# taz.de -- Sexualtherapeut über Pädophilie: „Das wird es immer geben"
> Die Sexualität von Kindern sei mit der von Erwachsenen unvereinbar, sagt
> Gerhard Senf. Er fordert eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema.
IMG Bild: „Kein Kind verlangt nach Erotik zu einem Erwachsenen“, sagt Gerhard Senf.
taz: Herr Senf, in der Hauszeitschrift von pro familia [1][sprachen bis in
die 1990er Jahre] Wissenschaftler von „einvernehmlichem Sex“ zwischen
Erwachsenen und Kindern. Beim Kinderschutzbund arbeiteten in den 1980er
Jahren sogar Pädophilenaktivisten mit. Beides sind seriöse Organisationen.
Wie konnte es dazu kommen?
Gerhard Senf: Man kann darauf nur eine Antwort finden, wenn man den
damaligen Zeitgeist mit einbezieht. Heute redet man viel über Pädophilie,
über Kindesmissbrauch. In den 70ern redete man hauptsächlich über Befreiung
der Sexualität. Noch in den 80ern herrschte, quasi als Spätfolge der ersten
Befreiungswelle, ein ausgeprägter Nacktheitskult: Im Kinderladen, in dem
ich damals meinen Sohn hatte, waren dauernd alle nackt. Nackte Kinder lagen
bei Treffen bäuchlings auf ihren nackten Eltern. Das fand man progressiv
damals. Später erzählte mir mein Sohn, wie peinlich er diese entblößten
Erwachsenen fand.
Da ging es schon los mit der Grenzüberschreitung, die in anderen
Kinderläden und Lebensgemeinschaften der damaligen Zeit noch weiter ging.
Da wurden Kinder dazu aufgefordert, sexuelle Handlungen von Erwachsenen
nachzuspielen. Gefährlich wird es immer dann, wenn Wünsche und Sehnsüchte
der Erwachsenen auf die kindliche Sexualität projiziert werden. Ein gutes
Beispiel für solche Projektionen ist das Aufklärungsbuch „Zeig mal“ …
… das 1974 erschienene Buch des Fotografen Will McBride zeigte nackte
Kinder in sexuellen Posen und war ein Bestseller. Später wurde es als
pornografisch kritisiert. Würden Sie sagen, das Buch ging zu weit?
Eindeutig – die Darstellung der Kinder auf den Bildern ist viel zu
erotisch. Das Buch war eigentlich an Kinder gerichtet. Aber die Fotos sind
bestimmt von einem erwachsenen, einem absichtsvollen Blick auf den
kindlichen Körper. Dabei ist klar und auch immer klar gewesen: Die
Sexualität von Kindern ist mit der von Erwachsenen unvereinbar.
In einer Zeit, in der man mit Vorliebe Grenzen einriss, wollten manche auch
am Tabu der Pädophilie rühren. Haben Sie selbst damals immer so klar
gesehen, was zulässig ist und was nicht?
Es ist das eine, wissenschaftlich über Altersgrenzen oder mit einer
gewissen Offenheit über sexuelle Abweichungen zu diskutieren. Das andere
ist die Praxis. Und da ist die Grenze für einen normal veranlagten
Erwachsenen ganz deutlich erkennbar – im Alltag: Stellen Sie sich vor, Sie
haben einen Sohn, ein Baby noch. Es ist Sommer, er trägt keine Windel,
liegt quer auf Ihnen drauf und beginnt plötzlich, im Halbschlaf mit seinem
Pimmel gegen Ihren Arm zu schubbern. Eine unbewusste und ganz normale Form
der kindlichen Autoerotik.
Für den Erwachsenen stellt sich aber jetzt die Frage: Lasse ich zu, dass
sich das Kind an mir schubbert – oder ziehe ich den Arm weg? Ich ziehe den
Arm weg, andere lassen ihn vielleicht liegen, das ist Geschmackssache.
Problematisch wird es, wenn der Erwachsene das kindliche Verhalten erregend
findet oder als Aufforderung begreift. Bis ins 19. Jahrhundert war es
übrigens üblich, dass Ammen Babys masturbierten, damit sie ruhig
einschlafen.
Das wäre heute ein Fall fürs Gericht.
