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       # taz.de -- "Parsifal"-Premiere in Braunschweig: Vom Riesen gerettet
       
       > Wenn Braunschweigs Staatstheater „Parsifal“ spielt, muss es sich
       > durchsetzen gegen die anderen Häuser. Aber es hat auch Oleksandr
       > Pushniak.
       
   IMG Bild: Kann fließend Deutsch, wenn er singt, aber auch nur dann: Oleksandr Pushniak ist der Amfortas im Braunschweiger "Parsifal".
       
       HAMBURG taz | Am Anfang war es so, dass das Braunschweiger Staatstheater
       eine große Chance war für Oleksandr Pushniak. Jetzt ist es so, dass
       Oleksandr Pushniak eine große Chance ist für das Staatstheater
       Braunschweig.
       
       Man muss ein bisschen ausholen, um das zu erklären: Es liegt an Amfortas.
       Der hat sich verführen lassen, das ist lange her, und trägt seitdem eine
       faulige Wunde mit sich herum. Eine Wunde, die sich niemals schließt.
       Beziehungsweise: erst dann, wenn der Speer sie noch einmal berührt, der sie
       aufgerissen hat.
       
       Das ist unmöglich, gelingt am Ende aber trotzdem. Ganz verstehen lässt sich
       das nicht. Viele, VIELE Regisseure haben dafür nach Erklärungen gesucht,
       nicht alle haben eine gefunden. Welchen Reim sich Yona Kim nun in
       Braunschweig darauf macht, in ihrer Inszenierung von Richard Wagners
       letztem großen Werk „Parsifal“, um das es hier geht?
       
       Pushniak nun, dieser Riese aus der Ukraine, der, wenn er singt, fließend
       deutsch spricht, aber nur dann, mit dieser warmen Stimme, die gleichzeitig
       hart ist und unfassbar weich – dieser Oleksandr Pushniak ist jetzt der
       Braunschweiger Amfortas. Nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal ganz.
       
       Seit 2011 ist er Mitglied im dortigen Ensemble, es ist sein erstes festes
       Engagement, Braunschweig ist Braunschweig, hier wird man nicht berühmt –
       dafür wird man hier besser. Hier konnte Pushniak Sicherheit gewinnen,
       Rollen einstudieren, die ein Bass besser im Repertoire hat: Falstaff,
       Kurwenal, den Figaro.
       
       ## Einladung nach Bayreuth
       
       Und dann, kurz vor seinem 30. Geburtstag, gewann er. Holte den ersten Preis
       und den Publikumspreis beim Internationalen Gesangswettbewerb für
       Wagner-Stimmen 2012; da sitzen in der Jury Menschen, die einem jungen
       Wagner-Sänger sehr nützlich sein können. Die Jury-Vorsitzende – das sollte
       man dazu sagen: Festspielleiterin Eva Wagner-Pasquier – lud ihn sofort nach
       Bayreuth ein, im viel beachteten Jubiläums-„Ring“ im Sommer 2013 debütierte
       er als Donner in „Das Rheingold“.
       
       Regisseur Frank Castorf ließ ihm Koteletten ankleben, so dick, dass man ihn
       nicht erkannte, aber man hörte ihn ja, kurz nur, aber: Man hörte ihn. IHN.
       Wer ihn vor der Premiere durch die Gänge des Festspielhauses laufen sah,
       der sah: einen jungen Bass, sehr verbindlich, sehr freundlich, ein bisschen
       ungläubig darüber, was ihm da passiert ist.
       
       Eines der beiden Stücke, die Oleksandr Pushniak beim Wettbewerb vorsang,
       war die große Arie des Amfortas. Amfortas, der Gralskönig, muss den
       heiligen Gral enthüllen, er will nicht, weil der Anblick seine Wunde wieder
       aufreißen lässt. Er hat aber keine Wahl, weil sonst seine Gralsritter
       zugrunde gehen, in einer merkwürdigen Welt, in der Sex böse ist,
       Weiblichkeit überhaupt ein Grundproblem und Erlösung das höchste Ziel.
       
       ## Gestandene Männer weinen
       
       Etwas schlüssiger wird die Handlung, wenn die Musik dazukommt, im Vorspiel
       zum ersten Aufzug beginnt sie zu schweben, fliegt immer höher und kracht
       dann von ganz oben durchs Dach. Sie verursacht ein Ziehen im Magen und in
       der Leiste und macht, manchmal, dass gestandene Männer weinen.
       
       Wie das alles in Braunschweig klingen wird, mit Alexander Joel am Pult, das
       zeigt sich an diesem Wochenende. Oleksandr Pushniak jedenfalls, dem das
       Staatstheater Braunschweig sehr nützlich war, ist nun dem Staatstheater
       Braunschweig nützlich. Er ist jetzt der Retter des Braunschweiger
       „Parsifal“ – der Retter aus der drohenden Beliebigkeit.
       
       Denn wo steht der „Parsifal“ in diesem Jahr nicht noch alles auf dem
       Spielplan: Berlin, Chemnitz, Detmold, Essen, Freiburg, Hamburg, Köln,
       Leipzig, Lübeck, Mannheim, München, Stuttgart, Salzburg, Wien, Zürich. Und
       das sind nur die Städte im deutschsprachigen Raum. Es ist Wagner-Jahr,
       immer noch. Da ist ein Name, eine Hoffnung Gold wert. Einer wie Pushniak.
       
       ## ■ „Parsifal“, Premiere: 5. Oktober, 16 Uhr, Einführung 15.30 Uhr,
       Braunschweig, Staatstheater
       
       4 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Florian Zinnecker
       
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