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       # taz.de -- Jan Böhmermann übers Fernsehen: „Vor mir muss keiner Angst haben“
       
       > Gekommen, um zu bleiben: Jan Böhmermann über seine neue Show „Neo
       > Magazin“, die Vergangenheit mit „Roche & Böhmermann“ und seine Zukunft im
       > Fernsehen.
       
   IMG Bild: Neues Studio, altes Telefon: „Neo Magazin“ mit Jan Böhmermann.
       
       taz: Herr Böhmermann, für Ihren ZDF-Kultur-Talk „Roche & Böhmermann“ wurden
       Sie 2012 mit Lob überschüttet: ehrlich, roh, aufreibend, anarchisch. Ist so
       viel Wohlwollen auch eine Hypothek für alles danach – wie nun das „Neo
       Magazin“? 
       
       Jan Böhmermann: Man darf das nicht alles glauben. Die Sendung war am Tag
       nach der Absetzung dreimal besser, als sie jemals wirklich war. Und man
       kann auch keine neue Sendung machen, die nur von Anleihen an die alte lebt.
       „Roche & Böhmermann“ war eine konzeptionelle Provokation: fünf Gäste und
       dann mal gucken, was passiert. Eine Stunde Improvisation, das ist aber
       schwer durchzuhalten. Wenn wir so weitergemacht hätten, dann hätten
       spätestens diesen Sommer alle gesagt: Okay, und wann denken die sich mal
       endlich was Neues aus?
       
       Was haben Sie sich fürs „Neo Magazin“ Neues ausgedacht? 
       
       Wir denken jetzt mehr ans Fernsehen.
       
       Hört sich nach einem durchdachten Konzept an. 
       
       Ja, wir machen eine Show, die genauso frei ist wie „Roche & Böhmermann“.
       Aber eben nicht zufällig. Natürlich muss der Improvisation Raum gegeben
       werden. Aber das Ziel ist dieses Mal klarer: Das „Neo Magazin“ ist eine
       Unterhaltungssendung, die im besten Fall auch noch ein bisschen schlau ist.
       Ist aber kein Muss.
       
       Aber die Show läuft unter dem Label Polittalk. 
       
       Das war bloß eine Blendgranate. Es ist eine einfache Comedysendung,
       meinetwegen auch eine Anarcho-Unterhaltungssendung. Aber der Anspruch ist
       nicht im Titel formuliert. Ich hätte gar keinen Bock drauf, irgendeinen
       Anspruch zu erfüllen.
       
       Sie haben auch keinen Bock darauf, ewig im Spartenprogramm zu sein. 
       
       Absolut keinen Bock.
       
       Warum? Haben Sie nicht genau dort die Nische gefunden, die es Ihnen
       erlaubt, zu experimentieren? 
       
       Ja, die Sparte erlaubt Freiheiten. Aber es wird schon weitergehen.
       
       Das Hauptprogramm ist Ihr Ziel? 
       
       Es würde mir niemals in den Sinn kommen, jetzt Hauptprogrammansprüche zu
       formulieren. Die Sendung ist ja noch nicht mal gelaufen. Und ich glaube
       sowieso eher an ein organisches Wachstum. Es ist schon gut, dass wir jetzt
       bei ZDFneo sind. Jetzt sind wir immerhin schon mal bei einem richtigen
       Sender mit richtiger Marktforschung, die auch weiß, wie die Quote war. Es
       gibt jetzt etwas zu verlieren.
       
       Sie fühlen sich also nicht gefangen in der „Spartenvorhölle“? 
       
       Es bringt ja nichts, zu früh auf die große Bühne zu gehen und dann zu
       scheitern. Außerdem ist die Biologie auf meiner Seite. Irgendwann kann das
       ZDF gar nicht mehr anders, als mich ranzulassen.
       
       Der ZDF-Unterhaltungschef Oliver Fuchs hat auf den Münchner Medientagen
       gesagt: Johannes B. Kerner würde man gern abends ins Wohnzimmer lassen.
       Dann hat er Sie angeguckt und gesagt: „Jan Böhmermann dagegen nicht.“ 
       
       Ich habe darauf gesagt, dass das schade sei, denn ich würde den Leuten nie
       heimlich auf den Teppich kacken. Oliver Fuchs kann sich sicher sein, dass
       ich so lange mit einem pompösen Blumenstrauß vor seiner Tür stehe, bis er
       mich reinlässt. Und ich werde die Wohnung nicht verwüsten. Die Leute müssen
       sich nicht sorgen: Es ist alles Unterhaltung. Sie dürfen lachen. Es
       passiert nichts. Wenn das verstanden ist, dann ist die Tür einen Spalt
       offen, dann setze ich meinen Fuß dazwischen. Das ist auch eine Frage von
       Penetranz und Schmerzfreiheit.
       
       Kann man denn das Anarchische aus der Sparte überhaupt ins Hauptprogramm
       tragen? 
       
