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       # taz.de -- Neue Lutherbibel: Der Hirsch schreit wieder
       
       > 2017 soll die neue Lutherbibel erscheinen. Aber wie lassen sich die Treue
       > zum Urtext, der Luther-Sound und der Zeitgeist vereinen?
       
   IMG Bild: „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu Dir“, klagte der Beter - bisher.
       
       ROSTOCK taz | Walter Klaiber, Bischof im Ruhestand, hat sich erhoben.
       Vernehmlich und mit schwäbischem Akzent berichtet der 73-Jährige von einer
       Begegnung mit einem Forstmann, der ihn über die Geräusche von Rothirschen
       aufgeklärt hat. „Wenn die Theologen wüssten, warum der Hirsch schreit!“,
       habe dieser gesagt. Dann wird Klaiber eindringlich. „Hirsche schreien nicht
       nach Wasser, sondern nach etwas ganz anderem!“ Nach all dem heiligen Eifer
       tut das Gelächter, das über diese Neuigkeit ausbricht, den Herren und den
       wenigen Damen gut. Ob Walter Klaibers Einlassung für den deutschen
       Protestantismus Folgen haben wird, ist allerdings unwahrscheinlich.
       
       Denn die Durchsicht der Lutherbibel, vom Rat der Evangelischen Kirche in
       Deutschland, der EKD, 2010 beschlossen, hat Psalm 42 schon passiert – mit
       Folgen für den König der Wälder. „Wie der Hirsch lechzt nach frischem
       Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir“, klagte der Beter bisher. Nun
       hat der Lenkungsausschuss, der bei diesem Großprojekt das letzte Wort hat,
       eine entscheidende Veränderung gebilligt: Der Hirsch schreit ab sofort nach
       frischem Wasser. Der lechzende Hirsch geht in Rente.
       
       Warum? Das hat Christoph Kähler, ebenfalls Bischof im Ruhestand und
       Vorsitzender des Lenkungsausschusses, schon im Vorfeld der Tagung
       begründet: Luther selbst hat das hebräische Verb, das den Parallelismus
       dieses Bibelverses begründet, beide Male mit „schreien“ übersetzt. Erst bei
       der Durchsicht vor gut hundert Jahren hat sich das Lechzen eingeschlichen.
       Vielleicht durch einen jagdfreudigen Theologieprofessor? Jetzt ist man
       jedenfalls aufs Neue ganz beim Reformator. Der Hirsch schreit wieder.
       Förster und Jäger werden diesen Psalm mit stillem Kopfschütteln beten.
       
       Der schreiende Hirsch ist eher ein ästhetisches Problem. Was aber, wenn
       sich die Alt- und Neutestamentler, die Altbischöfe, die Exegeten und
       Germanisten, die Dogmatiker, Kirchengeschichtler, Pastoren und auch die
       Handvoll Studenten in den Räumen des kulturhistorischen Museums von Rostock
       die Köpfe über gewichtigere Probleme in die Haare geraten?
       
       ## Schwierigkeiten mit Adam und Eva
       
       Dunkle Anzüge, weiße Hemden, harte Stühle – tief im backsteinernen Kloster,
       in dem das Rostocker Museum Quartier hat, seziert man Verben, Adjektiven
       und Konjunktive aus Lutherversen und wiegt sie wie Preziosen auf. „Es ist
       nicht gut, dass der Mensch allein sei, ich will ihm eine Gehilfin machen,
       die um ihn sei“, spricht Gott im 1. Buch Mose zu sich selbst, bevor er aus
       Adams Rippe Eva formte. Aber ist Eva für Adam nun eine Gehilfin, eine Hilfe
       oder eine Hilfe auf Augenhöhe? Klingt Gehilfin nicht viel zu sehr nach
       Putzfrau?
       
       Wie lassen sich die Treue zum Urtext, neue wissenschaftliche Erkenntnisse,
       der Luther-Sound und der Zeitgeist zur neuen Lutherbibel 2017 vereinen?
       Konfirmanden in die Geheimnisse der göttlichen Trinität einzuweihen, könnte
       kaum mühsamer sein. „Ihr habt da eine unlösbare Aufgabe!“, ruft in der
       Pause ein Professor für Neues Testament.
       
