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       # taz.de -- Im Grenzgebiet des Bayerischen Walds: Weißes Gold und verlassene Dörfer
       
       > Das Leben auf dem höchsten Gebirgskamm des Bayerischen Waldes war nie
       > einfach. Ein Museum will die Erinnerung daran wach halten.
       
   IMG Bild: Relikt aus vergangenen Zeiten: Ein Tunnel im Schwarzenbergschen Schwemmkanal im Böhmerwald, in Tschechien.
       
       Der Winter 1962/63 zählte zu den strengsten, die Europa je erlebt hatte. Im
       Bayerischen Wald sank die Temperatur am 17. Januar auf minus 32 Grad, und
       wer sein Haus verlassen wollte, konnte dies nur durch die Fenster des
       ersten Stocks und auf Skiern. So hoch lag der Schnee.
       
       Doch in Leopoldsreut gab es noch immer keinen elektrischen Strom und auch
       keine frostsichere Wasserleitung. Und so gaben nun auch die letzten
       Einwohner das höchste Dorf des Bayerischen Waldes auf. Ihre Bauernhöfe
       wurden abgerissen. Nur die Kirche auf 1.108 Meter Höhe und das Schulhaus
       blieben erhalten. Leopoldsreut hatte aufgehört zu existieren. „Wüstung
       Leopoldsreut“ stand von nun an in den Landkarten.
       
       Im Jahr 2003 wurde das [1][KuLaMu, Kulturlandschaftsmuseum Grenzerfahrung],
       in Haidmühle im Dreiländereck Deutschland-Österreich-Tschechien gegründet.
       Das Ziel: die „Relikte einer traditionellen Kulturlandschaft zu neuem Leben
       zu erwecken“.
       
       Wie Erich Dorner, Vorsitzender des [2][Fördervereins], erzählt: „Wir
       wollten kein traditionelles Freilichtmuseum, wo die Objekte neu aufgebaut
       werden. Wir wollten das, was es hier gab, erhalten. Und zwar
       grenzübergreifend. Schließlich bildeten Bayerischer Wald und Böhmerwald
       jahrhundertelang eine Kulturlandschaft und wurden erst durch den Kalten
       Krieg getrennt.“
       
       Schautafeln vor Ort, Flyer und natürlich auch die Homepage des KuLaMu sind
       zweisprachig – deutsch und tschechisch. Das Museum im Freien erhält immer
       wieder EU-Mittel für grenzübergreifende Zusammenarbeit, und die Fantasie
       für die Projekte, die hier im Dreiländereck realisiert werden sollen, kennt
       tatsächlich keine Grenzen – so vielfältig sind sie. Was jedoch fehlt, ist –
       wen wundert’s – das Geld.
       
       Entstehen konnten bisher fünf Wanderwege, die sich den alten und meist
       verschwundenen Wirtschaftsformen des Bayerischen Waldes widmen: Wie wurde
       das Holz von den Bergen nach Prag und Wien befördert? Wie Quarz zu Sand
       zerstoßen, um daraus Glas herzustellen?
       
       Es gibt aber auch Wanderungen, bei denen Einheimische und Fachleute
       erzählen, wie schwierig es war und ist, mit den kargen Ernten der mageren
       Böden zu überleben.
       
       ## Wenn es wieder leerer wird
       
       Ausgangspunkt für viele Wanderungen im Grenzgebiet ist der Kirchplatz von
       Bischofsreut, dem Nachbardorf von Leopoldsreut. Am schönsten ist es hier an
       einem frühen Spätsommermorgen. Dann sind die meisten Feriengäste schon
       abgereist und das erwachende Dorf wirkt wie frisch gewaschen.
       
       Doch warum hat Bischofsreut im Unterschied zu Leopoldsreut überlebt? Erich
       Dorner: „Zum einen gab es hier bereits elektrischen Strom und zum anderen
       waren die klimatischen Bedingungen besser. Obwohl nur ein Höhenunterschied
       von gut 100 Metern existiert.“
       
       Tatsächlich gibt es rund um Bischofsreut ein Biotop, in dem unter anderem
       50 Tagfalterarten nachgewiesen wurden, weshalb das KuLaMu hier den Steig
       der Artenvielfalt anlegte.
       
