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       # taz.de -- Agrarindustrie: Ein Schlachthof wird verhindert
       
       > Im niedersächsischen Ahlhorn gäbe es neben einer Puten-Schlachtfabrik
       > wohl längst eine weitere Anlage für mehr als 200.000 Hähnchen – wäre
       > nicht im vorigen Herbst der Bürgermeister verstorben.
       
   IMG Bild: Wieder mal umstritten: Prinzip Schlachthof
       
       AHLHORN taz | Er weiß es ja auch nicht, sagt Thorsten Schmidtke: Ob er im
       Frühjahr wegen dieser Schlachthofsache zum ersten sozialdemokratischen
       Bürgermeister in der Geschichte der Gemeinde Großenkneten geworden sei,
       „das kann ich ja gar nicht wissen“, sagt er. „Da müssen Sie schon meine
       Wähler fragen.“ Fast zwei Drittel stimmten am 7. April für ihn, der Rest
       entweder für einem unabhängigen Bewerber aus dem Ort oder den Parteilosen
       aus dem Nachbarkreis, den FDP und CDU gemeinsam aufs Schild gehoben hatten.
       Die stellen, seit es sie gibt, die Mehrheit im Rat. Bei der Landtagswahl im
       Januar hatten sie hier im Wahlkreis fast zehn Prozent Vorsprung auf
       Rot-Grün. Bei der letzten Bundestagswahl waren’s elf.
       
       Für Thorsten Schmidtke spricht: Er wirkt sympathisch, wobei, das tun die
       anderen ja irgendwie auch. Und: Schmidtke hatte sich im Wahlkampf klar und
       unmissverständlich gegen die Pläne von Hähnchenschlachter Walter Kreienborg
       ausgesprochen. Wenn der nun nicht ins Industriegebiet siedelt, neben die
       große Putenschlachterei, die es da schon gibt, dann wäre das für den
       Bürgermeister also kein Misserfolg. Auch wenn er sich jetzt qua Amt mehr
       der Neutralität verpflichtet sieht, mehr schlichten will: „Mir sind ja die
       Landwirte nicht egal“, sagt Schmidtke. Und „da gibt es schon einige im
       Gemeindegebiet, die sich in dieser Richtung orientieren“, also in Richtung
       Hähnchenmast mit 39.000-Tier-Anlagen oder größer. Und die anderen sind oft
       die Freunde von den einen, und wer bei der Bürgerbefragung die Mehrheit
       bekommen hat, das wird eben erst am heutigen Montag ausgezählt und bekannt
       gegeben.
       
       Bürgerbefragungen gibt es hier nicht so oft. Als 1972 der Bau des neuen
       Rathauses begonnen wurde, hatten die Wahlberechtigten zwei Jahre vorher
       darüber abgestimmt, ob es nach Großenkneten kommt, oder ins deutliche
       größere Ahlhorn. Da leben etwas weniger als die Hälfte der rund 15.000
       Einwohner der Gesamtgemeinde. Etwas mehr als die Hälfte entschied sich
       seinerzeit für Großenkneten. Die Beteiligung lag nahe 90 Prozent. Ganz so
       hoch ist sie diesmal wohl nicht, aber schon im Laufe der Schlusswoche hatte
       sie die 60 Prozent überschritten, und das ist ein Glück, sagt Schmidtke:
       „Stellen Sie sich mal vor, es hätte nur jeder Zehnte teilgenommen und das
       Ergebnis wäre knapp gewesen …!“ – Entschärft hätte das den Konflikt
       jedenfalls nicht.
       
       Die Gemeinde Großenkneten ist eine ziemlich zerfludderte Kommunalformation,
       zwischen den Flüsschen Hunte und Lethe, 20 ehemals eigenständige Dörfer und
       Flecken ab 32 Einwohner aufwärts, auf dem Anderthalbfachen der Fläche
       Oldenburgs ein Zehntel seiner Einwohner. Herrliche Waldstücke und das
       Landschaftsdenkmal der Fischteiche wechseln sich ab mit wirren
       Gewerbegebieten. An ganz schön vielen Häusern plinkern, wenn’s dunkelt,
       rote Leuchtstoffherzen. Die Visbecker Braut gibt’s hier, ein berühmtes
       Hügelgrab. Und olle Militäranlagen, dazu passend frühere Kasernen.
       
       An einigen Ein- und Zweifamilienhäusern stehen um die 30 Namen an den
       Klingelknöpfen, Kleinbusse aus Spanien parken davor und Kombis aus Polen.
       Auf dem Heidemark-Schlachthof werden täglich bis zu 40.000 Tiere getötet
       und verarbeitet. Ob die Häuser gewerblich vermietet werden oder privat –
       das muss der Landkreis Oldenburg kontrollieren.
       