       Ich glaube, das ist ein beidseitiger Gewöhnungsprozess: Das Publikum muss
       erkennen, dass es vor mir keine Angst haben muss, und ich muss einsehen,
       dass ich vor dem Publikum keine Angst haben muss. Ich war gerade zum ersten
       Mal beim Comedypreis bei RTL. Von solchen Veranstaltungen habe ich mich
       bislang ferngehalten. Aus Angst. Aber ich muss auch trainieren, mit der
       eigenen Haltung so viele Leute wie möglich erreichen zu wollen – das ist
       das Ziel: so viele wie möglich –, und denen das Angebot machen, mich gut zu
       finden. Ohne sich aufzugeben und ohne seine Integrität zu verlieren. Nur in
       seinem Kämmerlein zu sitzen und Witze für sich selbst zu machen ist mir zu
       blöd.
       
       Wie gut und frei können Sie bei ZDFneo arbeiten? Es wird ja jetzt auch von
       Ihnen erwartet, eine Programmfarbe zu bedienen. 
       
       Ganz frei. Schauen Sie sich das Pressefoto an: Schwarzes Studio,
       merkwürdiger Moderator guckt böse in die Kamera und sieht nicht so aus, als
       würde Oliver Fuchs ihn in sein Wohnzimmer lassen. Aber natürlich müssen
       auch wir im Sender Überzeugungsarbeit leisten: Macht euch keine Sorgen, das
       ist unser Beruf, ich mach das jetzt seit zehn Jahren. Vielleicht gelingen
       Dinge ja wirklich manchmal, weil wir das können und uns viele Gedanken
       machen? Wir wollen nicht alles kaputt machen, sondern konstruktiv arbeiten.
       Denn man kann nicht auf der einen Seite sagen „Das Fernsehen ist scheiße“
       und dann auf der anderen Seite, wenn man selbst dran ist, eine Sendung
       machen, die sich nur drei Monate hält oder die keiner sieht. Das ist die
       große Lehre aus dem letzten Jahr. Wenn man so etwas macht, dann muss es
       länger funktionieren. Ansonsten ist alles überhaupt nichts wert.
       
       Sie haben sich mal als „Arschloch“ bezeichnet. 
       
       Ja, als „Arschloch mit Herz“.
       
       Da stand aber nur „Arschloch“. 
       
       Haben die Scheißjournalisten bestimmt wieder rausgestrichen.
       
       Das war aber ernst gemeint, oder? 
       
       Ich sag lieber „Arschloch mit Herz“. Denn obwohl es vielleicht so klingt,
       steckt hinter meiner Arbeit kein großes misanthropisches, zynisches
       Menschen- und Weltbild. Aber natürlich kann man mich als Arschloch sehen,
       weil ich Fragen stelle, die andere nicht stellen, auch unangenehme Fragen,
       die Gesprächspartner brüskieren. Aber ich sag mir: Wenn Journalisten das
       nicht machen, muss es halt der Witzbold tun. Deswegen bezeichne ich mich
       lieber als „Arschloch“, weil dann zartbesaitete Gäste der Sendung
       fernbleiben, weil sie Angst haben. Das ist besser, als wenn die sich nach
       der Sendung ärgern, dass sie da waren. Also: Arschloch stimmt, aber mit
       Herz.
       
       Oh, dann müssen wir jetzt noch eine ernste, brüskierende Frage stellen. 
       
       Aber schnell. Das ist übrigens der Grund, warum ich Journalist geworden
       bin. Ich war 17, habe Radio gehört, ein Moderator bei Bremen 4 hat ein
       Interview geführt, und ich dachte mir: Ich weiß zwar nicht, was ich kann,
       aber das, was der kann, kann ich auf jeden Fall auch. Und das ist bis heute
       der Grund, warum ich in alles Mögliche reingerutscht bin. Bis heute weiß
       ich nicht so richtig, was ich beruflich bin, aber ich weiß ganz oft: Das
       kann ich auch. Ja, Selbstüberschätzung, ohne die wäre ich womöglich längst
       in der Klapse.
       
       Ist Ihre Produktionsfirma, die Bildundtonfabrik, in 20 Jahren dort, wo
       Endemol („Promi Big Brother“) jetzt ist? Und Sie sind dann der neue
       Johannes B. Kerner mit Shows zur Primetime und Werbung für Gutfried und
       Airberlin, der zu den Leuten ins Wohnzimmer darf? 
       
       Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass sich die Medienlandschaft bis dahin so
       verändert hat, dass wir was anderes sind: dass wir weiterhin BTF sind, dass
       wir noch wir sind und dass unsere Entscheidungen bis dahin so klug waren,
       dass wir uns nicht total entfremdet haben. Man entfremdet sich eh, es wäre
       aber schön, auf diesem Weg ein so großes Publikum wie möglich mitzunehmen.
       Aber es ist alles offen. Die neue Sendung kann ja jetzt scheitern.
       
       Wann wären Sie gescheitert? 
       
       Ein letzter altkluger Satz: Wenn ich mit 65 als Kabarettist oder Komiker
       noch auf der Bühne stehen kann und 200-Personen-Säle ausverkauft bekomme,
       bin ich nie gescheitert. Mein Lebensziel ist es, eines Tages immer noch auf
       Tour gehen zu können, um auf der Bühne Quatsch zu machen, und dass so viele
       Leute kommen, dass man ein ordentliches Gehalt einfährt. Ohne Sender, ohne
       Redaktion, ohne Zensur. Das ist der Glücksmaßstab. Alles andere ist
       Bonusmaterial.
       
       31 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürn Kruse
   DIR Anna Klöpper
       
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