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       # taz.de -- Die Wahrheit: Letternwirtschaft
       
       > Vertuschte Bachstuben: Wir windeln auf dem schalen Grat der Winzigkeit.
       
   IMG Bild: Oft macht nur ein einziger Buchstabe den kleinen Unterschied aus.
       
       Nach wie vor leben wir in unsicheren Zeiten, in denen es mehr Gläubiger
       gibt denn Gläubige. So überraschend können diese immerwährenden
       Finanzkrisen nun eigentlich nicht sein, schon unser Wortschatz verrät da
       eine Menge, allein der Begriff Broker: Wie kann man nur solchen Leuten
       vertrauen? Broke bedeutet im Englischen pleite. Oft macht nur ein einziger
       Buchstabe den kleinen Unterschied aus.
       
       Cash und crash trennt gerade einmal ein simples r. Ein r, das umgekehrt den
       Unterschied ausmacht zwischen Börse und Böse. Bei Money und Monkey ist es
       nur ein k. Ein Fall für den Anlügeberater. Betrag und Betrug – nur ein
       einziger Buchstabe! Gering sind auch die Unterschiede zwischen uniformiert
       und uninformiert, kuscheln und kuschen, zwischen Bewusstseinserweiterung
       und Bewusstseinserheiterung, Invest und Inzest. List, Lust, Last – wo
       verlaufen eigentlich die Grenzen zwischen Belästigung und Belustigung,
       zwischen schwierig und schmierig?
       
       Aber manchmal, wenn man sich von irgendetwas bedroht fühlt, hilft es schon,
       beim Drohwort einfach nur einen Buchstaben auszutauschen, wegzulassen,
       hinzuzufügen, das reduziert den Druck beziehungsweise Dreck von einer
       Sekunde auf die nächste, buchstäblich, bis hin zur Lächerlichkeit. Gering
       ist dann die Differenz zwischen abserviert und observiert, obwohl das jetzt
       aktuell nicht unbedingt tröstlich ist, so wie bei versagen und verzagen,
       aber eine simple h-Verschiebung macht aus dem penetranten emphatisch ein
       sympathischeres empathisch, und ein flinker Letterntausch ermöglicht dem
       Wort furchtbar eine Existenz als fruchtbar.
       
       Wer hat das nicht schon als Kind so gemacht: „Wir lagen vor Madagaskar und
       hatten die Post an Bord ?“ Heute funktioniert das natürlich nicht mehr, die
       ist ja inzwischen so gut wie ausgerottet – die Post. Was anderes ist es mit
       der Pest, die wütet immer wieder heftig – eben auf Madagaskar.
       
       ## Ärztekummer statt Arztekammer
       
       Beim AKW um die Ecke interessiert statt der Restlaufzeit eher die
       Rostlaufzeit. In den Zeiten des Atoms ist nicht nur dem Radprofi die
       Uranprobe lieber. Eine kleine Hilfestellung: Hier muss nur ein Vokal
       ausgetauscht werden, bevorzugt in der ersten Hälfte des Wortes. Statt der
       Ärztekammer plagt uns heute eher der Ärztekummer. Manch ein Zeitgenosse
       switcht deshalb völlig übergangslos vom Gutmenschen zum Wutmenschen, dem
       man laut zurufen möchte: Nur Mut, ganz gleich, ob es sich nun um Löwenmut
       oder Möwenwut handelt!
       
       Falls Sie im Dunkeln Angst haben, einem Wiedergänger von Jack the Ripper zu
       begegnen, denken Sie daran, dass es auch schlimmer kommen könnte, etwa mit
       Jack the Rapper (immerhin besser als Fritz the Wepper!). Ein einziger
       Buchstabe machte aus Obama einen Osama, oder umgekehrt. Alles eine Frage
       der Sichtweise respektive der Sichtweite.
       
       Sie merken, worauf das hinausläuft, allmählich sollten Sie’s kapiert haben!
       Mehr als schmal ist bekanntlich der Grat zwischen witzig und winzig. Setzen
       Sie sich doch einfach auf Ihre vier Buchstaben und schon wird aus dem
       Wörtchen „lästig“ ein „lässig“. Und damit Schloss.
       
       4 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas C. Breuer
       
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