       Evas Position ist in Bezug auf Adam zumindest für die nächsten Jahre
       geklärt. Die Gehilfin ist ausgemustert, von nun an ist sie eine Hilfe. Eine
       Hilfe auf Augenhöhe zu sein, bleibt ihr versagt. Es „gendert“ bei Luther.
       Das „Weib“, vom Reformator oft verwendet, haben bereits 1999 Theologen
       nahezu flächendeckend aus der Bibel getilgt und durch „Frau“ ersetzt.
       „Liebe Brüder!“, so sprach Paulus die Gemeinden in seinen Briefen an. Von
       nun an grüßt der Heidenapostel „liebe Brüder und Schwestern“.
       
       ## Gottlose oder Frevler?
       
       Christoph Levin, Professor an der Universität München, ist ans Pult
       getreten, kurzes weißes Haar, hellgrauer Janker und Hirschhornknöpfe.
       Levin, Chef der Arbeitsgruppe Altes Testament, holt immer neue Wörter
       hervor, die seine Experten modernisieren, manchmal wieder auf Luther
       zurückführen, aber auf jeden Fall aufpolieren wollen. Aus der Erde, zu der
       Adam nach Gottes Fluch werden soll, wird wieder Staub. Aus den Gottlosen
       werden die Frevler, aus den Heiden die Völker, aus den Israeliten werden
       die Kinder Israels.
       
       Und damit die Autorität der neuen Lutherbibel keiner erschüttert, hat Levin
       eine erlauchte Schar versammelt. „Ich habe versucht, alles, was Rang und
       Namen hat und auf Lehrstühlen sitzt, einzubinden.“ Es ist Levin gelungen –
       bis auf Hermann Spieckermann.
       
       Im Unterschied zu den anderen hier sei er kein Fan der Lutherbibel, sagt
       Spieckermann, 62 Jahre alt, keck. „Ich gucke sowieso nicht in
       Übersetzungen.“ Raunen im Saal. So viel akademischer Stolz scheint rar
       geworden. Spieckermann, eingeladen, um unter den Freunden der Lutherbibel
       als Advocatus Diaboli zu stänkern, spielt seine Rolle gut.
       
       ## Die prophetische Rede erschlafft
       
       Warum soll der Begriff Gottlose durch Frevler ersetzt werden, hebt er an.
       Werden hier Begriffe nicht bloß weichgespült? Man lebe in einer
       glaubenslosen Welt, warum sollte man den Menschen heute Begriffe wie Heiden
       und Gottlose ersparen? Wird nicht an falschen Stellen repariert, bis die
       prophetische Rede erschlafft? Sollte es beim Propheten Jesaja wirklich
       heißen: „Das Volk, das im Finstern wandelte, sah ein großes Licht“? Zur
       Christvesper würden in Zukunft Nachrichten verlesen, wo bisher die
       Weissagung Herzen erwärmte.
       
       „Hermann, du hast mir aus dem Herzen gesprochen“, ruft einer, als
       Spieckermann endet. Nicht wenige schwanken. Geht es bei der Aufgabe um die
       Restaurierung eines deutschen Heiligtums? Oder um Erneuerung eines
       ehrwürdigen, aber doch brüchigen Bauwerks? Ist der Heiland noch zeitgemäß?
       Soll man Retter sagen? Es ist eine heikle Mission.
       
       Änderungen am Luthertext haben schon Unruhen ausgelöst. 1975 wehrte sich
       das Kirchenvolk gegen die damalige Durchsicht, weil der vertraute Begriff
       „Scheffel“ gegen „Eimer“ ausgetauscht wurde. Fortan sollte das Licht unter
       den Eimer gestellt werden. Die neue Lutherbibel wurde als „Eimertestament“
       geschmäht. Die EKD hat die Revision kassiert und eine neue angeordnet
       
       ## Schafe schlachten für die Bibel
       
       Eimer? Scheffel? Krug? Welcher Begriff ist der passende? Luther hat eine
       ganze Epistel „Über das Dolmetschen“ verfasst und gejammert, dass sie
       manchmal über Wochen kaum ein Wort gefunden haben. Die Bibelübersetzung
       ist, anders als der Mythos glauben machen will, ein Gemeinschaftswerk,
       allerdings mit Luther als Chef.
       
