URI: 
       # taz.de -- Weltklimarat in Stockholm: Wenn die Erderwärmung chillt
       
       > Seit 15 Jahren erwärmt sich die Atmosphäre weniger als gedacht. Skeptiker
       > jubeln über die „Katastrophe, die nicht stattfindet“, seriöse Forscher
       > zweifeln.
       
   IMG Bild: Streit ums Klima: Wird es wärmer oder nicht?
       
       BERLIN taz | Für die einen ist es der Beweis, dass der Klimawandel Quatsch
       ist. Für die anderen ist alles im statistischen Normalbereich. Die Dritten
       zweifeln langsam daran, dass ihre Computermodelle richtig funktionieren.
       Für alle ist es eine der wichtigsten Fragen bei den Verhandlungen zum 5.
       Bericht des UN-Klimarats IPCC in Stockholm: Warum wird es seit 15 Jahren
       nur noch ganz langsam wärmer?
       
       Das nämlich zeigen die weltweiten Temperaturmessungen für die Luft: Seit
       1901 ist die Durchschnittstemperatur des Planeten Erde um insgesamt 0,9
       Grad Celsius gestiegen, manche Jahre schneller, einige langsamer. Jedes der
       letzten drei Jahrzehnte war wärmer als alle Dekaden seit 1850. Seit 1951
       nahm die Erwärmung pro Jahrzehnt um 0,12 Grad zu.
       
       Doch zwischen 1998 und 2012 ist dieser Trend geknickt. Seitdem ist die
       Erwärmung auf umgerechnet 0,05 Grad pro Dekade gefallen. So steht es auch
       im Entwurf des IPCC-Berichts, der derzeit hinter verschlossenen Türen in
       Stockholm verhandelt wird und der der taz vorliegt.
       
       Eine einfache Erklärung für diese Bremse im Trend gibt es nicht. Denn der
       Gehalt des hauptsächlichen Treibhausgases Kohlendioxid in der Luft ist seit
       1958 um 20 Prozent gestiegen. Folgt die Temperatur also dem CO2 so direkt,
       wie es bisher viele Experten annahmen, sind wohl einige der Erklärungen
       über die Reaktion zwischen Treibhausgas und Treibhauseffekt unstimmig.
       
       ## Vulkanausbrüche und Sonnenaktivität
       
       „Die Katastrophe, die nicht stattfand“, jubeln Klimaskeptiker. Unsinn,
       sagen viele Klimaforscher. Erstens lägen die Werte immer noch innerhalb der
       vorausgesagten Bandbreite. Zweitens habe es früher auch schon Jahre
       gegeben, in denen die Temperaturen höher lagen als der Trend. Drittens
       seien die Werte einfach „statistisches Rauschen“, weil die Zeitspanne von
       15 Jahren für Aussagen zum Klima zu gering sei – als aussagekräftig gelten
       erst Trends ab 30 Jahren.
       
       Die relativ schwache Lufterwärmung erklären die meisten Forscher mit
       kleineren Vulkanausbrüchen und geringerer Sonnenaktivität. Zudem fehlten
       wichtige Daten aus der Arktis: Dadurch sei das Ausgangsjahr der „Abkühlung“
       extrem warm gewesen. Und vor allem: Es gebe schlüssige Hinweise darauf,
       dass die zusätzliche Wärme nicht in die Luft, sondern in die Ozeane
       gegangen sei – die Meere haben sich nämlich deutlich erwärmt. Nur: Warum
       haben das die Fachleute nicht vorhergesehen? „Wir wissen zu wenig“, gibt
       Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und
       IPCC-Autor zu.
       
       Auch beim Klimarat ist nur von „mittlerer Gewissheit“ die Rede, mit der
       diese Ursachen belegt werden können. Und Hans von Storch, Klimaforscher am
       Institut für Küstenforschung in Geesthacht bei Hamburg, ist für die
       Überprüfung der Modelle: „Vielleicht haben wir ihnen nicht alle Zutaten
       gesagt, die von Bedeutung sind.“
       
       ## Angreifbare Modelle
       
       Es geht bei der Debatte nicht nur um ein paar Zahlen, sondern um die
       Glaubwürdigkeit der Forschung. Wenn die Modelle an diesem Punkt angreifbar
       sind, so die Hoffnung vieler Kritiker und Skeptiker, könnten sich auch
       Zweifel an der grundsätzlichen Warnung des IPCC säen lassen: Der
       Klimawandel ist real, gefährlich und von Menschen verursacht.
       
