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       # taz.de -- Birgit Hein beim Filmfest Braunschweig: Die Bilder-Finderin
       
       > Birgit Hein ist eine der Wegbereiterinnen des Experimentalfilms in
       > Deutschland. Auf dem Filmfest Braunschweig wird sie mit einer Werkschau
       > geehrt.
       
   IMG Bild: "Vom Abbild zum Bild": die Filmemacherin Birgit Hein.
       
       Der Bruch in ihrer künstlerischen Arbeit kam in den späten 1960er-Jahren.
       Birgit Hein war damals angehende bildende Künstlerin und entdeckte bei
       einer Luis Buñuel-Retrospektive den Film. Zusammen mit ihrem damaligen
       Partner und späteren Ehemann Wilhelm Hein begann sie, Experimentalfilme zu
       drehen. In denen ging es um den Film als Material, darum „vom Abbild zum
       Bild“ zu gelangen. Das Filmfest Braunschweig, das kommenden Dienstag
       beginnt, ehrt die Filmemacherin mit einer Werkschau.
       
       Mit ihrem Debüt „Rohfilm“ aus dem Jahr 1968 wurde Birgit Hein gleich
       international bekannt. Darin bearbeitete sie Filmstreifen möglichst
       unsachgemäß, ließ sie durch einen Projektor laufen und filmte das Ergebnis.
       Wenn der Film dann stecken blieb und Feuer fing, war das der gefeierte
       Höhepunkt.
       
       Mit diesen Experimentalfilmen waren Hein und ihr Mann bald renommierte
       Künstler, die auf die Dokumenta eingeladen wurden. Mitte der 70er-Jahre
       machten sie damit Schluss. „Wir erreichten niemanden mehr und wir selber
       kamen in unseren Filmen nicht mehr vor“, sagt Birgit Hein heute. Sie und
       Wilhelm begannen, als Performancekünstler in Kneipen aufzutreten und
       spielten dort Superman und Wonderwoman. Einen stärkeren Kontrast zu
       „Strukturellen Studien“ – so der Name ihres letzten avantgardistischen
       Werkes – lässt sich kaum denken.
       
       Ganz anders sah dann auch ihr nächster Film aus. „Love Stinks – Bilder des
       täglichen Wahnsinns“ wurde auf einer Reise nach New York gedreht. In dem
       Film gibt es neben Bildern von Obdachlosen auch Bilder von
       leidenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Künstlerpaar.
       
       Hier überschritt Birgit Hein zum ersten Mal Tabugrenzen, als sie ihren
       Körper mit ihrem Menstruationsblut einrieb. Und hier gab es auch zum ersten
       Mal diese Mischung aus Erzählung und Bildern, die extrem bearbeitet und
       verfremdet waren. „Damals galt das auch noch als Experimentalfilm, heute
       nennt man das einen inszenierten Dokumentarfilm. Es hat lange gedauert, bis
       er so gesehen werden konnte“, sagt Hein.
       
       Von 1990 bis 2007 war Birgit Hein Professorin an der Hochschule für
       Bildende Künste Braunschweig. In diesen Jahren entwickelte sie eine ganz
       eigene Filmsprache, bei der sie viel mit fremdem Filmmaterial, sogenanntem
       „found footage“, arbeitete, aber auch oft intime Bilder vom eigenen Körper
       aufnahm. Diese Aufnahmen waren aber nur das Ausgangsmaterial. Sie wurden in
       verschiedenen Arbeitsprozessen verfremdet: Zum Beispiel übertrug sie
       Videomaterial auf Filmmaterial und filmte das Ergebnis dann noch einmal von
       einer Leinwand ab, so dass den Bildern jeder Wirklichkeitsanspruch entzogen
       wurde.
       
       Zeigen wollte Hein so den „malerischen Charakter der Bilder“. Aber dieses
       ästhetische Programm wurde nie zum Selbstzweck. Stattdessen haben die Filme
       inhaltlich oft eine politisch provokante Stoßrichtung.
       
       In „Die Unheimlichen Frauen“ von 1991 geht Hein etwa gegen die Klischees
       von den sanften Frauen an. Sie zeigt Archivmaterial von KZ-Wärterinnen,
       denen nach dem Krieg der Prozesse gemacht wird, zitiert Texte darüber, dass
       Frauen im Krieg oft grausamer seien als Männer, und reiht Aufnahmen von
       Frauen in Uniformen aneinander.
       
       Dabei zeigt sich, mit welch einem guten Auge die Bilder ausgewählt sind. So
       gibt es etwa eine alte historische Aufnahme von einer jungen russischen
       Frau, die vor der Kamera stolz ihre neue Kosaken-Uniform präsentiert.
       Ähnlich intensiv wirkt das Foto von einer Soldatin der US-Armee, die ihr
       Baby auf dem Arm trägt. Für Hein ist „das Finden der Bilder ein
       künstlerischer Akt. Für die Frage des Copyrights habe ich mich damals
       überhaupt nicht interessiert.“
       
       Auch in „Baby I will make You Sweat“ von 1994 gibt es eine radikale
       Umkehrung der Geschlechterrollen. Diesen autobiografischen Film drehte
       Birgit Hein mit einer Videokamera in Jamaika, wo sie vor allem junge,
       schwarze Männer aufnahm und im Kommentar in sehr deutlicher Sprache den Sex
       mit ihnen schildert. Für sie besteht „die Befreiung der Frau darin, auch
       begehrlich gucken zu dürfen. Das darf nicht nur darum verdammt werden, weil
       der männliche Blick so lange vorherrschend war.“
       
       Auf einer anderen Ebene eine Provokation ist ihr bisher letzter langer Film
       „La Moderna Poesia“ von 2000. Diesen nahm sie ebenfalls mit einer
       Videokamera auf einer Kubareise auf. Hein demontiert den Mythos von Che
       Guevara, indem sie zeigt, wie allgegenwärtig und banal in Kuba sein Bildnis
       geworden ist: Er erscheint als Wachsfigur im Revolutionsmuseum sowie als
       Aufdruck auf Aschenbechern und Coladosen. Auch hier sind die Bilder wieder
       so bearbeitet und verfremdet, dass dadurch ein schwer zu beschreibender
       ästhetischer Mehrwert entsteht.
       
       Bei ihrem neusten Film hat Birgit Hein dagegen auf jede Nachbearbeitung
       verzichtet. Der neun Minuten lange „Abstrakter Film“ ist stilistisch eine
       Rückkehr zu Found Footage und besteht ausschließlich aus Handyvideos von
       Kampfhandlungen in Libyen, dem Jemen und Syrien.
       
       30 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wilfried Hippen
       
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