       Manchmal halfen dem Reformator nur Besuche auf Wittenbergs Hinterhöfen.
       Dort ließ er sich vom Schlächter Schafe abstechen, um Herz, Nieren, Lungen
       und deren genaue Lage zu inspizieren. Auf der Wartburg, wo sich Luther 1521
       für ein knappes Jahr versteckt hielt und wo er mit der Übersetzung des
       Neuen Testaments begann, ließ er sich eine Kiste Edelsteine bringen, um
       sich ein Bild zu machen von den Kostbarkeiten, von Jaspis, Saphir, Smaragd
       und Topas, um das himmlische Jerusalem in der Johannesoffenbarung so zu
       beschreiben, dass den Leuten die Augen leuchteten.
       
       „Psalm 23 wird gewiss nicht geändert“, titelt die Ostsee-Zeitung und
       zitiert Christoph Kähler, den Leiter des Lenkungsausschusses, der
       klarstellt, dass der berühmteste Psalm mit seinem Anfangsvers „Der Herr ist
       mein Hirte“ unangetastet bleibt. Die Rostocker nehmen diese Neuigkeit mit
       Gleichmut hin. Das Wort Gottes liegt im Kulturhistorischen Museum hinter
       Glas, ziert das historische Siegel der Universität und liegt im Regal, als
       wär’s ein Ladenhüter. Auf der Rückseite der Langen Straße versteckt sich
       die einzige evangelische Buchhandlung der 200.000-Einwohner-Stadt. Die
       Auslagen mit ihren Bibeln liegen verwaist – kein Andrang, kein Warten,
       keine Schlangen.
       
       Luther wurde die Bibel aus der Hand gerissen. Bis zu Luthers Tod sind 253
       Ausgaben der Bibel oder Teile davon nachgewiesen. Die Lutherbibel machte
       Buchdrucker Hans Lufft aus Wittenberg zum reichen Mann, 100.000 Exemplare
       soll er gedruckt haben.
       
       ## Luther als Ladenhüter
       
       Wer heute eine evangelische Buchhandlung betreibt, für den sind Bibeln
       keine ausreichende Geschäftsgrundlage mehr. Dabei gibt es mehr
       Übersetzungen als je zuvor. In Rostock kann man die Bibel in der
       Einheitsübersetzung der katholischen Kirche kaufen, die Zürcher Bibel, die
       Elberfelder Bibel, die Gute Nachricht in heutigem Deutsch, natürlich Luther
       in schwarzem und blauem Einband. Dazu kommen Bibeln mit Aquarellen und mit
       Bildern von Chagall. Die billigste Ausgabe kostet knapp 9, die teuerste 89
       Euro. An Bibeln mangelt es nicht. An Käufern schon.
       
       Das Desinteresse hat einen einfachen Grund, glaubt Frau Geigle, die einzige
       Angestellte im Laden. Die Pastoren müssen wieder predigen, die Kirche müsse
       wieder missionieren, Gottes Wort müsse wieder von Herzen kommen. Sie selbst
       sei in der Landeskirchlichen Gemeinschaft, einer missionarisch geprägten,
       frommen Schar innerhalb der Protestanten. Immerhin, die Herrnhuter Losungen
       für 2014, Bibelworte für jeden Tag, liegen im Laden stapelweise bereit,
       christlicher Evergreen und Verkaufschlager in einem.
       
       Und noch etwas macht Hoffnung: die Basisbibel. Einfache Sprache, klarer
       Satzbau, crossmedial mit App. „Wie eine Hirschkuh im trockenen Bachtal nach
       frischen Wasserströmen schreit – so sehne ich mich, Gott, nach dir!“
       Zumindest Psalm 42 klingt in der Basisbibel nicht überzeugender als der
       durchgesehene Luther.
       
       Der Hirsch steht auf einer Lichtung und orgelt mit einem dumpf-monotonen
       „Wuuh“. So besingt die Deutsche Jagdzeitung in ihrer neuen Ausgabe die
       Brunft. Für Alttestamentler zuweilen eine Fundgrube.
       
       10 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Gerlach
       
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