       ## Auf alten Salzwegen
       
       Einer der beliebtesten Wanderwege ist der Goldene Steig, der auf den Spuren
       der Händler verläuft, die jahrhundertelang Salz – das weiße Gold – von
       Passau ins böhmische Prachatice brachten. Wissenschaftler versichern, dass
       man auf dem alten Saumpfad noch immer Hufeisen der Pferde finden kann, die
       hier über den Bergkamm zogen. Die Steinerne Brücke, die über den
       Harlandbach führt, bildet die Grenze zu Tschechien.
       
       Nun kommt man „ins Böhm’ ’ei“, wie die Einheimischen sagen. Dicht und
       dunkel ist der Wald hier noch an manchen Stellen, und man kann sich gut
       vorstellen, wie die Schmuggler, von denen die Bewohner auf beiden Seiten
       der Grenzen erzählen, ihrer „Arbeit“ nachgingen. Schuhe brachten sie aus
       Böhmen nach Bayern und mit Sacharin – süßem Gold – ging’s zurück.
       
       Der Lehrsteig des KuLaMu endet in Ceske Zleby, das früher Böhmisch Röhren
       hieß und nur ein paar ziemlich heruntergekommene Häuser zählt. Allerdings
       hat man sich auch hier auf den Tourismus im Grenzgebiet eingestellt:
       Eröffnet wurde ein Hotel mit 25 Zimmern, das über einen Wellnessbereich
       verfügt und Pilates-Kurse anbietet.
       
       ## Quarzblasen und Glaspochen
       
       Auch hier in Tschechien gibt es sie also, jene hochgelegenen Gebirgsdörfer,
       in denen die Menschen vom Glasblasen, Quarzpochen und Schindelschneiden
       lebten und in denen ohne Tourismus heute wohl gar niemand mehr wohnen
       würde.
       
       Und doch ist hier etwas anders – was nicht nur mit der Vertreibung der
       deutschen Bevölkerung zusammenhängt. Vielmehr hatte die Regierung der
       Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg weite Teile des rund 70
       Kilometer langen Grenzkammes zum militärischen Sperrgebiet erklärt.
       
       Während Häuser, Kirchen und Friedhöfe verfielen, konnte die Natur
       verlorenes Terrain zurückerobern. Nach der politischen Wende von 1989
       entstand hier der Nationalpark Sumava. Mit knapp 70.000 Hektar ist er fast
       dreimal so groß wie der Nationalpark auf der bayerischen Seite der Grenze.
       Seine biologische Vielfalt schätzen besonders Pilzesammler, und auch Elche
       haben Besucher hier schon gesichtet.
       
       Ein Infozentrum des [3][Nationalparks Sumava] befindet sich drei Kilometer
       südlich von Ceske Zleby in Stozec. Dies ist eine Gemeinde, die zwar nur 200
       Einwohner zählt, doch eine Bahnverbindung nach Prachatice und weiter nach
       Pilsen hat.
       
       ## Stopp am Grenzübergang
       
       Früher konnte man mit dem Zug bis nach Passau fahren, nun jedoch enden die
       Gleise am Grenzübergang bei Nove Udoli/Neutal. An diese alte Tradition
       wollte das KuLaMu mit den Ostbayerischen-südböhmischen Literaturtagen
       erinnern, die dies Jahr zum ersten Mal stattfanden.
       
       Dass Karel Schwarzenberg, bis Juni Außenminister der Tschechischen
       Republik, die Schirmherrschaft für dieses Projekt übernahm, ist kein
       Zufall.
       
       Die Adelsfamilie trug einst dazu bei, den bayerischen und böhmischen
       Grenzdörfer ein besseres Auskommen zu ermöglichen: Mit dem
       Schwarzenbergschen Schwemmkanal konnten die Holzhauer die Wasserscheide
       zwischen Moldau und Donau überwinden. Der Kanal existiert bis heute, auch
       er ist ein Relikt dieser Kulturlandschaft.
       
       29 Sep 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.kulturlandschaftsmuseum.de/htm/uebersicht.php
   DIR [2] http://www.kulamu-foerderverein.de/
   DIR [3] http://www.npsumava.cz/de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sabine Herre
       
       ## TAGS
       
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