       Arbeitsplätze, die verspricht auch Kreienborg. Direkt neben Heidemarks grün
       umzäunten Kasten, der schon über eine eigene Kläranlage verfügt, hatte er
       zu bauen vor. Kreienborg ist bislang Inhaber einer kleineren Schlachterei
       in Wildeshausen, Familienunternehmen, seit 111 Jahren. Auf den
       Wochenmärkten in Bremen stehen seine Verkaufswagen, einen Laden im dortigen
       Steintorviertel betreibt er auch, „Kreienborg“ steht drüber „Wild,
       Geflügel, Feinkost“. Dass jetzt die ersten Bremer Kunden einen Zusammenhang
       herstellen mit seinen Ahlhorner Unternehmungen, ist ihm gar nicht recht.
       Der Schlachthof soll unter einem anderen Namen laufen, Kreienkamp nämlich.
       Als im vergangenen Herbst etwas über seine Pläne durchgesickert war (taz
       berichtete) und die sechsköpfige Ortsgruppe des Vegetarierbundes per
       Flugblatt die Ahlhorner warnte, dass hier ein weiterer Großschlachthof
       geplant werde, verlangte er per Anwalt einen Widerruf und eine
       Unterlassungsverpflichtungserklärung von den Vegetariern: Die Behauptung
       sei ehrenrührig. Dabei war ja alles wahr gewesen, und mit dem damaligen
       Bürgermeister Volker Bernasko abgekaspert. Der bezeichnete die Umsiedlung
       schon als perfekt.
       
       Und dann starb er, 54-jährig, noch im Herbst vergangenen Jahres. Und im
       Gemeinderat fing man an, sich darüber zu wundern, dass Kreienborgs Zahlen
       so schwankten: Erst war von 50.000 Tieren täglich die Rede, dann waren beim
       Landkreis aber doch Pläne für mehr als 200.000 eingereicht, und der
       Widerstand wuchs. Erst außerhalb des Rats. Dann in den Rat hinein.
       
       „Wir haben in dieser Vorgeschichte alle Ratsmitglieder angemailt“, sagt
       Wilfried Papenhusen, „dadurch kam der Gedankenumschwung.“ Papenhusen lebt
       auf Gut Moorbeck in Einsiedlerlage in der Geest, eine traumhaft schöne
       Anlage, historisches Fachwerk, alter Baumbestand. Mit seiner Frau Margret
       Zdun betreibt er dort ein Hotel. Das Restaurant haben sie jetzt dicht
       gemacht. „Unter meiner Leitung“, hat sie online mitgeilt, „wird es keine
       Wiedereröffnung geben.“
       
       Papenhusen ist das Sprachrohr des Widerstandes, „Pro Mensch, Umwelt, Tier“,
       so heißt das Bürgerbündnis. Initiator ist Uwe Behrens, Bauernsohn und
       Berufslehrer, der für die Kommunale Alternative im Gemeinderat sitzt.
       Erster Anlass für das Bündnis waren die Neuansiedlungen von Mastställen in
       industriellen Größenordnungen. Aber richtig los ging’s, als dann
       Kreienborgs Pläne auf dem Tisch lagen: Veranstaltungen zu den
       Gesundheitsrisiken von industrieller Tierhaltung und zum Wasserproblem,
       Podiumsdiskussionen, Info-Broschüren. Wie viel Zeit die Recherchen und wie
       viel Geld die Kampagnen gekostet haben, das können sie längst nicht mehr
       sagen. Bei der Bürgerbefragung war Papenhusen eher skeptisch, schließlich
       hatte man schon knapp 3.000 Unterschriften gegen das Schlachthof-Projekt
       gesammelt, bei 11.000 Stimmberechtigten ein starker Wert – und ob’s gelingt
       die Leute noch einmal zu mobilisieren, das ist dann so ein Thema für sich.
       
       Aber jetzt ist er guter Dinge: Die Beteiligung ist ja hoch. Und schon rein
       rechnerisch kann das für Kreienborg nichts Gutes bedeuten. „Ich werde das
       Gefühl nicht los“, hat Papenhusen noch am Donnerstag an die Unterstützer
       gemailt, „als wenn sich bei der Bürgerbefragung ein Ergebnis in unserem
       Sinne abzeichnet“, und alle zur Sekt- oder Selters-Party vorm Rathaus
       eingeladen. Champagner will er mitbringen „und viele Champagnergläser“.
       
       Großenkneten hat sich verändert im vergangenen Jahr. Äußerlich eher nicht,
       aber dafür im Denken: Ein Riss gehe durch die Gemeinde, das war ein oft
       gehörter Befund der Journalisten, wobei nicht ganz klar ist, worauf sich
       der stützt: Ja, als zum Auftakt der Bürgerbefragung eine Demo von
       Schlachthofgegnern durch den Ort zog, gut 500 Leute, vielleicht auch mehr,
       als Hühner verkleidet, mit Tröten und mit Knittelversen, da hatte es auch
       eine kleine, unangemeldete Gegendemo gegeben: mit gleich bedruckten
       T-Shirts, die fürs „Ja“ zum Schlachthof warben, angeblich eine spontane
       Aktion, mit Walter Kreienborg an der Spitze, später wird er von den
       Mitstreitern als seinen Mitarbeitern sprechen.
       
       „Sklaven! Sklaven!“, schimpften die Nein-Befürworter, das war nicht nett,
       aber Handgreiflichkeiten hatte es eher von den Ja-Sagern gegeben, aber so
       dolle, dass die Polizei eingegriffen hätte, dann auch wieder nicht. An
       normalen Tagen ist es eher schwierig, auf der Straße Schlachthof-Fans zu
       treffen.
       
       Aber anders, ja anders ist es schon geworden in Großenkneten, und man
       könnte fast denken, statt zu zerreißen, wäre dieses disparate Gebilde
       zusammengerückt, und hätte sich plötzlich als Gemeinschaft entdeckt. Ganz
       neu, ganz ungewohnt.
       
       4 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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