URI: 
       # taz.de -- Barrierefreie Fortbewegung: Ein bisschen Ärger zurückgeben
       
       > Straßen und Gehwege im Viertel sind für Menschen mit Behinderungen
       > zunehmend schwieriger zu bewältigen. Dagegen organisieren sich die
       > Betroffenen nun.
       
   IMG Bild: Für behinderte Menschen schwer zu passieren: die Sielwall-Kreuzung im Viertel.
       
       Die Bürgersteige im Viertel sind voll: Werbetafeln, Pflanzenkübel und
       abgestellte Fahrräder machen das Durchkommen schwierig. Für Menschen mit
       Behinderungen sind das oft unüberwindbare Hindernisse. Und trotz aller
       Diskussionen um Barrierefreiheit werde die Situation immer schlimmer,
       klagen Betroffene. Um sich dagegen zu wehren, haben sie nun das
       Aktionsbündnis Barrierefreies Viertel (AG) gegründet.
       
       Die vollen Hauptwege sind für RollstuhlfahrerInnen auch deshalb ein
       Problem, weil sie das Kopfsteinpflaster der Nebenstraßen überhaupt nicht
       befahren können. „Die Gehwege sind oft zugeparkt und zwischen
       ungeschnittenen Hecken und Müllcontainern entstehen Sackgassen, aus denen
       Rollstühle kaum wieder herauskommen“, sagt Ursula Schnell vom Haus im
       Viertel. Dazu be und entlädt hier auch der Lieferverkehr und birgt ganz
       eigene Gefahren: Der Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück ist
       selbst blind und beschreibt, wie er mit dem Stock unter der hochgefahrenen
       Laderampe eines Lastwagens hindurch pendelt, um dann auf Halshöhe gegen die
       Rampe zu stoßen.
       
       Das Hauptproblem sei hier, dass es keine einheitlichen Regelungen gebe,
       oder Verstöße kaum geahndet würden, sagt Steinbrück. Verbindliche Ladezonen
       und zeiten würden es leichter machen, sich mit diesen alltäglichen
       Schwierigkeiten zu arrangieren.
       
       Auch Wilhelm Winkelmeier, Geschäftsführer des Vereins SebstBestimmt Leben
       e.V., beklagt weniger die rechtliche Situation als die fehlende
       Durchsetzung. So appelliert er an die Beiräte, die Nutzung des öffentlichen
       Raums durch Geschäfte stärker einzuschränken.
       
       Der Leiter des Ortsamts Mitte, Robert Bücking (Grüne), begrüßt die
       Initiative der Betroffenen. Sie sei inhaltlich richtig und komme genau
       richtig zur Winterpause der Gastronomie. Die Maßnahmen müssten nun geprüft
       und mit Interessengruppen wie lokalen Unternehmen und dem ADFC diskutiert
       werden.
       
       Für die AG steht jetzt Aufklärungsarbeit auf dem Programm. „Die Fahrräder
       werden ja nicht aus bösem Willen abgestellt, sondern weil die Leute sich
       einfach keine Gedanken machen“, sagt Winkelmeier.
       
       Die Konflikte sind vielfältig und beschränken sich nicht auf achtlose
       FahrradfahrerInnen: Steinbrück erinnert an Auseinandersetzungen mit
       Anwohnern, die eine Asphaltierung ihrer Straßen verhinderten, um das
       historische Stadtbild und die Identität des Stadtteils zu bewahren. „Im
       Viertel legt man großen Wert auf tolerantes Miteinander, aber Behinderte
       sind damit offenbar nicht gemeint“, so Winkelmeier.
       
       Steinbrück empfiehlt langfristiges Vorgehen: Wenn Straßen wegen
       Kanalbauarbeiten aufgerissen werden, sei ein guter Zeitpunkt, sich für
       behindertengerechte Umbauten einzusetzen – wie in der Humboldtstraße. Das
       sei realistischer, als Sofortmaßnahmen zu fordern, die ohnehin niemand
       bezahlen könne.
       
       Das Aktionsbündnis setzt auf vielfältige Aktionen. Winkelmann hat vor
       Kurzem ein im Eingang der Behindertenberatungsstelle abgestelltes Fahrrad
       ins Haus geholt und den Fahrer suchen lassen. „Das ist es, was wir jetzt
       tun werden: Ein bisschen von dem Ärger zurückgeben, den man uns macht. Und
       da wird uns auch noch mehr einfallen.“
       
       12 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan-Paul Koopmann
       
       ## TAGS
       
   DIR Barrierefreiheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Streit um Kopfsteinpflaster im Viertel: Steine des Anstoßes
       
       Die Stadt will Kopfsteinpflasterstraßen asphaltieren. Doch dagegen wehren
       sich Viertel-BewohnerInnen. Nun wollen die Kontrahenten gemeinsam
       Kompromisse erarbeiten.