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       # taz.de -- Kommentar Lampedusa und Beppe Grillo: Der Stiefel ist voll
       
       > Zwei Senatoren wollen illegale Einwanderung als Straftatbestand
       > abschaffen. Dagegen hetzt auch Beppe Grillo in rechtspopulistischer
       > Manier.
       
   IMG Bild: Zeigt, wessen Geistes Kind er ist: Übervater der 5-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo.
       
       Italien steht unter dem Schock der Tragödie von Lampedusa, und die
       bisherige, auf Abschottung ausgerichtete Ausländerpolitik ist auf dem
       Prüfstand.
       
       Nur Wenige im Land wunderten sich, dass im Senat das Movimento5Stelle (M5S)
       die Initiative ergriff. Im Justizausschuss brachten zwei M5S-Senatoren am
       Mittwoch einen Änderungsantrag ein, sein Inhalt: Abschaffung des
       Straftatbestandes „illegale Einwanderung“.
       
       Der Antrag kam durch, alle Parteien von links bis zur Mitte stimmten zu.
       Von rechts dagegen, aus dem Berlusconi-Lager und der fremdenfeindlichen
       Lega Nord, kam der erwartete Aufschrei.
       
       Alles wie gehabt, alles wie erwartet, wenn nicht noch einer aufgeschrien
       hätte: ausgerechnet Beppe Grillo, Gründer und Übervater der
       5-Sterne-Bewegung.
       
       Grillo rechnet in einem wütenden Post, unterzeichnet von ihm selbst und vom
       zweiten starken Mann des M5S, dem Web-Guru Gianroberto Casaleggio, mit den
       allzu fremdenfreundlichen Senatoren aus den eigenen Reihen ab. „Rein
       persönlich“ sei deren Initiative gewesen, donnert er. In nur wenigen Zeilen
       folgen dann ein paar Lektionen, die es in sich haben.
       
       ## 
       
       Die erste Lektion zielt auf die Entscheidungsmechanismen im M5S. Die
       Bewegung wolle keine Parlamentarier, die „als Dr. Seltsam ohne Kontrolle“
       agieren, „ohne sich mit irgendjemand zu beraten“. Dumm nur, dass jenseits
       der Fraktionen das M5S gar keine Entscheidungsmechanismen hat – außer den
       regelmäßigen Machtworten Beppe Grillos.
       
       Das macht am Ende aber gar nichts, wenn man Grillo glauben darf.
       Schließlich hat, dies die zweite Lektion, M5S ein Programm und eine
       Methode, an die sich die Parlamentarier gefälligst halten sollen. Die
       Methode ist recht einfach: M5S wolle der „öffentlichen Meinung“, dem
       „Volkswillen“ Rechnung tragen und nicht wie die Altparteien „die Bürger
       ‚erziehen‘“.
       
       Ein charismatischer Anführer, der ziemlich alles allein entscheidet, dazu
       „Volkes Stimme“, die unverbrüchlich gilt: Das hatten wir schon in der
       italienischen Politik. Umberto Bossi, Gründer und jahrzehntelanger Chef der
       Lega Nord, genauso wie Silvio Berlusconi fuhren prächtige Erfolge ein,
       indem sie den ausländerfeindlichen „Volkswillen“ anstachelten.
       
       ## Grillo stellt seine Position klar
       
       Und eben dies, so scheint es, hat jetzt auch Grillo vor. Über seinem Post
       zur illegalen Einwanderung prangt das Foto einer armen, alten, natürlich
       italienischen Rentnerin; die Frau wühlt am Markt im Müll, um sich ein paar
       Tomaten aus den Abfällen zu klauben, und Grillo schreibt: „Dieser
       Änderungsantrag (zur Abschaffung des Straftatbestands illegale
       Einwanderung, die Red.) ist eine Einladung an die Immigranten aus Afrika
       und dem Nahen Osten, sich auf den Weg nach Italien zu machen. Lampedusa
       steht vor dem Kollaps, und Italien geht’s auch nicht besonders gut. Wie
       viele Klandestine können wir aufnehmen, während jeder achte Italiener nicht
       genug zu essen hat?“
       
       Immer wieder ist gerätselt worden über die Natur des M5S. „Eigentlich
       links“ erschien sie vielen, schließlich hatten sich da junge, kritische,
       informierte Bürger aufgemacht, um die italienische Politik zum Tanzen zu
       bringen, und viele ihrer Forderungen konnten Linke ohne weiteres
       unterschreiben: Stopp der Anschaffung von F35-Kampfflugzeugen, Stopp des
       Baus der Hochgeschwindigkeitsstrecke im Susatal, Grundsicherung für alle
       Bürger, umweltfreundliche Energie- und Abfallpolitik.
       
       Jetzt aber ist „das Boot voll“, jetzt essen illegale Einwanderer der
       italienischen Oma die letzte Tomate weg. Grillo ist in bester Gesellschaft,
       in der Gesellschaft der Le Pens, der Wilders, der Straches – all jener
       rechtspopulistischen Parteien, die das Immigranten-Gesocks einfach nicht
       haben wollen. Es ist eine mehr als deutliche Klarstellung: für die Wähler,
       die Aktivisten, die Parlamentarier des M5S. An ihnen liegt es, ob sie diese
       offen rechtspopulistische Positionierung in der Ausländerpolitik mitmachen
       wollen.
       
       11 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Michael Braun
       
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