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       # taz.de -- Die Knigge-Frage: Unterhaltung muss sein
       
       > Darf man als Beifahrer schlafen? Juristisch kein Problem. Doch ein Auto
       > ist kein Gerichtssaal und der Fahrer muss wach gehalten werden.
       
   IMG Bild: Auch der Beifahrer muss aufmerksam sein
       
       Früher, als ich noch mit meinen Eltern in den Urlaub fuhr, herrschten im
       Auto strenge Regeln. Schweigen war unerwünscht, Singen hingegen willkommen;
       und war man nach einigen Stunden dessen müde, so überließ man es den
       Menschen, die dafür bezahlt wurden. Der Klassiksender. Ich hasste ihn noch
       Jahre später.
       
       Nachts allerdings, wenn sich meine Mutter auf der Hinterbank ausstreckte
       und ich endlich vorne sitzen durfte, wenn sich mein Vater nach sieben
       Stunden Fahrt jede halbe Stunde an der Autobahnraststätte einen Espresso
       holte, öffnete sich ein kleines Zeitfenster der Zügellosigkeit. Dann
       nämlich durfte ich endlich die Musik hören, die mein Herz höher schlagen
       ließ: die besten Hits der 80er, 90er und von heute. Die fettesten Beats im
       ganzen Land. Oder, wie mein Vater kopfschüttelnd sagte: „Schundradio“.
       
       Egal, das Radio war an, ich war glückselig, und mein Vater rettete Leben.
       Weil ihn das singende, hüpfende Mädchen auf dem Beifahrersitz amüsierte.
       Und ihm in den Werbepausen jedes Mal einen Schwank aus ihrem noch relativ
       kurzen Leben erzählte. Außerdem pumpten ihm die lauten Bässe mehr Adrenalin
       durchs Blut als ein Brief vom Finanzamt. Kurz: Das verbale Koffein half ihm
       dabei, wachzubleiben. Ein empfehlenswerter Zustand, wenn man am Steuer
       sitzt.
       
       Aber wie steht es nun um den Beifahrer? Rechtlich gesehen darf er – ab dem
       Zeitpunkt, da er sich angeschnallt hat – schlafen so lange er will,
       zumindest urteilte der österreichische Oberste Gerichtshof in einem
       Versicherungsstreit zugunsten der Klägerin. Diese war als Beifahrerin in
       einem von ihrem Vater gelenkten Wagen bei einem Unfall schwer verletzt
       worden, doch die Versicherung verweigerte die volle Leistung.
       
       Die Tochter habe es schließlich unterlassen, das Fahrverhalten ihres Vaters
       zu überwachen, folglich treffe sie eine Mitschuld an dem Unfall. Falsch,
       erwiderte das Gericht: Es gebe keine Vorschrift, die es einem Beifahrer
       verbiete, während der Fahrt zu schlafen.
       
       Aber ein Auto ist eben kein Gerichtssaal, und auch wenn sie rein rechtlich
       nichts zu befürchten haben, sind die meisten Beifahrer am Ende vermutlich
       froh, wenn ihnen ein Unfall erspart bleibt. Sie sitzen im Zweifel
       schließlich mit in der Scheiße, und vier Augen sehen nun mal mehr als zwei
       – zum Beispiel ein von rechts nahendes Reh.
       
       Es geht also um Verantwortung. Und um Dankbarkeit. Schon Adolph Freiherr
       von Knigge mahnte einst: „Von allen Dingen aber vergesse nie, daß die Leute
       unterhalten sein wollen.“ Wer sich also gemütlich herumkutschieren lässt,
       kann als Gegenleistung wenigstens dem Chauffeur Gesellschaft leisten, denn
       „nichts ist langweiliger und verdrießlicher, als mit einem Manne zu reisen
       und in einem Kasten eingesperrt zu sitzen, der stumm und mürrischer Laune
       ist“. Oder schnarcht.
       
       29 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Franziska Seyboldt
       
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