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       # taz.de -- Kolumne Roter Faden: Funky Kakerlake
       
       > Wenn Politiker mehr wie Küchenschaben wären, hätten Forscher vielleicht
       > auch für den Shutdown in den USA eine Lösung.
       
   IMG Bild: Du denkst nur, Schabe, dass du dich selbst steuerst. Gleich kommt der Zehnjähriger mit seinem Smartphone.
       
       Es brodelt in der westlichen Antarktis, und ausnahmsweise hat das mal
       nichts mit dem Klimawandel zu tun. Eine knappe Woche nachdem der
       US-Kongress Obamas Haushalt vor die Wand gefahren und den Shutdown aller
       staatlichen Organisationen besiegelt hat, sind am Mittwoch die ersten
       Wissenschaftler an der Palmer-Forschungsstation angekommen, darunter junge
       Studierende, die das ganze Jahr über die Projekte für ihren Aufenthalt
       vorbereitet haben. Sie alle können jetzt dabei zusehen,wie der Laden
       dichtgemacht wird.
       
       Denn die National Science Foundation hat kein Geld mehr für den Betrieb
       ihres dritten antarktischen Labors, sie hat im Grunde nicht mal mehr genug
       Leute, um die Station halbwegs ordentlich einzumotten. Nur noch zwei
       Dutzend der 1.700 Beschäftigten werden bezahlt, und das Lifting der
       Schuldenobergrenze, das nun als positiver Trend im Haushaltsstreit
       gehandelt wird, hilft da auch nicht. Denn der Shutdown geht weiter, und
       das, was die Forscher hier am südlichen Polarkreis tun – Klimawandelfolgen,
       arktische Fauna und Meeresökologie untersuchen – bleibt so „nicht
       essentiell“ wie die Arbeit der Umweltbehörde, der Nasa, des staatlichen
       Katastrophenschutzes und der Seuchenüberwachung. Gerade hat übrigens die
       Grippesaison angefangen.
       
       Sogar das Verschicken offizieller E-Mails ist für die Beschäftigten des
       öffentlichen Forschungsbetriebs jetzt ein Straftatbestand. Man fragt sich
       also, ob die sechs in Amerika tätigen Nobelpreisträger dafür verknackt
       werden, dass sie die Anrufe der schwedischen Akademie in dieser Woche
       überhaupt angenommen haben.
       
       Wobei sämtliche Laureaten mal wieder alt genug erscheinen, um noch per
       Postkutsche kommuniziert zu haben. Völlig irre: Die drei
       Chemie-Nobelpreisträger entwickelten ihre nun prämierten
       Computersimulationen von „komplexen chemischen Prozessen“ zu einer Zeit, in
       der es noch kein Internet gab, IBM gerade das erste Floppy-Laufwerk auf den
       Markt brachte und Desktop-Rechner noch mit einem Kran gehoben werden
       mussten.
       
       ## Der Jungspund des Trios
       
       Vierzig Jahre ist das her, und es tut einem beinahe leid, wenn der
       Jungspund des Trios, der 66-jährige Michael Levitt, jetzt auf verdammt gute
       Gesundheit hoffen muss – so er denn erleben will, wie moderne Computer
       seinen Traum erfüllen und nicht nur Reaktionen zwischen organischen
       Molekülen simulieren, sondern ganze Organismen. Das dauert aber noch. Erst
       mal hat die EU eine halbe Milliarde in die Simulation eines Gehirns
       gesteckt.
       
       Aber vielleicht hat der Mann ein Faible für Kakerlaken und besitzt ein
       Smartphone oder ein entsprechend ausgestattetes Enkelkind. Dann ließe sich
       die Wartezeit mit einem Schülerexperimentierkasten namens RoboRoach
       vertreiben, das zwei Neuro-Nerds vergangene Woche auf einer kleinen
       Konferenz in Detroit vorgeführt haben.
       
       Der Name des Bausatzes führt etwas in die Irre: Es handelt sich mitnichten
       um einen Roboter. Vielmehr geht es um die Manipulation echter Tiere – hier:
       Küchenschaben – durch Cyborg-Technik. Die Insekten werden im Paket
       mitgeliefert und müssen in Eiswasser immobilisiert werden, bevor sie einen
       kleinen Hightechrucksack auf den Panzer und ein paar Elektroden ins
       Schabenhirn gefummelt bekommen. Danach lassen sie sich durch eine App
       anfunken und herumkommandieren.
       
       Erste Versuche sollen unter anderem gezeigt haben, dass die Kakerlaken es
       mögen, wenn Musik auf dem Smartphone abgespielt wird. Empfohlen wird
       RoboRoach aber erst ab zehn Jahren, und selbst das findet manch ein
       Bioethiker immer noch viel zu jung, weil: Kinder sollen nicht „mit lebenden
       Sachen“ spielen. Das dürfen auch in der Forschung nur Erwachsene.
       
       Dabei ist eine Küchenschabe nicht mal ein richtiger Käfer. Käfer aber sind
       ernstzunehmende Kreaturen, weil sie gewisse Eigenschaften von Menschen
       spiegeln. Der Mensch liebt so was. Warum sollte er sich für Tiere
       interessieren, wenn nicht um seiner selbst willen? Im Fall des
       Nashornkäfers ist dabei jetzt auch was Interessantes rausgekommen:
       Männliche Exemplare von Trypoxylus dichotomus besitzen ein Nasengeweih, das
       als Waffe dient und dazu, weibliche Käfer zu beeindrucken.
       
       Bislang dachte man bloß, dass hinter so einer dicken Nase nicht mehr viel
       Krabbelperformance zu erwarten ist. Machotum ist bekanntlich anstrengend
       und verkürzt das Leben. Aber gerade da kann man jetzt mal sehen, welche
       Forschung lohnt: US-Forscher haben gezeigt, dass großnasige Weiberhelden
       unter den Käfern mindestens genauso fit sind wie bescheidene Artgenossen.
       Wozu also vernünftig sein oder gar gerecht? Die zu mehr als achtzig Prozent
       männliche Belegschaft des US-Repräsentantenhauses fragt sich das offenbar
       auch.
       
       12 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kathrin Zinkant
       
       ## TAGS
       
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