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       # taz.de -- Kunsthistorische Datenbank: Reizwort Restitution
       
       > 100 Jahre nach Gründung seiner Galerie in Düsseldorf rekonstruiert die
       > Datenbank alfredflechtheim.com das Netzwerk des legendären Kunsthändlers.
       
   IMG Bild: Alfred Flechtheim in der Léger-Ausstellung, Berlin 1928.
       
       Paradiesvogel, gesellschaftlicher Trendsetter, Ausstellungsmacher und
       Verleger: Der Kunsthändler Alfred Flechtheim hat in den 1920er-Jahren das
       bis heute angesagte Bild des kongenialen Galeristen geprägt. Er lebte mit
       und unter den Künstlern und war aufgrund seiner zahllosen Aktivitäten nicht
       selten knapp bei Kasse.
       
       Unter [1][alfredflechtheim.com] ist das und einiges mehr nachzulesen.
       Deutlich werden soll aber vor allem die Bedeutung des außergewöhnlichen
       Kunsthändlers als Berater der deutschen Museen in Sachen Moderne. 15
       Institutionen haben bei diesem Projekt zusammengearbeitet und die
       Geschichte jener Werke, die durch Flechtheims Hände gegangen sind, minutiös
       aufgearbeitet. Bislang sind 324 Bilder und Skulpturen erfasst, doch ist die
       Datenbank auf Zuwachs konzipiert.
       
       Was aussieht wie ein publikumstauglich umgesetztes Forschungsprojekt ist
       auch eine eindrucksvolle Demonstration der Museen, dass sie ihre
       Hausaufgaben erledigt haben. Das Reizwort heißt Restitution, gemeint ist
       die Rückgabe jener Werke, die vor den perfiden Enteignungsmaßnahmen der
       Nationalsozialisten in jüdischem Besitz waren.
       
       Seit der Washingtoner Erklärung von 1998 existiert eine Empfehlung des
       Bundeskulturministers, in deutschen Museen die Provenienz der Werke, also
       ihre Herkunft, zu erforschen. 2008 wurde die Arbeitsstelle für
       Provenienzforschung in Berlin gegründet, Gelder zur Verfügung gestellt,
       damit die Museen ihrer Aufgabe nachkommen können. Aus dem Netzwerk der
       ProvenienzforscherInnen ist die Online-Datenbank zu Alfred Flechtheim
       erwachsen. Und da meist der Verlust von wertvollen Gemälden auf dem Spiel
       steht, mangelt es auch nicht an Motivation.
       
       Doch geht es um mehr als nur um akribische Recherchen und das große Geld.
       Die stets mit im Raum stehende Schuld der Deutschen an der Verfolgung und
       Ermordung der Juden macht hellhörig für Kritik. Etwa für Michael R. Hultons
       Einwände gegen das ehrgeizige Projekt. Kein Zeitungsbericht zu der
       konzertierten Aktion der Museen ließ die Position des Flechtheim-Erben
       außer Acht. Im Gegenteil: Manch eine Redaktion hätte es womöglich bei einer
       knappen Agentur-Meldung zur Datenbank belassen, wenn der Begriff
       Restitution sich nicht in den Vordergrund geschoben hätte.
       
       Bereits kurz vor der Freischaltung am 9. Oktober hatte die FAZ einen großen
       Bericht gedruckt, demzufolge die Datenbank nur „angeblich“ objektiv sei und
       die Hinterbliebenen Flechtheims nicht einbezogen worden seien. Doch es war
       Hulton, der einer Einladung zur öffentlichen Präsentation der Website nicht
       folgen wollte, um dann in einer Gegenveranstaltung um die Aufmerksamkeit
       der Medien zu konkurrieren.
       
       ## Strittige Fragen
       
       Hultons Anwalt Markus Stötzel beklagte vor Medienvertretern, dass es auf
       der Plattform keinerlei Hinweise auf strittige Fragen über die Herkunft
       mancher Bilder gäbe. Er bezog sich damit auf jene Werke von Paul Klee, Juan
       Gris und Max Beckmann aus der Bayerischen Staatsgemäldesammlung und den
       Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, für die er
       Restitutionsanfragen gestellt hat.
       