       An diesen Punkten wird der aktuelle 5. Bericht nicht rütteln, sondern sie
       im Gegenteil mit noch genaueren Daten belegen. In Stockholm debattieren
       derzeit Forscher und Regierungsvertreter, wie groß und wie deutlich diese
       seltsame Abschwächung der Erwärmung in der „Zusammenfassung für
       Entscheider“ vorkommen soll.
       
       An dem Thema arbeiten die Wissenschaftler schon seit Monaten. Bislang sieht
       es so aus, als werde es dazu kein eigenes Kapitel geben. Das kann sich noch
       ändern – denn die Wissenschaftler haben gelernt, dass es besser ist, die
       Fragen von Skeptikern und Medien offensiv zu beantworten, als sich dem
       Vorwurf auszusetzen, etwas zu vertuschen. Vor allem, wenn eine Frage so
       sehr Anlass zu Verschwörungstheorien liefert wie das rätselhafte Ausbleiben
       der Erwärmung in einer immer wärmer werdenden Welt.
       
       26 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Pötter
       
       ## TAGS
       
   DIR Erderwärmung
   DIR CO2
   DIR Weltklimarat
   DIR Stockholm
   DIR Treibhauseffekt
   DIR Indonesien
   DIR Gletscher
   DIR Schwerpunkt AfD
   DIR Weltklimarat
   DIR Klima
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
   DIR Wetterextreme
   DIR Weltklimarat
   DIR IPCC
   DIR Schwerpunkt Klimawandel
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Vulkanausbruch verändert die Welt: Apokalypse damals
       
       Vor gut 200 Jahren explodierte der indonesische Vulkan Tambora. Die Asche
       verfinsterte den Globus. Es gab keinen Sommer, nur Hunger.
       
   DIR Klimawandel-Film „Chasing Ice“: Botschaften aus dem Eis
       
       „Chasing Ice“ macht auf nie zuvor gesehene Weise die Auswirkungen des
       Klimawandels im Norden sichtbar. Die Filmrezension eines Klimatologen.
       
   DIR Energieausschuss der AfD: Sammelbecken der Klimaskeptiker
       
       Nach taz-Recherchen dominieren Leugner des Klimawandels den
       Energieausschuss der Anti-Euro-Partei. Und die wollen noch mehr.
       
   DIR Bericht des Weltklimarates: Graduelle Unterschiede
       
       Der IPCC ist alarmiert: Die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad droht
       zu scheitern. Auch der Ansteig des Meeresspiegels könnte sich deutlich
       beschleunigen.
       
   DIR Kommentar Weltklimabericht: Viel Sonne brennt das Hirn weg
       
       Daten und Modelle zeigen, dass der Klimawandel immer bedrohlicher wird.
       Alle bekunden ihre Besorgnis, aber getan wird wenig.
       
   DIR Einfluss der „Klimaskeptiker“: Nur die Sonne war schuld
       
       Eine US-Gruppe von „Skeptikern“ leugnet den Klimawandel. Verdrehte Daten,
       persönliche Attacken und das Geld der Öllobby helfen dabei.
       
   DIR Extremwetterkongress in Hamburg: Die Katastrophen kommen häufiger
       
       In Hamburg trafen sich diese Woche 3.000 Wissenschaftler, um fünf Tage über
       den Klimawandel und seine extremen Auswirkungen zu diskutieren.
       
   DIR Personaldebatte im UN-Weltklimarat: Neue Klima-Kassandra gesucht
       
       Der Weltklimarat wird 2015 einen neuen Chef bekommen. Damit ist das Rennen
       um den vielleicht politischsten aller Wissenschaftsjobs zur Unzeit eröffnet
       
   DIR Beratungen zum Weltklimareport: Ziel ohne Fahrplan
       
       Schweden ist Gastgeber für den UN-Klimarat und lobt seine eigene
       Ökopolitik. Kritiker finden, dass alles viel zu langsam geht.
       
   DIR UN-Klimarat IPCC: Weltgewissen auf Bewährung
       
       Bald präsentiert der UN-Klimarat IPCC seinen neuen Bericht. Es geht wieder
       um die Rettung der Welt. Und die eigene Rehabilitierung.