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       # taz.de -- Kolumne Konservativ: Blut, Schweiß und Clownstränen
       
       > Rituale und Zeremonien sind was für Schwache. Dachte ich. Dann kam der
       > Marathon. Und ich musste einsehen: Auch ich bin konservativ.
       
   IMG Bild: Wenn du es kaum noch erträgst, tragen dich die Rituale. Auch beim Marathon.
       
       Als ich umgeben von Tausenden Leibern, schwitze, keuche und kaum noch klar
       denken kann, muss ich einsehen: Auch ich bin konservativ. Dabei hat die
       Sache ganz harmlos angefangen.
       
       Denn eigentlich ist so ein Marathonlauf ja keine große Sache. Zumindest
       gefiel ich mir in der Pose desjenigen, der Freunden beim Kaffee sagt: Ach,
       so, der Marathon in Köln, ja, den laufe ich mit. Piece of cake, ist ja
       schon mein achtes Rennen.
       
       Im Startbereich blicke ich mich um. Ein Clown mit roter Perücke und Make-up
       stellt sich neben mich. Er sagt, er mache das jedes Jahr so. Seine Antwort
       wirft weitere Fragen auf. Aus den Boxen dröhnt „Da simma dabei, dat is
       prima! Viva Colonia!“
       
       Ich seufze. Gilt in Köln ein Gesetz, das Menschen verpflichtet,
       Karnevalsmusik zu hören, sobald sie neben einem anderen Kölner stehen?
       Merkwürdiger Zufall, denke ich: Alle hier sind vollkommen verrückt. Außer
       mir.
       
       ## Warum Zeremonien?
       
       Warum tun Leute so was, frage ich mich. Warum die jährliche
       Clownsmaskerade? Warum die Schunkelhilfe in Liedform? Woher rührt die
       Freude an der Wiederkehr des Immergleichen? Die Antwort liefert der
       Zeit-Journalist Ijoma Mangold:
       
       „Alles Zeremonielle bereitet dem Konservativen große Freude. Zeremonien und
       Rituale sind etwas, das man unter Effizienz- und Rationalitätsprinzipien
       kaum rechtfertigen kann. Sie sind überflüssig, umständlich: Hokuspokus.
       Zugleich sind sie aber das, was die Blöße des Individuums, die Nacktheit
       seiner Existenz, gnädig bedeckt. Für diese Nacktheit der menschlichen
       Existenz hat der Konservative ein ausgeprägtes Sensorium. Es geht bei ihm
       einher mit einem antiindividualistischen Vorbehalt.“
       
       Ich bin nicht konservativ, denke ich während der ersten 32 Kilometer. Dem
       Individuum Matthias geht es blendend. Auf sich gestellt, kommt es sehr gut
       klar. Es braucht keine Zeremonien und Rituale. Dann kommen die letzten zehn
       Kilometer.
       
       Die Lunge weigert sich, die Herbstluft einzusaugen, und die Füße, den
       Asphalt zu verlassen. Ich fühle mich allein. In diesem Moment fällt mir
       auf, dass eine Band am Straßenrand Karnevalsschlager spielt: „Da simma
       dabei, dat is prima! Viva Colonia!“ Der Rhythmus des Liedes passt sich
       blendend meinem Lauftempo an. Vielleicht ist es auch umgekehrt. Die
       Lungenflügel öffnen sich. Ich blicke auf und sehe: Die Menschen am
       Straßenrand lächeln mich an, klatschen, jubeln mir zu. Plötzlich werden
       meine Beine leicht.
       
       ## Darum Zeremonien!
       
       Die immer gleichen Rituale und Zeremonien tragen mich. Das Wissen darum,
       dass die letzten Kilometer immer so grässlich sind. Das Klatschen der
       Passanten, die jedes Jahr jubeln. Die Aussicht auf den Zieleinlauf am – na,
       klar – Dom. Glücklicherweise merke ich erst kurz vorm Ziel, dass die
       Menschen gar nicht mir zugejubelt haben: Hinter mir läuft der geschminkte
       Mann mit der Perücke. Ich war noch nie so froh, dass ein schwitzender Clown
       hinter mir herrennt.
       
       Ich laufe durchs Ziel. Geschafft. Wie immer. Nächstes Jahr bin ich
       natürlich wieder dabei, dat wird prima. Und dann gibt es wieder eine
       Marathon-Glosse. Traditionen soll man pflegen. Wo kauft man eigentlich
       Perücken?
       
       31 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Matthias Lohre
       
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