       Ob und inwiefern die Ansprüche des Großneffen Flechtheims zu Recht
       bestehen, müssen weitere Recherchen klären. Mehr als deutlich ist aber, das
       es sich kein Museum mehr leisten kann, berechtigte Restitutionsansprüche
       zurückzuweisen. In vielen Fällen lässt sich aber nicht mehr sagen, ob
       Flechtheim zum Zeitpunkt des verfolgungsbedingten Verkaufs oder der
       Beschlagnahme eines bestimmten Bildes überhaupt dessen Besitzer war. Die
       Datenbank gibt Einblick in das Dickicht der Geschäftsbeziehungen zwischen
       den Händlern untereinander, sowie zwischen dem Galeristen und seinen
       Künstlern.
       
       Im Fall von Max Beckmann, der auch mit Israel Ber Neumann aus New York und
       Günther Franke in München zusammengearbeitet hat, ist beispielsweise
       sicher, dass er 1931 die Zusammenarbeit mit Alfred Flechtheim beendet hat.
       
       Durch die Kontroverse sind die ambitionierten Aktionen der beteiligten
       Museen aus dem Blick geraten. In Hamburg, Bremen, Münster, Dortmund,
       Hannover, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Karlsruhe, Stuttgart, München und
       Zürich sind die in der Datenbank erfassten Werke auch analog zu sehen.
       
       ## Recherche in Berlins Museen
       
       Dass Berlin, Flechtheims wichtigste Bühne, nicht dabei ist, mag verwundern.
       Doch auch bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) sind offenbar
       Restitutionsanfragen eingegangen. Offizielle Politik des Hauses ist, sich
       bei laufenden Verhandlungen nicht zu äußern. Bekannt ist, dass seit 2010
       zwei Wissenschaftlerinnen im Zentralarchiv der SPK die Herkunft der bis
       1945 entstandenen Bilder und Skulpturen erforschen, die heute als
       Dauerleihgabe des Landes Berlin von der Stiftung verwahrt werden. Im
       Frühjahr 2014 soll eine Publikation zu der nach dem Kriege
       zusammengetragenen „Galerie des 20. Jahrhunderts“ erscheinen. Rein
       theoretisch könnten dann die vorliegenden Erkenntnisse in die Datenbank
       alfredflechtheim.com eingearbeitet werden.
       
       Zuvor aber werden wohl noch einige restituierte Meisterwerke auf den
       Titelseiten der Feuilletons landen. Als symbolische Wiedergutmachung
       begangenen Unrechts werden sie den Deutschen erneut den Spiegel der
       Geschichte vorhalten. In den Grundsätzen der Washingtoner Erklärung wird
       angemahnt, bei unklarer Sachlage eine „faire und gerechte Lösung“ zu
       finden. Einen rechtlichen Anspruch gibt es nicht. Bei ungeklärter Sachlage
       kann die prominent besetzte Limbach-Kommission vermitteln.
       
       „Wir sind an unsere Grenzen gekommen“, resümiert der Leiter der
       Arbeitsstelle für Provenienzforschung Uwe Hartmann. Es bleibe eine
       Recherchelücke, solange das Kahnweiler-Archiv nicht geöffnet werde und die
       Nachfahren von Alex Vömel dabei blieben, dass alle geschäftlichen
       Unterlagen im Krieg zerstört worden seien. Vömel hatte 1933 die
       Düsseldorfer Dependance von Flechtheim übernommen, die er bereits seit
       Jahren als Geschäftsführer geleitet hatte.
       
       Hartmann bringt das Gespräch auf Flechtheims Frau Betti. Sie verwahrte die
       Privatsammlung und blieb sogar noch nach dem Tode ihres Mannes 1937 in
       Berlin. Erst kurz vor der drohenden Deportation 1941 nahm sie sich das
       Leben. Hartmanns Fazit: „Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass die
       Fragen nach dem Verbleib von Kunstwerken nach 1933 nicht von den Fragen
       nach dem Schicksal der Opfer der Verfolgung zu trennen sind.“
       
       27 Oct 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://alfredflechtheim.com/home/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carmela Thiele
       
       ## TAGS
       
   DIR Kunst
   DIR Datenbank
   DIR Adam Szymczyk
   DIR Hildebrand Gurlitt
       
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