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       # taz.de -- Gantenbrinck seziert Liebeskummer: Erst Rausch – dann Scherben
       
       > Wer Paare nur noch in Form von Schuhen erträgt, kennt es gut: „Verficktes
       > Herz“ von Nora Gantenbrink sieht in die Ruinen vergangener Liebe.
       
   IMG Bild: Stereotypie des Glücks: Romeo und Julia, hier an der Met in New York, lieben sich ganz arg
       
       Die Liebe ist etwas Alltägliches, das sich in verschiedenen Kleidern
       schmückt. Sie wird zur Gewohnheit, wenn man sie in der Form einer Beziehung
       erlebt. Wenn diese Gewohnheit wegbricht, hat man das Gefühl, nackt zu sein.
       Menschen versuchen dann, dieses Gefühl zu verbalisieren, und enden darin,
       in Selbstmitleid zu zerfließen. Die 27 Jahre alte Journalistin und Autorin
       Nora Gantenbrink ist eine weitere Person in der Literaturgeschichte, die
       sich an genau dieser Verbalisierung versucht hat. Daraus entstanden ist ein
       Erstlingswerk, das sie auf den Namen „Verficktes Herz“ getauft hat. Die
       Liebe zeigt sich in den Geschichten im dunklen Gewand. Denn das Herz wollte
       ja nur eines: für immer geliebt werden.
       
       Ein Erzählstoff, der schnell ins Pathetische abrutschen kann. Allerdings
       nicht bei Nora Gantenbrink. In 14 Kurzgeschichten eröffnet die Autorin ein
       breites Spektrum an gescheiterten Beziehungen. In kurzen,
       [1][eindringlichen Sätzen] beschreibt sie in ihrer ersten Geschichte, die
       den Titel des Buches trägt, das Leiden ihrer Figur, deren Geschlecht nicht
       genannt wird. Und das muss es auch nicht, denn Liebeskummer ist
       geschlechtsneutral. „Ich bin Werther, alle sind Werther, die Frage ist
       bloß, wann“, resümiert die Figur.
       
       Jeder kennt das Gefühl der Ohnmacht, wenn die Droge Liebe plötzlich
       entzogen wird. Wenn man sich diesem oft besungenen, umschriebenen und
       individuell erlebten Gefühl widmet, ist es wichtig, dass der Ton beim
       Rezipienten Empathie hervorruft oder eine Erinnerung reanimiert. Das
       gelingt Nora Gantenbrink. Wenn im Buch ein Satz wie „Du sprühtest mir Otter
       an die Hauswand, weil ich Otter liebe und du sprühen“ fällt, so ist das
       zwar eine einfache, aber originelle Reminiszenz an eine Person, die
       gegangen ist.
       
       Alle Geschichten beginnen in medias res. Die Protagonisten glänzen kurz wie
       ein Feuerwerk auf, bevor sie für immer verschwinden. So hat man das Gefühl,
       innerhalb weniger Seiten einen sehr eindrücklichen Einblick in die
       Intimsphäre einer Person bekommen zu haben, vor allem deswegen, weil sich
       die Zeilen wie Auszüge aus einem Tagebuch lesen. „Du führst einen Alltag
       auf Repeattaste. Ich will aber nicht Zeitzeuge einer Warteschleife sein“,
       heißt es dabei bildlich in „Höhlentage“.
       
       ## Vertrautes Drama
       
       Die komplexeste Geschichte in „Verficktes Herz“ nennt sich
       „Wal/Wasser/Plankton“. Dabei befindet sich die Protagonistin Rosa bei einer
       Psychiaterin, die ihr hilft, über den Tod ihres verunglückten Freundes
       hinwegzukommen. „Mein Leben ist ein Gerüst aus erlernten Rationalitäten“,
       beschreibt Rosa kurz und prägnant ihr Innenleben. Paare ertrage sie nur
       noch in Form von Schuhen. Das Besondere an dieser Geschichte sind die
       eingebauten Rückblenden aus dem Erinnerungsschatz der Protagonistin und die
       dadurch entstehende Emotionalisierung des Lesers. Am Ende wird der
       psychische Befund von Rosa präsentiert, wobei die Erzählperspektive auf die
       Psychiaterin wechselt.
       
       Als diese ihre Praxis verlässt, bemerkt sie einen jungen Mann, der aus
       einem Auto aussteigt. Er sieht aus wie Noras Freund. Das Kfz-Zeichen trägt
       zudem die Initialen des Verunglückten, über den sie gesprochen hatten. Beim
       Leser bleibt ein Gefühl der Verwirrung zurück. Plötzlich zweifelt man an,
       ob die leidende Rosa die ganze Wahrheit gesagt hat. Aufgelöst wird diese
       Frage nicht.
       
       Mit „Verficktes Herz“ hat es Nora Gantenbrink geschafft, dem Scheitern von
       zwischenmenschlichen Beziehungen verschiedene ansehnliche Gesichter zu
       geben. Sie zeigt auch, dass der Misserfolg einer geschwisterlichen und
       freundschaftlichen Liebe gleich schwer wiegt wie der Bruch einer
       Partnerschaft und dass es die unterschiedlichsten Gründe gibt, warum diese
       nicht mehr funktionieren können. Ihr erstes Buch zeichnet sich durch
       Feinfühligkeit und Nähe zur Realität aus. Und am Ende sieht sich der Leser
       als einer von vielen. Als Nackter zwischen Nackten.
       
       7 Oct 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.youtube.com/watch?v=d-rMJiSSqCM
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lisa Maucher
       
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