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       # taz.de -- Kolumne Buchmessern: Im Guerillakampf mit sich selbst
       
       > Sonnenaufgang in Frankfurt: Zum Auftakt der Buchmesse wurde der deutsche
       > Buchpreis verliehen. Siegerin Terézia Mora ist froh, nicht verhungert zu
       > sein.
       
   IMG Bild: Über Frankfurt lacht die Sonne (– über Offenbach die ganze Welt)
       
       Wenn das der Herbst ist, kann es auch für den Rest des Jahres Herbst
       bleiben. Über Frankfurt scheint die Sonne. Die irakischen
       Grillspezialitäten bei Al Rafedain lässt man sich nach draußen an den Tisch
       bringen. Zwei junge Araber füttern Tauben mit übrig gebliebenem Reis, dann
       rauchen sie eine Zigarette. Es ist kein langer Weg vom irakischen Imbiss am
       Main entlang zum Römer.
       
       Die deutschen Kaiser, die im Kaisersaal des Rathauses ernst von den Wänden
       herunterblicken, tragen extravagante Klamotten. Das Branchenpublikum auf
       den Stühlen, das der 9. Verleihung des Deutschen Buchpreises harrt, mag es
       gediegener. Auf der Bühne steht ein weißes Display, in dem die sechs Bücher
       der sogenannten Shortlist präsentiert werden.
       
       Die Bücher werden von unsichtbaren Lampen rundherum in Licht getaucht und
       wirken, als stünden sie in einem Schrein: Kulturprotestantismus 2.0.
       
       Gert Scobel tritt mit einer beeindruckenden Matte vor Publikum und Kameras.
       Er nennt die jährliche Preisverleihung den „Sonnenaufgang“, mit dem die
       Messe beginne. Ist das ein verschlüsselter Tipp, der auf das Buch der
       geheimen Favoritin Marion Poschmann verweist, das den Titel „Die
       Sonnenposition“ trägt?
       
       Dann befragt der Moderator den Juror Helmut Böttiger nach den Kriterien der
       Jury. Es gehe nicht darum, ein Buch auszuzeichnen, das man gefahrlos unter
       den Weihnachtsbaum legen könne, sagt Böttiger. Ästhetische Maßstäbe hätten
       den Ausschlag gegeben, die Romane von Mirko Bonné, Reinhard Jirgl, Clemens
       Meyer, Terézia Mora, Marion Poschmann und Monika Zeiner aus 254 Werken
       auszuwählen. Man könne die Bücher der Endrunde lesen als „Kompendium der
       Schreibweisen, die auf der Höhe der Zeit sind“.
       
       ## Einer fehlt
       
       Das ist ja schön und gut, hört man später beim Empfang. Aber kein Grund,
       das neue Buch von Daniel Kehlmann nicht unter die letzten sechs
       aufzunehmen. Schließlich sei Kehlmann der talentierteste Autor dieser
       Generation. Man müsse ihm nicht den Preis verleihen, aber seine überragende
       Stellung hätte man deutlich machen können.
       
       Dann werden kurze Clips eingespielt, in denen die Autorinnen und ihre
       Bücher vorgestellt werden. Mirko Bonné sagt darin einen Satz über sein
       Buch, den man unter Serienguckern als Spoiler bezeichnen würde. Reinhard
       Jirgl stellt sein eigenes Werk mit der Einschränkung vor: „Wenn ich das
       Buch richtig verstehe.“ Das ist der schönste Satz, der während der
       Preisverleihung gesagt wird. Denn so ist es ja auch: Gute Bücher sind
       intelligenter als ihre Urheber, und gute Schriftsteller wissen das genau.
       
       Dann ist es raus, Terézia Mora bekommt den Preis. Sie scheint nicht so
       recht daran zu glauben, dass sie jetzt auf die Bühne muss. Sehr sympathisch
       wirkt sie, als sie ihrer Mutter und all den anderen dankt, die ihr etwas zu
       essen brächten, wenn sie wieder einmal in ihrer Arbeit versinke.
       
       ## Zwei Sprachen im Streit
       
       Eine Rede hat sie nicht vorbereitet. Später sagt sie in den „Tagesthemen“,
       sie habe mit sich selber vorher ausgemacht, dass das nichts werde mit dem
       Preis, weil sie so destruktiv sei. So erhält den Buchpreis eine Autorin,
       die sich im Guerillakampf mit sich selbst befindet, den Gilles Deleuze
       einmal als wesentliche Form der Auseinandersetzung beschrieben hat.
       
       In Moras Roman sind es zwei Sprachen, die miteinander im Streit liegen.
       Mora ist zweisprachig aufgewachsen, das Ungarische spielt in „Das
       Ungeheuer“ eine wichtige Rolle. Dass sie nun in Frankfurt für diesen Roman
       der Zweisprachigkeit ausgezeichnet wurde, passt.
       
       Die Stadt hatte 1989 einen Dezernenten für multikulturelle Angelegenheiten
       eingesetzt, als die Konservativen noch nicht im Traum daran dachten, die
       alltägliche Erfahrung anzuerkennen, dass Mehrsprachigkeit keine Katastrophe
       ist, sondern womöglich ein bisschen Schwung in den alten Laden bringt.
       
       8 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Gutmair
       
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