Und völlig zu Recht! Missbrauch beginnt da, wo Erwachsene aktiv in die
Sexualität von Kindern eingreifen. Aber es wurde lange Zeit überhaupt nicht
zwischen Kindern und Erwachsenen unterschieden.
[2][Die Kindheit ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts]. Und erst Sigmund
Freud hat uns bewusst gemacht, dass Kinder eine Sexualität haben. Die
unterscheidet sich aber fundamental von der eines Erwachsenen: Kindliche
Sexualität ist größtenteils unbewusst, spielerisch und nicht auf ein
konkretes Gegenüber gerichtet. Kinder sollten sich frei entfalten dürfen,
dazu gehören auch die Autoerotik und später die Doktorspiele.
Dieses natürliche kindliche Verhalten muss aber frei bleiben von Störungen
und Manipulationen durch Erwachsene: Wenn Neunjährige Pornos sehen,
versuchen sie das irgendwann mit Gleichaltrigen umzusetzen. Dann wird es
missbräuchlich.
Ein normales Kind missbraucht niemanden – ein normaler Erwachsener also
auch nicht?
Pädophilie ist eine sexuelle Präferenz, die vom Normalen abweicht. Man muss
aber auch Pädophile unterscheiden von Menschen, die Kinder missbrauchen und
eigentlich heterosexuelle Beziehungen führen. Oder von Tätern, die aus
einer pathologischen Neigung heraus sexuelle Gewalt an Kindern verüben. Der
Kreis derer, die echt pädophil veranlagt sind, ist sehr klein. Das sind
vielleicht 200.000 Menschen. Wenn so jemand in meine Praxis kommt, muss ich
ihm zunächst eines klarmachen: Er hat eine sexuelle Präferenz, die er nicht
ausleben darf, sonst richtet er Schaden an.
Und: Diese Präferenz hört nie auf – sie lässt sich aber auf ein Maß
therapieren, das es dem Betroffenen erlaubt, in unserer Gesellschaft zu
leben. Pädophile gibt es und es wird sie immer geben – deshalb brauchen wir
eine offene Auseinandersetzung mit dem Thema.
Wie könnte die aussehen?
Eine Diskussionskultur, die Pädophile ermutigt, wie es zum Teil in den
70ern und 80ern der Fall war, darf es nicht sein. Aber das einseitige
Bestrafen und Ausgrenzen ist auch keine Lösung. Man muss offen damit
umgehen, dass es das Phänomen der Pädophilie gibt.
Den Betroffenen bleiben ja nur zwei Wege: Die Integration in die
Gesellschaft und das heißt, die Sublimierung oder Unterdrückung ihres
Begehrens. Oder der Weg in den Untergrund, wo sie Gefahr laufen, sich
strafbar zu machen und Kindern Schaden zuzufügen. Es ist nicht schön, wenn
man mit jemandem darüber diskutiert, ob es in Ordnung ist, sich zu einem
Bademodenkatalog mit Mädchen in Badeanzügen einen runterzuholen. Aber es
ist eine notwendige Arbeit. Denn die Alternative wäre vielleicht
Kinderpornografie – deren Herstellung ein Verbrechen an realen Kindern ist.
Immer wieder gibt es Stimmen in der Publizistik und auch in der
Wissenschaft, die für eine Unterscheidung eintreten: Zwischen
Sexualstraftätern, die mit Gewalt vorgehen, und „echten“ Pädophilen, die an
einer „echten“ Beziehung zum Kind interessiert sind. Gibt es solche „guten“
Pädophilen?
Nein. Kein Kind verlangt nach freundschaftlicher Erotik zu einem
Erwachsenen. Kinder verstehen solche Intentionen nicht. Und wenn sie ihnen
klar offengelegt werden, dann wollen sie sie nicht. Was dann folgt, ist
Manipulation und die bewusste Ausnutzung der geistigen Überlegenheit von
Erwachsenen. Was daran besser sein soll als die Ausnutzung der körperlichen
Überlegenheit, verstehe ich nicht. Werden sexuelle Handlungen in die Tat
umgesetzt, sind die Kinder die Leidtragenden – immer.
15 Oct 2013
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## AUTOREN
DIR Nina Apin
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