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       # taz.de -- Prozess gegen Bundeswehr in Kundus: Richter sichten Kriegsvideos
       
       > Am Landgericht Bonn geht der Prozess wegen der Bomben von Kundus in seine
       > entscheidende Phase. Die Opfer fordern Schadenersatz vom deutschen Staat.
       
   IMG Bild: Die entscheidende Frage lautet: Hat Oberst Klein seine Amtspflichten verletzt, als er den Bombenbefehl gab?
       
       FREIBURG taz | Muss Deutschland für das Bombardement von Kundus
       Schadenersatz zahlen? Mit dieser Frage befasst sich seit März das
       Landgericht Bonn. Am Mittwoch beginnen die Richter mit der Beweisaufnahme.
       Sie wollen anhand von Videoaufnahmen herausfinden, ob der damalige deutsche
       Befehlshaber, Oberst Georg Klein, seine Pflichten verletzt hat.
       
       Am Nachmittag des 3. September 2009 entführten Taliban in Afghanistan zwei
       Tanklaster. Gegen 18 Uhr blieben die Laster jedoch in einer Furt stecken,
       als sie versuchten, einen Fluss zu queren. Am Abend riefen die
       Aufständischen die Bewohner der umliegenden Dörfer herbei, es gebe
       kostenloses Benzin. Bis in die Nacht standen bis zu 200 Menschen um die
       Laster herum.
       
       Die Bundeswehr, die für die Region zuständig war, forderte zwei
       US-Kampfflugzeuge an. Um 1.50 Uhr befahl Oberst Klein, die Tanklastwagen
       und die Personen zu bombardieren. Wie viele Menschen starben, ist bis heute
       umstritten. Die UN-Afghanistan-Mission geht von 74 Toten aus.
       
       Es war der blutigste deutsche Militäreinsatz seit 1945. Seine Bewertung ist
       bis heute umstritten. Im April 2010 stellte die Bundesanwaltschaft die
       Ermittlungen gegen Oberst Klein ein. Im Dezember 2011 endete ein
       Untersuchungsausschuss des Bundestags ohne eindeutige Ergebnisse.
       
       ## Ein Prozess auf Initiative eines Bremer Rechtsanwalts
       
       Nun beginnt zum ersten Mal ein unabhängiges Gericht mit der Beweisaufnahme.
       Ausgelöst hat den Rechtsstreit der Bremer Rechtsanwalt Karim Popal, der
       selbst aus Afghanistan stammt. Schon kurz nach dem Bombardement war er nach
       Afghanistan gereist und hatte auf eigene Faust mit Angehörigen und Zeugen
       gesprochen. Seine Schadenersatzverhandlungen mit der Bundeswehr scheiterten
       jedoch. Im August 2010 zahlte dann die Bundeswehr an 86 Familien jeweils
       3.800 Euro aus – ohne Anerkennung einer Pflicht.
       
       Im Namen von zwei Angehörigen hat der Anwalt Popal daraufhin Ende 2011
       einen Musterprozess auf Schadenersatz angestrengt. Ein 38-jähriger Bauer,
       der zwei Söhne im Alter von acht und zwölf Jahren verloren hat, fordert
       40.000 Euro Schmerzensgeld. Eine 35-jährige Mutter von sechs Kindern, deren
       Ehemann getötet wurde, verlangt 50.000 Euro Schadenersatz.
       
       Der bisherige Prozess verlief erfolgreich für die Kläger. In einer
       Zwischenbilanz vom April wies das Gericht die wesentlichen rechtlichen
       Argumente der Bundesregierung zurück: Die Klage richte sich zu Recht gegen
       Deutschland, obwohl der Afghanistan-Einsatz im Rahmen der Nato erfolgte.
       Auch Einzelpersonen könnten sich auf den Schutz der Genfer Konventionen zum
       humanitären Kriegsvölkerrecht berufen. Eine Amtshaftung des Staates sei
       auch bei militärischen Konflikten möglich.
       
       ## Oberst Klein wurde in der Zwischenzeit befördert
       
       Die entscheidende Frage lautet nun: Hat Oberst Klein seine Amtspflichten
       verletzt, als er den Bombenbefehl gab? Klein, der inzwischen zum
       Brigadegeneral befördert wurde, weist dies zurück. Er habe eine Gefahr für
       das Bundeswehrlager in sieben Kilometer Entfernung gesehen. Er sei davon
       ausgegangen, dass sich nur Aufständische auf der Sandbank bei den Lastern
       befanden. Dabei habe er sich auf die Einschätzung eines afghanischen
       Informanten verlassen.
       
       Die Kläger halten das für grob fahrlässig. Oberst Klein habe in seinem
       Gefechtsstand auch Videoaufnahmen der Szenerie sehen können, die die
       US-Flugzeuge lieferten. Dort sei erkennbar gewesen, dass die meisten
       Menschen unbewaffnet waren, dass sich Leute aller Altersgruppen dort
       aufhielten und dass auch ganz unmilitärische Fahrzeuge wie Traktoren
       herumstanden. Am Mittwoch will sich das Gericht ein eigenes Bild von den
       Videoaufnahmen machen.
       
       Zudem werfen die Kläger dem Oberst vor, dass er die Zweifel der Piloten
       ignoriert hat. Diese schlugen fünf Mal vor, erst im Tiefflug über die Furt
       hinwegzufliegen, um die Menschen vor dem Bombardement in die Flucht zu
       schlagen. Doch Klein lehnte dies ab, er wollte auch die vermeintlichen
       Aufständischen treffen. Der Funkverkehr, von dem Abschriften existieren,
       soll ebenfalls ausgewertet werden.
       
       Sollten die Richter zum Schluss kommen, dass Klein Sorgfaltspflichten
       verletzt hat, müssen die Kläger nachweisen, dass sie tatsächlich Angehörige
       verloren haben und dass ihnen daraus ein Schaden entstand. Bloße Trauer
       genüge nach deutschem Recht nicht, ließ das Gericht dem Bauer ausrichten,
       der seine zwei Söhne verlor.
       
       30 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Rath
       
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