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       # taz.de -- Relegation zur Fußball-WM: Die unbezähmbaren Löwen sind dabei
       
       > Kamerun fährt 2014 zur WM nach Brasilien. Souverän setzte sich das Team
       > des ehemaligen Freiburg-Trainers Volker Finke gegen Tunesien durch.
       
   IMG Bild: Jubel beim 4:1 in der kamerunischen Yaoundé
       
       BERLIN taz | Nach einer Viertelstunde muss Volker Finke das Gespräch
       beenden, an einem anderen Telefon wartet ein Minister, „jemand von ganz
       oben“, der gratulieren möchte, sagt der Trainer von Kameruns
       Fußballauswahl. Die Nation feiert das 4:1 gegen Tunesien und die
       Qualifikation für die Weltmeisterschaft im kommenden Jahr.
       
       Auf den ersten Blick erscheint das nicht überraschend, immerhin sind die
       „Unbezähmbaren Löwen“ Afrikas WM-Rekordteilnehmer. Allerdings ist es in der
       jüngeren Vergangenheit „so abwärtsgegangen, dass diese Qualifikation
       tatsächlich etwas Besonderes ist“, findet Finke. Das Land hat zuletzt
       zweimal die Teilnahme am Afrika-Cup verpasst, alle paar Monate gab es einen
       neuen Nationaltrainer, und der nationale Klubfußball befindet sich in einem
       bedauernswerten Zustand.
       
       Im Frühjahr wurde Kamerun sogar für einige Wochen aus der Fifa
       ausgeschlossen, weil die Staatsregierung eine Wiederwahl des im Gefängnis
       sitzenden Verbandspräsidenten nicht anerkennen wollte, und die Politik hat
       sich gemäß der Fußballregularien aus solchen Angelegenheiten
       herauszuhalten.
       
       Insofern ist dieser Erfolg eine Art Wiedergeburt. „Und es ist ja nicht so,
       dass wir uns für Katar qualifiziert haben“, sagt Finke, nein, Kamerun ist
       mit den Bundesligaspielern Joel Matip (Schalke 04), Jacques Zoua (HSV) und
       Maxim Coupo-Moting (Mainz) bei der großen WM in Brasilien dabei. Dass nach
       diesem Erfolg Ruhe einkehrt, erwartet Finke aber nicht.
       
       „Die letzten Jahre haben Spuren hinterlassen“, sagt er. Auch innerhalb des
       Kaders. Bei der WM in Südafrika 2010 ist die Auswahl nach drei Niederlagen
       in der Vorrunde ausgeschieden „mit unfassbar viel Streitpotenzial in der
       Mannschaft, das hat Wunden gerissen“, meint der 65-jährige Trainer. Und
       zumindest in der Öffentlichkeit steht beim Thema „mannschaftsinterne
       Konflikte“ immer wieder Samuel Eto’o im Mittelpunkt.
       
       ## Eto'o fühlt sich ungerecht behandelt
       
       Jahrelang beanspruchte der Superstar vom FC Chelsea das Privileg, Einfluss
       auf die Aufstellung zu nehmen. Finke wollte das nicht mit sich machen
       lassen. Derzeit mag der Trainer über diese Angelegenheit nicht sprechen,
       „das ist so ein Thema, das muss man einfach runterfahren“, sagt er, wobei
       Eto’o die Sache anders zu sehen scheint. Noch vorige Woche erhob der
       Stürmer den Vorwurf, seine Kollegen spielten ihm keine Bälle zu: „Fußball
       ist ein Mannschaftsspiel, du bist verpflichtet, den Ball abzugeben, sogar
       zu deinem schlimmsten Feind, sofern er sich in einer guten Position
       befindet.“ Finke hält diesen Vorwurf für ungerechtfertigt.
       
       Im September hatte Eto’o sogar seinen Rücktritt aus der Auswahl verkündet,
       wohl weil Finke ihm keinen Sonderstatus einräumen mochte. Vermutlich wird
       diese Geschichte weiterhin als Hintergrundgeräusch stören, auch während der
       WM, für die sich am Wochenende neben Kamerun auch Afrikameister Nigeria und
       Elfenbeinküste qualifiziert haben.
       
       Drei westafrikanische Fußballnationen, die auf dem Kontinent gerne als
       „Giganten“ bezeichnet werden. Und wenn am Dienstag Ghana (Hinspiel: 6:1
       gegen Ägypten) und Burkina Faso (Hinspiel 3:2 gegen Algerien) folgen, fände
       das Turnier ganz ohne ein Team aus Nordafrika statt. Die komplizierte Lage
       in den Jahren nach dem Arabischen Frühling stört auch die Nationalteams.
       Und in Kairo, wo die Ghanaer am heutigen Abend spielen müssen, droht das
       Fußballspiel sogar zum Anlass für eine neue Gewalteskalation zu werden.
       
       ## Hoch explosive Situation
       
       Die Partie findet im „Militärstadion des 30. Juni“ statt, in einem Viertel,
       in dem es häufig Unruhen gibt. Außerdem ist der Geburtstag des Armeechefs
       Abdel Fattah al-Sisi, und der zweite Jahrestag der Gewalt in der
       Mohammed-Mahmoud-Straße, wo 2011 rund 50 Menschen ums Leben kamen, die
       gegen das Militär demonstriert hatten. Explosiver könnte die Lage kaum
       sein.
       
       Immerhin ist das ghanaische Team sicher in seinem Kairoer Hotel angekommen,
       was den Algeriern vor ihrem Play-off-Spiel vor der WM 2010 nicht gelang.
       Damals wurde der Teambus mit Steinen beworfen. Es gab Bilder von blutenden
       Spielern, die später berichteten, sie hätten Todesangst gehabt. Vor diesem
       Hintergrund hat der ghanaische Fußballverband die Fifa um eine Verlegung
       der Partie gebeten – vergeblich. Stattdessen flog der Weltverband am
       Wochenende den WM-Pokal in die ägyptische Hauptstadt. Übergangspräsident
       Adli Mansur durfte sich mit Pokal ablichten lassen.
       
       Die Muslimbrüder, die Mansur bekämpfen, verkaufen die Hinspielniederlage
       derweil als Gottes Strafe für den Sturz ihres Führers Mohammed Mursi, und
       natürlich kursieren Gerüchte über bestochene Schiedsrichter. Fast vier
       Jahre nach der WM auf dem eigenen Kontinent ist Afrikas Fußball weiterhin
       grotesk, chaotisch und manchmal gefährlich. Aber auch „eine unglaublich
       spannende Geschichte“, wie Finke sagt.
       
       18 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Theweleit
       
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