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       # taz.de -- Bilder einer Revolte: „Diese Revolution ist nicht zu Ende“
       
       > Die junge ägyptische Filmemacherin Mariam Mekiwi spricht beim Gang durch
       > eine Ausstellung ägyptischer Revolutionsfotos über ihre Empfindungen.
       
   IMG Bild: Momentaufnahme einer spannungsgeladenen Situation: Menschen auf dem Tahrir schauen auf eine Projektion.
       
       HAMBURG taz | Eine Revolution wird umzingelt. So könnte man die Ausstellung
       beschreiben, die derzeit in Hamburgs Museum für Kunst und Gewerbe Dokumente
       und Fotos der ägyptischen Revolution zeigt. Ein buntes Gewebe aus
       Profi-Fotos, Amateuraufnahmen der – in Ägypten unter eben diesem Begriff
       firmierenden – „Bürgerjournalisten“, Zeitungsseiten, Flickr-Fotos sowie
       Videostills ist da zu sehen.
       
       Insgesamt 62 Künstler haben die deutschen und ägyptischen Kuratoren für die
       Schau ausgewählt, und es werden stetig mehr. Denn diese Ausstellung, die in
       Essen begann, wächst von Station zu Station, und ihr fotografisches
       Konglomerat ist so lebendig wie die Revolution und diejenigen, die sie
       tragen.
       
       Dabei sind die Grenzen zwischen Bild und Betrachter beweglich – manchmal
       auch im Wortsinn: Mariam Mekiwis Video, das zum Tahrir-Platz laufende Füße
       zeigt, steht auf dem Museums-Fußboden und zieht einen direkt ins Geschehen
       hinein. Ein geschicktes Interaktions-Angebot, hiesige Füße neben gefilmten
       Kairoer Füßen, da ist man sofort mittendrin, Zeit und Raum verlieren an
       Relevanz.
       
       Auch die Grenze zwischen Politik und Ästhetik verschwimmt – etwa, wenn
       westliche Profi-Fotografen ästhetische Fotos grausamer Szenen machen und
       eine Distanz erzeugen, die aus Sicht der Opfer unerträglich wirken muss.
       Nicht weit davon Abbildungen des eins zu eins fotografierten Leidens, die
       Bürgerjournalisten machten. Welche Perspektive wird der Revolution eher
       gerecht, welche hat ihren Verlauf und ihre Außenwirkung stärker geprägt?
       Die Hamburger Schau lässt die Fragen offen und schafft es zudem, die
       gegensätzlichsten Regungen gleichzeitig zu transportieren, die denkbar
       sind: Mitgefühl und Provokation.
       
       ## Kim Badawi: Zuschauer bei Projektionen
       
       "Das ist eine sehr ästhetische Momentaufnahme einer spannungsgeladenen
       Situation: Menschen auf dem Tahrir schauen auf eine Projektion, vielleicht
       auf Facebook. Es bricht mir das Herz, wenn ich so etwas sehe, denn diese
       jungen Leute haben elementare Hoffnungen und Nöte. Sie sind auf diesem Foto
       für die Ewigkeit mumifiziert, aber vielleicht leben sie schon nicht mehr,
       während ich hier im Museum stehe und mit Ihnen spreche. Ich meine -
       natürlich darf sich die Kunst mit der Revolution befassen. Trotzdem kann es
       nicht richtig sein, dass für teure Revolutions-Filme etwa in Cannes
       Tausende Dollars fließen, währen die Menschen in Ägypten dringend Hilfe
       brauchen."
       
       ## Khan/Mekiwi: I Will Speak of the Revolution
       
       "Das ist ein Video, das ich mit Nadine Khan gemeinsam gedreht habe. Es
       zeigt Menschen in Bewegung, und gemeint sind diejenigen, die zum
       Tahrir-Platz marschieren. Was wir damit sagen wollen: Diese Revolution ist
       ja nicht zu Ende, nur weil es jetzt eine Ausstellung gibt. Diese Revolution
       läuft noch, und ich bin so durcheinander, dass ich gar nichts Gültiges dazu
       sagen kann. Und die Kunst kann es eigentlich auch nicht. Sie ist immer ein
       subjektives Statement und in jedem Fall weiter weg vom Geschehen als zum
       Beispiel die Fotos der Bürgerjournalisten, die diese Ausstellung ja auch
       zeigt. Die Kunst hat, finde ich, einfach kein Recht, die Revolution als
       abgeschlossenen Prozess zu betrachten. Das wollen zwar viele gern: Es gibt
       ja viele Experten, die Lösungen in petto haben. Und selbstverständlich bin
       auch ich gegen die Muslimbrüder - ich bin gegen jede Vereinigung, die auf
       Religion und Testosteron basiert. Ich wünsche mir dringend die Demokratie.
       Aber man kann die nicht ad hoc in einem Land einführen, das quasi seit den
       Pharaonen versklavt war. Die Ägypter müssen ihre eigene Form finden.
       Deshalb ist unser Video, das die anonyme Masse zeigt, für uns der einzig
       mögliche Kommentar."
       
