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       # taz.de -- Gundula Oerter über schlechte Flüchtlingspolitik: „Ein unhaltbarer Zustand“
       
       > MitarbeiterInnen der Flüchtlingsinitiative lehnen ab, von Innensenator
       > und Sozialsenatorin als Ehrenamtliche gewürdigt zu werden. Gundula Oerter
       > erklärt, warum.
       
   IMG Bild: Keine Ehrung von der falschen Seite bitte: Flüchtlingsinitiativen werfen der Politik Heuchelei vor.
       
       taz: Frau Oerter, warum ist die Flüchtlingsinitiative so undankbar? 
       
       Gundula Oerter: Warum sollten wir dankbar sein? Wir machen unsere Arbeit
       aus anti-rassistischer Überzeugung und nicht, um vom Senat geehrt zu
       werden.
       
       Deshalb haben die MitarbeiterInnen der Flüchtlingsinitiative es abgelehnt,
       dass Innensenator und Sozialsenatorin sie für ihr ehrenamtliches Engagement
       würdigen? 
       
       Ja. Die SenatorInnen sollen unsere inhaltlich fundierte und seit Jahren
       formulierte Kritik ernst nehmen und umsetzen. Dass ausgerechnet diese
       beiden Stellen uns würdigen wollen, ist grotesk.
       
       Wieso ist das grotesk? 
       
       Es sind ja genau die Behörden dieser beiden Ressorts, die unsere Arbeit
       erst nötig machen und den Menschen, die wir beraten, das Leben erheblich
       erschweren – wie die Ausländerbehörde, das Standesamt, die Sozialzentren.
       
       Welche Probleme tauchen auf? 
       
       Da gibt es viele! Zum Beispiel eklatante Falschentscheidungen oder die
       fehlende Information über bestehende Rechte, außerdem werden
       Ermessensspielräume systematisch nicht ausgenutzt. Bei Anträgen auf
       Aufenthalt wird die Lebensunterhaltssicherung gefordert, wo dieser keine
       Voraussetzung ist, die Echtheit von Dokumenten wird angezweifelt, wo es
       keinerlei konkrete Anhaltspunkte gibt, Leute werden zur Ausreise
       aufgefordert, obwohl sie durchaus einen Aufenthaltsgrund haben und so
       weiter. Von den Sachbearbeitern werden die Betroffenen auch häufig
       respektlos behandelt, wir hören immer wieder von rassistischen Äußerungen.
       
       Hat nicht Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) mehrfach darauf hingewirkt, dass
       Ermessensspielräume zugunsten der Flüchtlinge ausgelegt werden? 
       
       Ja, es gibt einzelne Erlasse, aber die sind längst nicht ausreichend. Und
       die Erlasse, die es gibt, werden in den Bescheiden der Ausländerbehörde
       sehr häufig nicht berücksichtigt. Ein Großteil unserer Arbeit besteht
       deshalb darin, die Ausländerbehörde dazu zu bringen, sich an geltendes
       Recht zu halten. Das heißt natürlich, dass die Leute, die nicht in unsere
       Beratung kommen und auch kein Geld für eine Rechtsanwältin haben, die ihnen
       zustehenden Rechte nicht gewährt bekommen. Asylsuchende erhalten außerdem
       keine gesicherte Asylverfahrensberatung. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
       
       Ist Bremen dazu verpflichtet, die Beratung zu organisieren? 
       
       Wenn es in einer Stadt eine zentrale Erstaufnahmestelle gibt, ist es ein
       Muss, eine ausreichende Asylverfahrensberatung zu gewährleisten. Bremen
       finanziert dafür bisher nicht mal eine volle Stelle.Wir veranschlagen pro
       Person und Asylverfahren drei bis fünf Stunden. Das ist realistisch, um
       Leute angemessen auf ein so komplexes Verfahren vorzubereiten, bei dem es
       um asylrelevante Fluchtgründe geht und mitunter um die gesamte
       Lebensgeschichte – und vor allem um deren Zukunft.
       
       Das Bundesamt verweist auf Sie als ehrenamtliche Beratungsstelle. 
       
       Im Sinne der Betroffenen finden wir das total okay. Mit Blick auf den Staat
       ist es nicht in Ordnung. Bremen muss dafür sorgen, dass das Asylrecht von
       den Betroffenen auch in Anspruch genommen werden kann, und das bedeutet
       eine ausreichende Finanzierung einer Rechtsberatung. Es geht nicht, dass
       staatliche Aufgaben reihenweise auf Ehrenamtliche abgewälzt werden.
       
       Können staatlich finanzierte Stellen überhaupt unabhängig beraten? 
       
       Das ist nicht leicht, aber das muss dabei rauskommen. Zumindest geht es
       nicht, dass diejenigen, die beraten, gleichzeitig entscheiden. Und es ist
       auch fragwürdig, dass die beraten, die eine Monopolstellung bei der
       Unterbringung haben.
       
       Sie meinen die Arbeiterwohlfahrt, die die Flüchtlingsheime bewirtschaftet? 
       
       Ja. Für die Menschen muss unterscheidbar sein, wo sie ihren Asylantrag
       stellen, wo sie wohnen und wer sie berät. Bei einem Asylverfahren muss ich
       vortragen, wo ich verfolgt und in meiner Unversehrtheit verletzt wurde. Das
       sind sensible Punkte, dafür braucht es in der Beratung ein
       Vertrauensverhältnis.
       
       Sollte also die Flüchtlingsinitiative staatlich finanziert werden? 
       
       Uns geht es um politische Veränderung und nicht um Geld. Unser Ziel ist
       eine Gesellschaft, in der alle Menschen den gleichen Zugang zu Ressourcen
       haben. Dann sind Beratungsstellen wie die unsere auch gar nicht mehr nötig.
       
       Hätte die Würdigung Ihrer ehrenamtlichen Arbeit nicht Ihre Position
       gestärkt? 
       
       Nein, das ist eine Show-Veranstaltung ohne jede politische Relevanz.
       Verhandlungspositionen werden aber immer nur durch gute Inhalte gestärkt –
       und die vertreten wir.
       
       18 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jean-Philipp Baeck
       
       ## TAGS
       
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   DIR Migration
       
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