beats von Footwork mit feingliedrigem
       Samplelametta aus der Disco-, Soul und Housegeschichte.
       
       ## Purzelbäume schlagen
       
       Aber nun hat er seine plunderfonischen Streifzüge perfektioniert. Gleich zu
       Beginn seines Albums sampelt DJ Rashad ein divenhaftes „Let me show you
       how“ und schon schrauben sich die Vocals in Sphären, wo sie miteinander
       Purzelbäume schlagen. Der Chicagoer Produzent schüttet ein Füllhorn aus
       Euphorie auf seinem Album aus. Immer wieder versteigen sich seine
       Vocalsamples zu einem „Higher“, das dem Himmel gefährlich nahe kommt.
       
       Unterstützt werden sie dabei von Rashads Synthesizern. Mal kommen sie als
       reduzierter, kickender Instrumentalstab daher, ein anderes Mal blitzt in
       ihnen die Freude an der entgrenzten Modulation auf. Dann wieder zitiert
       Rashad die extrovertierte Tiefenentspannung früher G-Funk-Produktionen.
       Hinter all diesen Zitaten steckt nicht nur eine gut sortierte
       Plattensammlung, sondern das Wissen um die Effekte von Sound.
       
       Mit dem Seziermesser betrachtet bestehen die Tracks auf „Double Cup“ aus
       einfachen, reduzierten Bausteinen: Hier ein oder zwei Vocalsamples, dort
       ein Drum-’n’-Bass-Breakbeat. Aber Rashad montiert all das zu Stücken mit
       mindestens doppeldeutigem Charakter. Was beim ersten Hören wie ein
       Sammelsurium längst verblichener Erinnerungen an den Dancefloor wirkt,
       entpuppt sich nach ein paar Durchläufen als eine präzise getimte
       Aneinanderreihung von Euphoriemomenten, die ebenso Meta-Musik wie
       formvollendete Tanzaufforderung ist.
       
       23 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Werthschulte
       
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