       ## Osama Dawod: Maspero
       
       "Hier sieht man die Zentrale der Manipulation: die Fernsehstation. Die
       ägyptischen Medien spielen die übelste Rolle, die ich mir vorstellen kann.
       Sie haben uns jahrzehntelang belogen, und auch jetzt hetzen sie. Diesmal
       gegen die Muslim-Brüder. CNN und andere US-Medien hetzen derweil die andere
       Seite auf. Wissen Sie, ich habe nie an Verschwörungstheorien geglaubt, aber
       jetzt, aus der Distanz, begreife ich, dass da Dinge parallel laufen, die
       nichts miteinander zu tun haben: einerseits die Revolution des ägyptischen
       Volkes. Andererseits das interessengeleitete Hätscheln wechselnder
       Staatschefs durch die USA: Anfangs wollte Obama Mubarak halten, denn der
       ist sein Mann im Mittleren Osten. Dann plötzlich rief Obama: ,Mursi is my
       man'. Dann wurde auch er abgesetzt ... das ist alles kein Zufall und hat
       mit der eigentlichen Revolution nichts zu tun."
       
       ## Jonathan Rash: The Dragged Woman
       
       "Hier sieht man ganz konkret die Gewalt, die vom Regime ausging. Mubarak
       hat eine Spur der Gewalt durch das Land gezogen, und jetzt tut es das
       Militär. Ich habe ja in Kairo zwei Minuten vom Tahrir-Platz entfernt
       gewohnt und die Brutalität hautnah miterlebt. Sehr oft kamen Freunde, die
       bei den Auseinandersetzungen verletzt worden waren, in meine Wohnung, um
       sich verarzten zu lassen. Das war emotional sehr belastend für mich.
       Trotzdem empfinde ich keinen Hass, wenn ich diese brutalen Fotos ansehe -
       nicht einmal auf diesen Typ hier, der einmal auf mich schießen wollte. Denn
       das alles kam ja nicht plötzlich, das ägyptische Volk hat eine lange
       Leidensgeschichte hinter sich. Wir alle sind letztlich Opfer der
       jahrzehntelangen Unterdrückung."
       
       ## Videokollektiv Mosireen: Gasbombs in Tahrir
       
       "Das ist ein sehr trauriges Foto des Gasangriffs auf dem Tahrir-Platz im
       Jahr 2011. Ein stilles Bild, der Nachklang der Gewalt. Und ein Bild, das
       das "Symbol" der ägyptischen Revolution, den Tahrir-Platz in Kairo, einmal
       anders transportiert. Denn das ist er durch die Medien wirklich geworden:
       ein Sinnbild der ägyptischen Revolution. Dabei ist der winzige Tahrir-Platz
       gar nicht deren Keimzelle. Begonnen hat sie in allen Bezirken von Kairo -
       durch die Menschen auf der Straße, deren Parole war: Brot, soziale
       Gerechtigkeit, Freiheit. Mit diesen Worten sind wir zum Tahrir gelaufen,
       weil er der sicherste Ort war. Und da dort zufällig die westlichen Kameras
       standen, wurde er zum Symbol. Und diese Öffentlichkeit war wichtig, um die
       Brutalität des Regimes bekannt zu machen. Mubarak hat das Land 30 Jahre
       lang ruiniert, hat Enklaven für Geschäftsleute und Elend für die anderen
       geschaffen. Er schuf ein Land voller Hass, Krankheit und sexueller
       Frustration."
       
       ## Die läuft bis zum 17. November 2013, Hamburg, Museum für Kunst und
       Gewerbe
       
       24 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Petra Schellen
       
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