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       # taz.de -- Techno-DJs zum Sprechen gebracht: Die Dienstleister des Exzesses
       
       > Jürgen Teipel dokumentiert in seinem Interviewband die Erlebniswelten von
       > Techno-DJs. Berühmte und weniger Berühmte kommen bei ihm zu Wort.
       
   IMG Bild: Der Münchener DJ Hell während eines Sets.
       
       In der Gesellschaft werden große Anstrengungen unternommen, um Missstände
       zu beseitigen oder wenigstens um Fehler zu monieren. In der Welt der
       elektronischen Tanzmusik gelten andere Maßstäbe, erfährt man aus dem
       Interviewband „Mehr als laut. DJs erzählen“ von Jürgen Teipel.
       
       20 von ihnen bringt der Autor zum Sprechen. Gleich mehrere loben den Fehler
       als kreativen Akt. „Lieber versagen als bei allem auf Nummer sicher gehen“,
       erklärt der Berliner DJ Andi Teichmann zum Mischen von zwei Platten.
       
       Fehler seien Ausdruck der „ultimativen Schönheit“ des Plattenauflegens,
       bekennt die Chemnitzer DJ Stella Stellaire. Denn, so Stellaire, gehe etwas
       schief, dann lebe es, dann sei bei aller Kopflosigkeit eine Hingabe zu
       erkennen; also drückten Fehler doch gerade „Lebensfreude“ aus.
       
       Bis die DJs solche Irritationen beim Auflegen offenbaren, ist man mit
       Teipels Buch schon fast durch. Der Beschreibung von elektronischer Musik im
       Mix des DJs räumt er leider keine Priorität ein, weit mehr zählen Exzess,
       Entgrenzung und Verausgabung. Das spricht nicht gegen die Lektüre von „Mehr
       als laut“, denn DJs sind Dienstleister, die eine Party in Gang bringen
       müssen und für die Wahl ihrer Betätigung auch ganz unterschiedliche Motive
       haben.
       
       Teipel wählte für sein Buch ziemlich arbiträr Zeugen aus, aber eben auch
       verlässliche und integre Stimmen, darunter prominente wie den Münchner DJ
       Hell und den Kölner Autor und DJ Hans Nieswandt, aber auch weniger
       bekannte. Teipels Verdienst ist es, dass er Frauen wie Acid Maria und Miss
       Kittin ausführlich zu Wort kommen lässt in einer leider immer noch ziemlich
       männlichen Bastion.
       
       In den vergangenen Jahren wurden bereits reichlich Werke zum
       Selbstverständnis der elektronischen Tanzmusik in Deutschland
       veröffentlicht, und einige wendeten die von der Oral History abgeleitete
       Technik der Gesprächsmontage ebenfalls an. Nun also auch Teipels
       Interviewband.
       
       ## Techno und House in der Provinz
       
       Zugute halten lässt sich ihm, dass das Geschehen nicht auf Berlin
       beschränkt bleibt, es geht sogar viel um die Provinz, die Erfahrung von
       Techno und House in Mannheim zum Beispiel. Allerdings kommt die
       Pop-Sehnsucht nach entfernten Orten und dem Austausch mit dem Ausland viel
       zu kurz. Oder die DJs reflektieren darüber zu wenig.
       
       Teipels DJs sind zwar ständig im Ausland unterwegs, aber sie sehnen sich in
       erster Linie nach zu Hause; DJ Hell etwa spricht von der Sensation eines
       wohlriechenden frischen Betttuchs. Und von einer vom Goethe-Institut in
       Mexiko veranstalteten DJ-Reise, an der mehrere der Interviewten teilnahmen,
       wird erzählt, ohne dass auch nur ein Mexikaner zu Wort käme. Geht das?
       
       ## Teipels Oral History
       
       Wahrscheinlich wäre „Mehr als laut“ gar nicht ohne „Verschwende deine
       Jugend“ möglich, Jürgen Teipels Oral History von Punk und Neuer Deutscher
       Welle, erschienen vor 13 Jahren. Und man wird das Gefühl nicht los, dass
       der große Erfolg von „Verschwende Deine Jugend“ und seine Ausschlachtung im
       Mainstream dem Autor bis heute Schwierigkeiten bereitet. Obwohl ihm weitere
       Bücher zum Thema Punk vorgeschlagen worden seien, so schreibt Teipel im
       Vorwort, habe er das Thema für sich abgeschlossen.
       
       Jetzt also Techno. Und weil er bei seinen DJs durch „Verschwende Deine
       Jugend“ einen „Vertrauensvorschuss“ hat, will Teipel seinen
       Gesprächspartnern in „magischen Sofagesprächen“ Privates entlocken.
       „Unglaublich dankbar“ schwärmt er Hermann-Hesse-mäßig von den
       Interviewsituationen.
       
       Als Leser wünscht man sich da manchmal mehr Kontroverse, die Teipel nur
       selten zulässt, etwa wenn der Hamburger DJ Lawrence von seiner Zeit als
       Praktikant beim Majorlabel Universal berichtet, in der der A&R-Manager Tim
       Renner einen „sektenhaften Ansatz pflegte“ und die Angestellten „körperlich
       und psychisch geschändet wurden“.
       
       17 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
       
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